BRIGITTE MAZOHL-WALLNIG
Die Kevolutıon von 1848 aus europäischer Sicht
«4. März (morgens): Diese Tage waren bewegt und reich an Ereignissen.
Schon am 28. abends hiess es, in Paris sehe es übel aus. Am 29. kam wie ein
Blitz aus heiterem Himmel die Nachricht, eine furchtbare Meute sei aus-
gebrochen; Louis Philipp habe abdiziert und die Herzogin von Orleans sei
Regentin im Namen ihres Sohnes. Es war eine allgemeine Konsternation,
ganz unbekannte Leute sprachen mich auf der Strasse an, die Papiere fielen
entsetzlich. Am 1. ward es noch viel ärger, es kam die Nachricht, die Re-
publik sei proklamiert, die königliche Familie flüchtig. Seitdem kreuzen
und widersprechen sich die Gerüchte. Jede Stunde bringt etwas neues, bald
wahres, bald falsches. Die merkwürdigsten Gerüchte zirkulieren im Publi-
kum. Erzherzog Ludwig und Fürst Metternich sollen abtreten, was grossen
Jubel erregt. Erzherzog Johann soll aus Steiermark berufen worden sein.
Erzherzogin Sophie steigt enorm in ihrer Popularität und ich höre, dass man
für sie eine öffentliche Demonstration vorbereitet. Nach Italien marschie-
ren wieder Truppen. Erzherzog Rainer zieht sich nach Verona zurück. Der
Gouverneur ist abberufen und sein Nachfolger angewiesen, sich in allem an
Radetzky zu halten. Gestern ist in Pressburg, und zwar von einem konser-
vativen Komitate, eine Interpellation über den Zustand unserer Finanzen
und der Bank gestellt worden. Kossuth wollte darüber eine lange Rede
halten, das Resultat weiss ich noch nicht [...].»!
Mit diesen beunruhigten Worten kommentierte der junge österreichische
Diplomat und Staatsbeamte Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg,
einer der aktivsten Mitstreiter der ständischen Opposition gegen Metter-
nich, in seinem Tagebuch die stürmischen Ereignisse der frühen Märztage
des Jahres 1848. Das politische Fieber, das, von Paris ausgehend, auf andere
zuropäische Länder übergriff und das in wenigen Wochen zu einer Welle von
C