ALOIS OSPELT
Grundentlastung und Bauernbefreiung
im Revolutionsjahr 1848
Kernpunkt einer Agrar- und Sozialretorm
{n der liechtensteinischen Geschichtsschreibung hat die wirtschaftliche Seite
der Revolution von 1848 neben deren politischen Aspekten eher weniger
Beachtung gefunden. Ich möchte mit meinem Vortrag einen kleinen Ge-
genakzent setzen und versuchen, das Ausmass und den Stellenwert der
wirtschaftlichen (und gesellschaftlichen) Veränderung durch Grundentla-
stung und Bauernbefreiung als wesentliches Element der Revolution heraus-
zustellen. Ich stütze mich dabei hauptsächlich auf die zu dieser Thematik in
meiner Dissertation zur Wirtschaftsgeschichte Liechtensteins im 19. Jahr-
hundert gemachten Ausführungen.‘ ,
Den Hauptteil der liechtensteinischen Wirtschaft bildete bis ins 20. Jahrhun-
dert hinein die Landwirtschaft. Von ihr lebte die Bevölkerung grösstenteils
unmittelbar, Ihr konjunktureller Verlauf war für die gesamte Wirtschaft aus-
schlaggebend. In einer solchen agrarisch geprägten Gesellschaft kommt
dem Boden zentrale Bedeutung zu. Veränderungen von Eigentums-, Besitz-
und Nutzungsverhältnissen am Boden sind nicht als rein agrarisches, son-
dern als allgemeines Problem zu werten, da sie die Grundlagen von Staat,
Gesellschaft und Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen.
Proteste der bäuerlichen Bevölkerung waren weniger radikaldemokratisch
ausgerichtet, ihre ökonomisch-sozialen Forderungen waren nicht abstrakt,
sondern richteten sich vielmehr konkret gegen bestimmte Missstände.
Was verstehen wir nun unter «Bauernbefreiung»? Ich zitiere dazu Gebhardts
Handbuch der Deutschen Geschichte: «Die sogenannte Bauernbefreiung war
[...] ein allgemein-europäisches Ereignis, das sich in den einzelnen Ländern
zu verschiedenen Zeiten und je nach ihrer politischen, wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Ausgangslage mit unterschiedlichen Ergebnissen ab-
spielte. Sie vollzog sich im Rahmen der grossen Revolution, welche die
77