Volltext: Liechtensteiner Landeszeitung (1866)

Liechtensteiner Kandeszeitung. 
Viertel' 
Vaduz, Samstag 
Rro. 
22. September 1866. 
Dieses Blatt erscheint tn der Regel monatlich 3mal und kostet ganzjährig 1 fl. 50 kr. Einrückungsgebühr für die gespal 
tene Zeile 4 Nkr. Man bestellt die Zeitung in Vaduz bei der Redaktion — in Feldkirch bei der löbl. Wagner'schen Buch 
handlung oder bei der k. k. Post. Die Redaktion besorgt auch Bestellungen auf das liechtenst. Landesgesetzblatt. 
Vaduz, 18. September. 
Kaum ist der Kriegslärm auf den deutschen und ita 
lienischen Fluren verhallt, so droht schon wieder ein 
neuer Brand. Die sogenannte orientalische Frage wird 
plötzlich aufgeregt, d. h. mit andern Worten: sollen die 
Türken und ihr Beherrscher, der Sultan, fortan die 
christlichen Bewohner der Balkanhalbinsel und zahlreicher 
Inseln im griechischen und Mittelmeer unterdrücken oder 
sollen sie zurückgeworfen werden nach Asien, damit sich 
die Millionen griechischer Christen zu einem oder mehren 
selbstständigen Reichen vereinigen? — Es herrscht un 
ter den ländergierigen Großmächten Europas eine bit 
tere Eifersucht über den Besitz und die Zukunft dieser 
schönen Länder. Da ist Rußland, welches seine Gren 
zen weiter nach Süden zu rücken gedenkt bis nach Kon 
stantinopel. Aber auch Griechenland hegt längst be 
kannte Hoffnungen, daß es die unterdrückten Glaubens 
genossen der europäischen Türkei sich annectiren werde. 
Frankreich und England sehen ihren Einfluß und ihre 
Interessen bedroht durch das ungeheure Anwachsen des 
russischen Reiches und werden sich ewig feindlich dage 
gen verhalten. — Die Bewohner der Insel erregten 
kürzlich einen^ Aufstand gegen die türkische Obrigkeit, 
dies führte die Einmischung der gedachten Großmächte 
herbei. Was daraus entstehen werde, ob es jetzt schon 
zum Entscheidungskampf kommt: wer will es mit Ge 
wißheit vorausbestimmen! 
Der preußische Sieg hat mit einem Male die Hinter- 
ladungögewehre zu allgemeiner Anerkennung gebracht. 
— Die Völker rennen im Wettlaufe nach dieser Waffe 
und bald wird sie, zur Schande für unser, in seiner 
Meinung so hochgebildetes Geschlecht, in allen Heeren 
eingeführt sein. Für den Menschenfreund bleibt nur 
der einzige, leider aber schwache Trost, daß auch dieses 
unsinnige Spekuliren auf die ausgiebigste Mordwaffe 
seinen Höhe- und Ueberstürzungspunkt erreichen werde. 
Es scheint, daß einsichtige Kriegsherren, wie z. B. Na 
poleon, noch eine andere Lehre aus dem letzten Feldzug 
gewonnen haben: die Erkenntniß der hohen Bedeutung 
allgemeiner Wehrpflicht oder dessen, was „ein ganzes 
Volk in Waffen" zu leisten vermag. Preußen mit sei 
nen 19 Millionen brachte in wenigen Wochen die dop 
pelte Anzahl Krieger auf, wie Oestreich mit seinen 35 
Millionen. Napoleon hat es eben laut verkündigen 
lassen, daß Frankreich einer Heeres - Reorganisation be 
darf um den ersten Rang unter Europa's Völkern fer 
ner behaupten zu können. Diese Reorganisation denkt 
sich aber Napoleon nicht anders, als daß jeder Fran 
zose Soldat werde. Auch unsere Schweizer Nachbarn 
wollen die Wehrpflicht auf alle männlichen Staatsbür 
ger ausdehnen, um in der Stunde der Gefahr wenig 
stens 300,000 Mann unter die Waffen zu bringen. 
Wir zweifeln nicht, daß diese Pläne in Frankreich 
und in der Schweiz zur Ausführung kommen werden. 
Die Bedeutung für die Schweiz ist jedem klar; die Be 
deutung für Frankreich könnte aber gerade in's Gegen 
theil umschlagen von dem, was man erreichen will. Ein 
Volk in Waffen schlägt sich zunächst doch nur für die 
Güter seiner nationalen Eristenz, Dynastenkriege werden 
also seltener sein. Man wird zwar aus dem beendigten 
Kriege das Gegentheil beweisen wollen. Die Preußen 
ließen sich zur Schlachtbank kommandiren, zu einem Er 
oberungskrieg. Doch das war eben ein mal so, ob es 
in jedem Falle so kommen werde, bezweifeln wir sehr. 
Und zudem stehen wir hier im Süden auf einem ganz 
andern Standpunkte, wir wissen nicht, welche Interessen 
bei dem preußischen Volke im Spiel waren, daß es in 
diesem Kriege vielleicht etwas mehr, als einen bloßen 
Dynastenkrieg sah. Jedenfalls schien die Eristenz Preu 
ßens schwer bedroht und das war vorerst genügend. 
Für uns ist es unzweifelhaft, daß die Einführung all 
gemeiner Wehrpflicht ein bedeutender Schritt auf dem 
Wege der Civilisation sein wird. 
Oestreich und Italien können sich nicht einigen über 
die Größe der Staatsschuld, die Venedig übernehmen 
soll. Es handelt sich um den kleinen Betrag von 100 
Millionen. — Daß Venetien eine Provinz des König 
reichs Italien werde, ist noch nicht entschieden. Vene 
tien soll durch allgemeine Volksstimmung erklären, ob 
es eine Republik oder eine italienische Provinz sein will. 
Wahrhaftig eine kritische Lage! 
Die preußischen Landrags-Abgeordneten sind des glei 
chen Sinnes, wie Meister Bismark. Diese Herren fin 
den ihr Ideal nur in einer bureaukratischen Staatsma 
schinerie, die alles und jedes Thun und Gebaren der 
Staatsbürger nach einer Berliner Schablone reguliert. 
Sie stimmen bei, daß ohne Weiters preußische Verfas 
sung und Gesetz in den annectirten Ländern zu gelten 
habe. Für die Freiheit ist das ein gewaltiger Schlag. 
Für die Freiheit der Staatsbürger, welche sich zunächst 
in einem unabhängigen Gemeindeleben, in freiem Ver- 
sammlungs- und Vereinsrecht, sowie in Preßfreiheit of-
	        

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