Volltext: Liechtensteiner Landeszeitung (1865)

alte Hr. Schmerling wieder jung und beginnt seine Mi 
nisterlaufbahn von vorn. Man fürchtet übrigens, der 
Ministerwechsel werde einen Rückschritt für Oestreich 
bringen. Diese Furcht hat aber wenig Bedeutung. Der 
Fortschritt hat sich in Oestreich bisher so langsam und 
schwerfällig fortgeschleppt, daß schon ein feinsinniger und 
aufmerksamer Blick dazu gehört, um zu unterscheiden, ob 
der Staatswagen noch in Bewegung ist, ob er steht, 
oder gar rückwärts geht. Und mit dem Rückschritt ist 
es auch ein schwieriges Ding. Die Rückschrittspartei 
wird wohl schon soviel gelernt haben, daß der Rückschritt 
ihr verderblicher werden kann, als ein wohlbemessenes, 
sorgfältig regulirtes und gedämpftes Vorwärts. 
Baiern', Baden und Württemberg hatten mit der 
Eidgenossenschaft einen Zoll- und Handels 
vertrag verabredet. Das gestrenge Großpreußen weist 
diesen Vertrag ganz kurz ab, ohne selbst die Gründe 
dieses Verfahrens anzugeben. — Am hohen Bundestag 
zu Frankfurt beschlossen sie die Einsetzung eines Aus 
schusses für die Einführung gemeinsamen Maßes und 
Gewichts in allen deutschen Bundesstaaten. Baiern, 
Kurhessen und Oldenburg sind dagegen: Wahrscheinlich 
aus dynastischen Interessen. Durch den Wegfall einer 
kgl. bayrischen „Halbe", oder des kurfürstlich hessischen 
Fußes, Zolles Zc. könnte dem speziell bairischen oder hes 
sischen Nationalgefühl eine ersprießliche Anregung entzo 
gen werden. — Preußische und bairische Soldaten unter 
Mitwirkung der Frankfurter Polizei haben sich in Sach 
senhausen ein nicht» unblutiges Treffen geliefert, wahr 
scheinlich als Vorarbeit zu einer baldigen Bundesreform. 
— Das sind erhebende Bilder deutscher Einigkeit! 
Der König von Preußen hat seine Hausadvokaten 
(Kronjuristen) gefragt, ob er die Herzogthümer Schles 
wig-Holstein seinen durch Gottes Gnade besessenen 
Erblanden hinzufügen könne. Eilf Juristen von 18 
waren der Meinung es sei dies zulässig. — Die preußi 
schen Abgeordneten, welche im Landtage der Regierung 
durch scharfe Worte unbequem wurden) sollen nun für 
ihre Landtagsreden zur Rechenschaft und Strafe gezogen 
werden. 
H Triesnerberg. Der Tag nach Peter nnd 
Paul hätte für unsere Alpgenossen ein großer Unglücks 
tag werden können. Jenseits des Grath hatte es wäh 
rend der Nacht einen Schnee von 4—5 Zoll Höhe ge 
legt. Dadurch wurde das Vieh sehr unruhig, so daß 
es der Hirt nur mit äußerster Anstrengung zusammen 
halten konnte. Vom frühen Morgen bis Nachmittag 
3 Uhr mußte er den fliehenden Thieren über Höhen 
und Tiefen nachfolgen, um sie vor Verwirrung und ge 
fährlichen Schroffen zu bewahren. Endlich erlag er. 
Ein Verwandter des Hirten, der bei diesem Wetter zu 
fällig in der Nähe war, begab sich nach der fraglichen 
Alp, weil er glaubte, daß der Hirt schwere Arbeit ha 
ben werde. Als er zur Alp kam, traf er den Hirten 
nicht mehr beim Vieh. Er vermuthete ein Unglück und 
suchte nach dem Manne, den er halb erfroren, starr 
und unbeweglich, ganz erschöpft in einem Steingeröll 
liegen fand. Derselbe hatte vergeblich auf Beistand von 
Seite der Alpvogte gewartet und war endlich der un 
geheuren Anstrengung erlegen. — Durch einen Zufall 
wurde ein großes Unglück abgewendet. Es sollte das 
unseren Leuten ein Fingerzeig sein, daß sie bei schlim 
mer Witterung Hilfsmannschaft in die Alpen senden. 
Vor 30 Jahren wcst es noch gebräuchlich sogenannte 
Schneeflüter zu senden, in der neuen Zeit ist man da 
von abgekommen. Es ist zunächst an Alpvogt und 
Alpmeister auf derlei Sachen ein Auge zu haben. Aus 
der Geschichte lernen wir aber auch, daß es mit unserer 
Alpwirthschaft noch nicht auf dem letzten Gipfel steht; 
es ist noch viel zu thun. Das sollte man bedenken 
und den Maßregeln einer wohlmeinenden Regierung 
nicht einen maßlosen Widerstand leisten. 
* Liechtenstein darf sich Heuer in Bezug auf den 
Stand der Früchte wohl zu den gesegnetsten Land 
strichen zählen. Jedenfalls stehen sämmtliche Fluren in 
der innern Schweiz ungleich schlimmer. Von Luzern bis 
Bern, Freiburg, von da bis Neuenburg, Solothurn, 
Aarau und Zürich sind die Wiesen gänzlich ausgebrannt, 
und ist wenig oder kein Emd zu erwarten. Vielfach 
füttert man schon jetzt das spärlich eingebrachte Heu. 
Auch Kartoffeln, Kabis und andere Feldfrüchte stehen 
ungemein schwach. Nur das Wintergetreide und der 
Wein verspricht eine gute Ernte. Bei Murten begann 
schon am 27. Juni der Kornschnitt. 
* Das Eanisiusfest in Freiburg den 25.—27. 
Juni versammelte wenigstens 30,000 Menschen. Zehn 
Bischöfe und Prälaten, an 200 Priester erschienen. Die 
Stadt war geschmückt und Abends illuminirt. Die be 
deutendsten Redner der Schweiz predigten, z. B. die Bi 
schöfe von Solothurn, Genf, St. Gallen, der Provin- 
zial ?. Anizet und der Jesuit ?. Allet. Das schönste 
Wetter begünstigte die Feier. 
— Auf der Industrie-Ausstellung in Merseburg (preu 
ßisch Sachsen war eine Kalkziegelmaschine von 
Dr. A. Bernhardisen aus Eilenburg aufgestellt. Sie 
fertigt aus 4 Theilen Sand und 1 Theil Kalk, wenn 
zwes Männer fleißig arbeiten, per Tag 2000—2500 
Kalkziegelstein, die in zwei Tagen trocken werden und 
sich durch Festigkeit auszeichnen; durch eine Holzeinlage 
können die gewöhnlichen Kalkziegelsteine leicht in Ge 
simsstein umgewandelt werden. Die Maschine kostet 
230 fl. ö. W. 
— Zucker war ehedem eine theure Sache, als man 
denselben allein nur aus Zuckerrohr verfertigte. Jetzt ist 
es anders; der Rohrzucker ist fast gänzlich aus dem 
Felde geschlagen ^durch den Rübenzucker. Dieser wird 
aus der Zuckerrübe (eine Art Runkelrübe) bereitet. Vor 
15 Jahren gab es im deutschen Zollvereine nur 184 
Rübenzuckerfabriken. Jetzt, sind es 253; damals wurden 
jährlich 14 Mill. Zentner Rüben verarbeitet, jetzt gegen 
40 Millionen. Das ist eine schöne Industrie, und die 
Landwirthschaft, besonders die Viehzucht, haben durch den 
Anbau der Rüben und durch den Verbrauch der Futter 
abfälle Großes gewonnen. 
Herausgeber: Gregor Fischer. 
Verantwortlicher Redaktor: vr. Schädler.
	        

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