Ungeschriebene Rechtsquellen
zeugung, das heisst die Auffassung der Betroffenen, dass die gelebte
Übung rechtsverbindlich ist. Diese Überzeugung muss bei den Behör-
den und den rechtsunterworfenen Privatpersonen vorhanden sein. Übli-
cherweise kann Gewohnheitsrecht nur innerhalb von Gesetzeslücken
entstehen; dagegen darf das Gewohnheitsrecht nicht das geschriebene
Recht durchbrechen?!?.
In Österreich wird Gewohnheitsrecht unter Hinweis auf die “Ge-
schlossenheit des Rechtsquellensystems” grundsätzlich abgelehnt?%. Für
Liechtenstein wäre die Frage nach dem Gewohnheitsrecht gleich zu be-
antworten, wenn die These der Geschlossenheit des Rechtsquellensy-
stems gilt?!, Da sich die letztere Frage nicht klar beantworten lässt,
bleibt die Zulässigkeit des Gewohnheitsrechts offen. Gerade wegen der
wenig konsequenten Praxis zur Geschlossenheit des Rechtsquellensy-
stems ist anzunehmen, dass Gewohnheitsrecht grundsätzlich zulässig
ist, zumal der Staatsgerichtshof das Gewohnheitsrecht in einem Urteil
ausdrücklich als Rechtsquelle anerkannt hat???. In der Praxis stützen sich
die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts nur selten auf gewohnheits-
rechtliche Rechtsquellen ab.
4. Richterrecht und Behördenpraxis
Richterrecht und Behördenpraxis sind diejenigen quasi normativen
Regeln, die aus der gleichartigen Erledigung individuell-konkreter
Fälle durch Gerichte und Verwaltungsbehörden entstehen???. “Als
Präjudizien haben solche Rechtssätze nur insoweit Bedeutung, als sie
durch ihre Begründung überzeugend wirken oder durch die kon-
stante Anwendung ... sich schliesslich durchsetzen”??*, Die normative
Kraft der Richter- und Behördenpraxis ergibt sich aus dem Gleich-
heitsgrundsatz; denn von einer gefestigten Praxis darf nicht ohne
29 Vgl. für die Schweiz: Häfelin/Müller Nr. 153 ff.; vgl. z.B. für Deutschland Wolff I,
S. 113 ff.
2 Vgl. Adamovich/Funk, S. 251; Antoniolli/Koja, S. 192 ff., 538.
2 Vgl. zum Problem des Gewohnheitsrechts auf Verfassungstufe S, 67 ff.
22 Vgl. StGH 1984/2/V, Urteil vom 15.2.1985, LES 1985, S. 72 (75).
23 Vgl. Adamovich/Funk, S. 252; Antoniolli/Koja, S. 196; Häfelin/Müller Nr. 167.
% Gutachten des SEGH vom 8.3.1952, Stotter, Verfassung, S. 107 Ziff. 1 oder S. 169
Ziff. 1; vgl. Wolff I, S. 115.
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