Grundsätze des Rechtsmittelverfahrens
schub des Art. 43 Abs. 2 SIGHG gelöst. Die fragliche Gesetzesbestim-
mung wird nicht sofort, sondern erst mit einer Maximalfrist von bis zu
sechs Monaten später aufgehoben. Dieser Fristaufschub ermöglicht es
dem Gesetzgeber, die Rechtslage anzupassen!®. Der Aufschub gilt aller-
dings nicht für die obsiegenden Beschwerdeführer, da diese nicht um
den Erfolg ihrer Beschwerde gebracht werden sollen!*!.
Kann aus Gründen der Praktikabilität eine verfassungswidrige
Gesetzesvorschrift nicht kassiert werden, fordert der Staatsgerichtshof
den Gesetzgeber in einer sogenannten Appellentscheidung zum Handeln
auf: “Eine Sanierung des verfassungswidrigen Zustandes ist nichts-
destoweniger dringend. Regierung und Landtag sind deshalb aufge-
rufen, eine entsprechende Revision ... umgehend an die Hand zu neh-
men”!62, Der Staatsgerichtshof hat für den Fall, dass er eine Verfas-
sungswidrigkeit nicht mit einer Kassation von Gesetzesbestimmungen
beheben kann, Art. 38 Abs. 1 SEGHG als lückenhaft angesehen. Appell-
entscheidungen stellen eine pragmatische Mittellösung dar, welche es
“dem Verfassungsgericht erlaubt, unzweideutig seine verfassungsrechtli-
che Leitfunktion wahrzunehmen und verfassungswidrige Rechtsnor-
men selbst dann als solche zu benennen, wenn eine Kassation aus ge-
wichtigen praktischen oder verfassungspolitischen Gründen ausnahms-
weise nicht realisierbar ist. Das in bestimmten Fallkonstellationen
gerade im Zusammenhang mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz
160 Vgl. Art. 43 Abs. 2 StGH und dazu StGH 1994/6, Urteil vom 4.10.1994, LES 1995,
5. 16 (23); SEGH 1993/4, Urteil vom 30.10.1995, LES 1996, S. 41; SCGH 1995/20, Urteil
vom 24.5.1996, LES 1997, S. 30 (37). Die Frist ist allerdings zu knapp bemessen; die
Gesetzesanpassung ist daher nicht in allen Fällen möglich.
Vgl. SEGH 1994/6, Urteil vom 4.10.1994, LES 1995, S. 16 (23); StGH 1994/4, Urteil
vom 26.5.1994, Erw. 5, S. 20, nicht veröffentlicht. In Österreich ist die Situation ent-
sprechend, vgl. VIGH v. 30.6.1993, G 275/92 u.a., OJZ 1994, S. 673. In der Schweiz ist
die Situation gerade gegenteilig. Da das Bundesgericht ein Gesetz nicht mit einem Auf-
schub aufheben kann, führt ein Appellurteil zur Abweisung der Beschwerde, vgl. Kley,
Rechtsschutz, S. 323 f. m.H.
162 S$tGH 1995/12, Urteil vom 31.10.1995, LES 1996, 5. 55 (61); SIGH 1995/20, Urteil vom
24.5.1996, LES 1997, S. 30 (39) zur Geschlechtergleichheit in der Alters- und Hinter-
lassenenversicherung; StGH 1993/3, Urteil vom 23.11.1993, LES 1994, S. 37 (39). Aus
den gleichen Gründen hatte der Staatsgerichthof das Strassenverkehrsgesetz mangels
Kundmachung nicht aufgehoben: “Hier wie anderswo gilt, dass es nach der liechten-
steinischen Rechtsordnung grundsätzlich wohl vernichtbare, aber nicht absolut nichti-
ge Rechtssätze gibt”, STGH 1980/10, Urteil vom 10.12.1980, LES 1982, S. 10 (11). Vgl.
weitere Nichtaufhebungen nicht integral kundgemachter Gesetze aus Gründen der
Praktikabilität: SCGH 1981/18, Urteil vom 10.2.1982, LES 1983, S. 39 (43); StGH
1984/12, Urteil vom 8./9.4.1986, LES 1987, S. 70 (72) und aus Gründen der Rechts-
gleichheit im Steuerrecht: StGH 1989/15, Urteil vom 31.5.1989, LES 1990, S. 135 (141).
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