Geschichtliche und begriffliche Einführung
gesetz vom 27. November 1922 wurde eine Reform des Verwaltungsver-
fahrens im Sinne der Vereinfachung und namentlich der Vereinheit-
lichung in Aussicht genommen!?, Das Bundeskanzleramt nahm die Ar-
beiten auf und stützte sich dabei auf die Vorentwürfe aus der Zeit vor
dem Krieg. Die österreichische Regierung beschloss allerdings, den Stoff
im wesentlichen auf vier Gesetze aufzuteilen, nämlich auf:
- ein Einführungsgesetz,
ein Gesetz über das Allgemeine Verwaltungsverfahren (AVG),
ein Gesetz über das Verwaltungsstrafverfahren (VStG) und
— ein Gesetz über das Verwaltungsvollstreckungsverfahren (VVG).
Die Bestrebungen führten rasch zum Erfolg; die Gesetze wurden alle am
21. Juli 1925 beschlossen und sind seit dem 1. Januar 1926, allerdings mit
Unterbrechungen, zahlreichen Änderungen und einer Wiederverlautba-
rung von 1991, bis heute in Kraft'?. Die vier Gesetze regeln nicht nur das
Verfahrensrecht relativ umfassend; sie enthalten auch wichtige Grund-
sätze des allgemeinen Verwaltungsrechts. Österreich war damit zu ei-
nem Vorreiter für die Kodifikation des Verwaltungs-(verfahrens-)rechts
geworden und hat dadurch die Kodifikationen des Auslandes stark be-
einflusst. Dieser Einfluss war auf Liechtenstein besonders gross.
I. Entstehung des liechtensteinischen Verwaltungsrechts,
insbesondere des Landesverwaltungspflegegesetzes
Liechtenstein war bis nach dem ersten Weltkrieg durch einen Post-,
Währungs- und Zollanschluss eng mit Österreich-Ungarn verbunden
und hat teilweise die österreichischen Entwicklungen mitgemacht!*.
Freilich galt die übrige österreichische Verwaltungsgesetzgebung nicht,
insbesondere war keine Beschwerdemöglichkeit an den Verwaltungsge-
richtshof in Wien möglich. Eine Verwaltungsrechtsprechung fehlte voll-
2 Vgl. Walter/Mayer Nr. 25; Ernst Hellbling, Österreichische Verfassungs- und Verwal-
tungsgeschichte, 2. Aufl., Wien/New York 1974, 5. 449 ff.
3 Vgl. Walter/Mayer Nr. 27, S. 44-46.
+ Vgl. zur verfassungsgeschichtlichen Entwicklung Batliner, Verfassungsrecht, S. 19 ff.;
Schurti, S. 85 ff.; Quaderer, Hintergrund, S. 109 ff.; Steger, Fürst, S. 15 ff.; Steger, S. 520 f.;
Batliner, Volksrechte, S. 25 ff.; Herbert Wille, Monarchie und Demokratie als Kontro-
versfragen der Verfassung 1921, in: Batliner, Verfassung, S. 141 ff.
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