Dolly Gross-Kindle
«Z’allerzerschta
doo gse»
«Z’allerzerschla doo gse, z’allerzerschta doo 8se>»,
so tönte es im Chor von der Stiege der Vätterlischual
herab, den Neueintreffenden entgegen, Jedes Kind
versuchte, das andere stimmlich zu übertreffen. Mein
Stolz war riesig, wenn ich es ausnahmsweise einmal
schaffte, als erste den Kinder-
garten zu erreichen. Leider
passierte dies sehr selten.
denn auf dem Weg von zu:
hause bis hin an Ort und
Stelle gab’s stets so unge-
mein viel Interessantes zu er-
leben.
Zum Nachvollzug des Hin-
und Rückweges in der Erin-
nerung schliesse ich die Au-
gen und lasse die Bilder auf-
steigen. Ich sehe mich be-
reits platzen vor Ungeduld,
weil Mama mein Ankleider
zu korrigieren hat. Forsano-
se und Butterbrot, auch das
geht mir zu langsam. Ich
stürze aus dem Haus, Mama
uft mich zurück: Täschchen
samt Pausenbrot vergessen.
Endlich beim Gärbibächli,
Zoggili aus, hinein ins Nass. Kommt ein grosser Bur-
sche daher, hebt mich aus dem Wasser und sagt, das
sei gefährlich, im Bach habe es Blutsauger.
Auf und davon bis zum Heustall des Obralampi, vis-
A-vis von der Fabrik. So wird er genannt, weil er je-
weils ruft: «/ loss ni d Ohra lamba», wenn ihn ge-
wisse Buben ärgern. Im Heu sind viele kleine Kätz-
chen, die ich streichle, eins nach dem andern.
Dann geht’s bis zum Konsum. Da muss man kurz
zusehen, wer da alles ein- und ausgeht. Aber eben: da
kommt dann auch diese Frage, die mir so zuwider
ist: «Wia hääscht jäz du, Mädtili?» Würde ich
Annili oder Marili heissen, hätte ich damit kein
Problem. So aber muss ich «Dolly» sagen - und so
heisst halt einfach kein Mensch weit und breit! Dann
folgt unweigerlich die Zusatzfrage: «Aber wia hät
ma di tooft?» Und weil ich dann anstandshalber
Ronny und Dolly Kindle
auch noch «Dolores» anfügen muss, dauert mir
dieses Frage- und Antwortspiel schon viel zu lange,
denn ich will ja weiter. Eines aber scheint mir schon
damals sicher: Wenn ich einmal selbst Kinder haben
werde, gebe ich ihnen normale Namen.
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