Die Bevölkerung bleibt vom Schicksal
der Russen nicht unbeeindruckt
Obwohl sich die Situation zwischen den, wenn man so will, „Infor-
mierten” beider Seiten etwas entspannt hat, ist die Bevölkerung, vor
allem in Schellenberg, noch weitgehend unsicher über die Lage. Inzwi-
schen waren ja andere notwendige Dinge zu erledigen gewesen, wie sie
der beschwerliche Alltag in jenen Tagen ohnehin mit sich brachte. Aller-
dings war die Öffentlichkeit durch allgemein gehaltene Flugblätter und
öffentliche Aufrufe, die aber nichts über die Identität eventuell zu erwar-
tender fremder Truppen aussagten, informiert worden und hatte sich die
entsprechenden Instruktionen zu Herzen genommen. Die noch jungen
Rekruten der Schweizerischen Grenzwacht bekommen nun den Befehl,
zur Vorbereitung der (immer noch vorläufigen) Internierung der Truppe
deren Entwaffnung vorzunehmen. Auch das liechtensteinische Staats-
oberhaupt, Fürst Franz Josef II. von und zu Liechtenstein, trifft bald am
Schauplatz der Ereignisse ein und macht sich selbst ein Bild von der
Lage, zumal der Entscheid um Aufnahme dieser Flüchtlinge ja von ihm
verantwortet werden muß und nicht von der Regierung allein getragen
werden kann. Inzwischen hat man sich notdürftig etabliert, und bereits
geht es ans Erzählen. Besonders der damals als Grenzwachtrekrut beim
Grenzübertritt der Russen unmittelbar dabeigewesene Rinaldo Pedrazzi
aus Poschiavo hat seine Erlebnisse mehrfach ausführlich schildern müs-
sen, vor allem zunächst seinen Vorgesetzten, dann auch im Kameraden-
kreis und privat. Das Geschehen jener Nacht ist wie allen anderen auch
ihm unvergeßlich geblieben. Er ünd-sein Kollege Morf waren es, die als
erste mit den Russen Kontakt bekamen und auch Alarm schlugen,
indem sie die Vorgesetzten unterrichteten. Instruktionsgemäß gingen sie
in leichte Deckung und riefen „Halt! Schweizer Grenzwache!”. Da das
vordere gepanzerte Fahrzeug nicht reagierte, wurde gefeuert, berichtet
er. Das weitere Geschehen ist bekannt. Man begleitete die Truppe nach
Vorderschellenberg. Pedrazzi wörtlich: „Der Offizier, welcher uns
begleitete, hatte ein langes, abgehärtetes Ledergesicht. Er sprach ein
wenig deutsch und war zufrieden. daß für ihn und seine Mannschaft der
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