Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2004)

DONNERSTAG, 2. DEZEMBER 2004 VOLKSI ||U| AlVin ZEITDOKUMENT BLATT I I IM LMIM 
U 50 JAHRE AHV 
7 \ ihre besondere Aufgabe zu erfüllen» zentralen Ansprache des damaligen Regierungschefs und «Vaters der AHV» Alexander Frick (Fortsetzung von Seite 6) werbenden, also die Bauern, die Ge­ werbetreibenden, die freien Berufe, ha­ ben - sofern ihr steuerpflichtiges' Ein­ kommen 42(X) Franken überschreitet, 4 Prozent an Prämien zu bezahlen. Be­ trägt hingegen das Einkommen aus ei­ ner Bauernsame oder einem kleinhand­ werklichen Betriebe nicht 4200 Fran­ ken. so wird der Priimiensatz reduziert. U Diese Herabsetzung geht bis auf 2 Pro­ zent herunter. Demgegenüber hat jeder Versicherte, der das 65. Altersjahr er­ reicht hat und mindestens ein Jahr Prä­ mien einbezahlt hat, einen unbedingten Rechtsanspruch auf eine Altersrente. Hinterbliebenenversichening: Die Rosine in diesem Kuchen Die Höhe dieser Altersrenten ist nach dem Einkommen und der Dauer der Einzahlung verschieden. Die Al­ tersrente für eine Einzelperson betrügt im Minimum 480 und im Maximum 1500 Franken. Die niedrigste 'Ehepaar- Altersrente beträgt 770 Franken und die höchste 2400 Franken pro Jahr. Fiir bedürftige Leute über 65 Jahren, die der Versicherung nicht mehr bei­ treten können, sieht das Gesetz vor. dass wenn sie eine bestimmte Ein­ kommensgrenze nicht überschreiten, sie eine Übergangsrente erhalten sol­ len. Besonders gut vorgesehen ist für die Witwen und Waisen. Der Liech­ tensteiner heiratet bekanntlich jung und meistens mittellos. Wenn er ein ordentlicher Mann ist, bringt er mit seinem Verdienst seine Familie hoch, hat er aber Pech, stirbt er frühzeitig von der Familie weg. dann ist das Elend da und hier bringt nun die Vor­ lage einen wirklich wirksamen allge­ meinen Schutz. Die Hinterbliebenen­ versichening ist wohl die Rosine in diesem Kuchen. Auch möchte ich hier speziell noch auf die Solidaritätsbeiträge hinweisen, die Leute zu bezahlen haben, die mehr als 7500 Franken im Jahre verdienen. Es ist eine unbestrittene Tatsache, dass die in der Gesetzesvorlage fiir alle Kleinverdiener, also Arbeiter, Klein­ gewerbetreibenden und fiir die Gross­ zahl unserer Bauern vorgesehenen Renten bedeutend höher sind, als sie ihnen auf Grund ihrer Einzahlungen versicherungsmathematisch gesehen zustehen würden. Wie soll der Staat das bezahlen? Einen Hauptbeitrag an diese soziale und ausgleichende Rentengestaltung leistet bekanntlieh der Staat. Die Vor­ lage sieht vor. dass der Staat in den ersten 20 Jahren jährlich einen Beitrag von 440 000 Franken an die Versiche­ rung leistet, in den diesen zwanzig Jahren folgenden zehn Jahren je 760 (XX) Franken und dann jährlich 950 000 Franken. Ausserdem hat der Staat für die Verwaltungskosten aufzukommen. Diese Verwaltungskosten sind mit höchstens 50 000 Franken pro Jahr budgetiert. Die Finanzierung dieser Staatsbeiträge bildet nun bekanntlich Gegenstand eifrigster Diskussion. Das Gesetz über die AHV sieht vor, dass diese Staatsbeiträge und die Verwal­ tungskosten in den jährlichen Landes­ voranschlag aufzunehmen seien'. Wie wird nun dieser zusätzliche Betrag vom Lande aufgebracht? Unsere Staatsrechnung muss - so ist es bei uns Brauch - möglichst ausge­ glichen werden, d. h. Einnahmen und Ausgaben sollen sich grundsätzlich decken. Wenn wir nun diese Fr. 370 000 ins Budget aufnehmen, so müssen wir entweder die bisherigen Ausgaben um diesen Betrag reduzie­ ren können oder wir müssen um gleich hohe Mehreinnahmen besorgt sein. Ich sehe vorläufig nicht gut eine Möglichkeit, die Staatsausgaben um diesen Betrag zu senken und zwar des­halb 
nicht, weil wir dringende Bauauf­ gaben zu erfüllen haben. Wir müssen also fiir Mehreinnahmen besorgt sein. Dem Landtag steht bekanntlich das Recht zu, den Steuerfuss fiir die Lan- dessteuer jährlich entsprechend dem Finanzbedürfnis festzusetzen. Gesamtsteuerertiöhung von etwa 13,5 Prozent 220 000 Franken müssten vorläufig - ich sage ausdrücklich vorläufig - auf die Landessteuer geschlagen werden. Die Landessteuer beträgt derzeit 550 000 Franken. Um diese 220 000 Franken zusätzlich herauszubekom­ men. miisste also eine Erhöhung der Landessteuer um 40 Prozent vorge­ nommen werden. Im Verhältnis zur Gesamtsteuer, die das Volk an Vermö­ gens- und Erwerbssteuer für Land und Gemeinden aulbringt, würden diese 220 000 Franken einer Gesamtsteuer­ erhöhung von etwa 13.5 Prozent gleichkommen. Sie müssen sich nun selber überlegen, ob eine solche Steuererhöhung tragbar sei oder nicht. Ich habe vorhin ausdrücklich er­ wähnt, dass das eine vorläufige Mass­ nahme sei, denn ich sehe den Zeitpunkt kommen - immer unter der Vorausset­ zung, dass nicht ein besonderes Un­ glück passiert - dass diese Steuererhö­ hung wieder rückgängig gemacht wer­ den kann. Wir haben derzeit ein Rhein­ baubudget von jährlich mindestens 50 000 Franken. Wenn nun die grossen Baggerungsprojekte zur Durehfühmng gelangen und es bestehen dafür beste Aussichten, dass dies der Fall ist, so werden wir nach Abschluss der jetzi­ gen Wuhrerhöhungen - die selbstver­ ständlich trotzdem durchgeführt wer­ den - am Rhein eine Generation lang keine grossen Ausgaben mehr haben. Auch bei den Strassenbauten wird es, wenn wir durch Jahre hindurch jedes Jahr etwa drei Viertelmillionen verbau­ en, einmal leichter werden. Auch hier wird man die nötigsten Aufgaben in ei­ nigen Jahren erfüllt haben. Nochmals möchte ich aber betonen, dass der Landtag zu den Finanzie­ rungsvorschlägen der Regierung noch keineswegs beschlussmässig Stellung bezogen hat und es besteht die Mög­ lichkeit, dass vielleicht doch noch die Bauprogramme etwas verlangsamt werden, um den unbeliebten Steuerer­ höhungen möglichst aus dem Wege gehen zu können. Die Frage, wie die Staatsbeiträge von 760 000 Franken nach 20 Jahren finanziert werden sollen, möchte ich dahingehend beantworten, dass bis an- hin unser Saminawerk, das bekannt­ lich ganz mit fremden Geldern gebaut wurde, aus sich heraus schuldenfrei sein wird und dass dann dem Staat zur Erfüllung seiner sozialen Aufgaben jährlich Einnahmen von einer halben Million aus diesem Titel zur Verfü­ gung stehen werden. Blutarm und zahlungsunfähig Ich möchte einem Haupteinwand gegen die Vorlage begegnen. Es heisst, dass diese Versicherungsanstalt unse­ rer Wirtschaft dermassen viel Geld entziehen würde, dass diese in kurzer Zeit blutarm, schlapp und zahlungsun­ fähig würde. Ja, es wird in der er­ schienenen Broschüre sogar das Ge­ spenst aufgezeigt, nach welchem das private Eigentum mit den Jahren insi Staatseigentum übergeführt werden würde, d. h. die AHV-Beiträge könn­ ten nicht aus dem laufenden Volksein­ kommen bezahlt werden, sondern es müsste die Vermögenssubstanz ange­ griffen werden. Sehen wir uns einmal die Sache etwas näher an. Entwicklung des AHV-Fonds Unsere Beauftragten Professor Dr. Saxer und Dr. Gysin haben in ihren 
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1 Die Einführung der AHV war vor 50 Jahren äusserst umstritten, inzwischen ist diese erste Säule unserer Altersvorsorge jedoch längst allseits anerkannt. Berechnungen vorgesehen, dass der AHV-Fonds nach den ersten 50 Jahren auf 26 Millionen angewachsen sein soll, also im Jahre 2003 würden wir einen AHV-Fonds besitzen, der, wenn er planniässig geüuffnet wird, auf 26 Millionen steigen würde (Anmerkung der Redaktion: Effektiv warder Fonds 2003 mit 1,8 Mia. Franken um fast das 70-Fache grösser). Daraus ergibt sich, dass in den ersten 50 Jahren pro Jahr durchschnittlich gut eine halbe Mil­ lion der Volkswirtschaft entzogen und diesem Fonds zugeführt würde. Was bedeutet nun diese halbe Million für unsere Volkswirtschaft? Unser Volk gibt allein im Laufe eines Jahres für Gesprächstaxen einen Betrag von ei­ ner halben Million aus. Dieses Geld geht derzeit noch fast zur Gänze nach der Schweiz zur Verzinsung und Amortisation der hohen Automatisie­ rungskosten und für Neuanlagen. Ich habe bis heute noch keinen Geschäfts­ mann jammern hören, der gesagt hät­ te, durch den Entzug dieser halben Million Franken würde unsere Wirt­ schaft blutarm gemacht. Ein weiterer Vergleich: In unserem Land werden allein für Alkohol (ohne die alkohol- freien Getränke und ohne die gebrann­ ten Wasser) 1,3 Mio. Franken ausge­ geben. Man wird mir entgegnen, dass an diesem Betrage die Fremden stark beteiligt seien. Ich gebe dies ohne weiteres zu, möchte aber erklären, dass sich demgegenüber auch der Liechtensteiner, der bekanntlich auch gerne auf Reisen geht, im Auslände zusätzlich mit Alkohol eindeckt. Für einige hunderttausend Franken im Jahre werden zudem Tabake und Ziga­ retten gekauft und in die Luft gebla­ sen. Wie ich schon früher erwähnte, hat unser steuerpflichtiges Erwerbs­ einkommen im Jahre 1925 rund drei Millionen betragen. Im Jahre 1951 waren es 21 Millionen. Wir ersehen daraus, dass unser Volkseinkommen durchschnittlich jährlich um mehr als eine halbe Mil­ lion anstieg. Wenn wir nun hingehen und eine halbe Million für unser Alter auf die Seite legen, so tun wir nichts anderes, als dass wir unseren Lebens­ standard ein Jahr auf der gleichen Hö­he 
belassen und ihn nicht weiter an­ steigen lassen. Bei konsequenter Anwendung der Auffassung der Gegner der Vorlage müsste schon ein ganz geringer Rück­ gang des Volkseinkommens fast zwangsläufig zu einer wirtschaft­ lichen Katastrophe führen. In Wirk­ lichkeit würde das zur Folge haben, dass verschiedene unnötige Ausgaben einfach unterblieben, der Lebensstan­ dard also etwas zurückginge. Lebensstandard wohin? Eingangs habe ich erwähnt, dass der heutige Liechtensteiner vielfach sehr gern zu allen Neuheiten und allen Neuerungen mit Vergnügen und ohne viel Bedenken ja sagt. Das stets stei­ gende Einkommen veranlasst unser Volk in stetem Masse zu Ausgaben, die zwar ein reiches Volk, wie das der Schweiz, ohne weiteres machen kann, die mir aber für uns als zu hoch er­ scheinen. Unser Lebensstandard muss nicht unbedingt von Jahr zu Jahr in diesem Masse ansteigen. Wir wollen nicht die schon bestehende Substanz angreifen und diese allmählich dem AHV-Fonds übergeben. Nein, was wir wollen und was bestimmt auch die Folge sein wird, ist, dass von dem stei­ genden Nationaleinkommen ein ge­ wisser Prozentsatz zur Kapitalbildung auf die Seite gelegt wird. Wenn aus diesem Grunde einige Millionen Kilo­ meter weniger gefahren und weniger neue Fahrzeuge angeschafft werden, wenn etwas weniger getrunken und geraucht wird, so ist das nur er­ wünscht, denn das Geld, das für all das ausgegeben wird, geht zur Haupt­ sache schnurstracks aus dem Lande hinaus und ist für unsere Volkswirt­ schaft fiir immer verloren. Gefährliches Spiel Die Leitung der Gewerbegenossen­ schaft treibt ein etwas gefährliches Spiel mit der Volksgemeinschaft Ich sage ausdrücklich: «Die Leitung», weil ich weiss, dass ein grosser Teil der Gewerbe- und Handeltreibenden mit dem Vorgehen der Genossen­ schaftsleitung in dieser Hinsicht nicht einig gehen. Im Jahre 1946 kam es be­kanntlich 
zu einer Initiative gegen die beschlossenen Änderungen in unse­ rem Steuerwesen. Auch damals reiste ich von Gemeinde zu Gemeinde, um das Volk über die Richtigkeit dieser Massnahme aufzuklären und in die­ sem Zuge erklärte der Präsident der Gewerbegenossenschaft vor einigen Versammlungen, dass die Gewerbcge : nossenschaft diese nur halbe soziale Massnahme ablehne, dass die Gewer­ begenossenschaft aber auf dem Plan sein werde, wenn die Regierung eine grosszügige, allumfassende Alters­ und Hinterbliebenenversicherung dem Volke zum Entscheid vorlege. Die Ge­ werbegenossenschaft würde zu einer grosszügigen wirklichen Lösung der sozialen Fragen gerne und überzeugt ja sagen. Und heute? Jetzt heisst es, man wäre schon für eine AHV, aber nicht in dieser Form. Ja, es wäre zu überlegen, ob nicht eine Arbeitslosen­ versicherung dieser Alters- und Hinterbliebenenversichening voranzu­ gehen hätte. Eine Schicksalsgemeinschaft Aus diesem Verhalten heraus ist die Verärgerung wohl etwas zu verstehen, die aus einem heute erschienenen Flugblatt der Arbeiterschaft spricht, indem dort davon die Rede ist, dass ei­ ner der drei Ringe - gemeint ist das Plakat, «Wir sind eine Volksgemein­ schaft» - herausgebrochen werden solle. Dazu möchte ich aber nun mit aller Deutlichkeit sagen, dass wir trotz allem eine Gemeinschaft, ja eine Schicksalsgemeinschaft, darstel len. Wir alle haben allen Grund stets und überall einander zu berücksichtigen und beizustehen, vor allem auch in wirtschaftlichen Dingen. Wir müssen das Geld, das Blut der Wirtschaft, im Lande zirkulieren lassen. Es darf also keineswegs in Frage kommen, dass Boykottdrohungen, die man etwa hört, in die Tat umgesetzt werden. Sparen ist für alle angezeigt Zusammenfassend möchte ich kurz wiederholen, dass nun die Zeit ge­ kommen ist, in der wir das schon Uber 30-jährige Verfassungspostulat auf Einführung der Alters- und Hinterblie­ benenversicherung endlich erfüllen sollten. Es sprechen dafür nicht nur soziale, sondern vor allem auch .staats­ politische Gründe. Wir haben gese­ hen, dass die Vorlage sowohl für den Versicherten wie für den Staat, als auch für die Wirtschaft wirklich trag­ bar ist, ja, dass sie für unsere Volks­ wirtschaft sogar deshalb zum grossen Segen werden kann, indem unser gan­ zes Volk durch sie zu zusätzlichem Sparen veranlasst wird, zum Sparen, das vor allem fiir uns angezeigt ist. Paradies und Hölle Man kann immer wieder hören, wie Liechtenstein mit einem Paradies ver­ glichen wird. Mit einem Paradies, in dem alles wohlgeordnet, sauber und schön sei. Meine Herren, Sie gehen mit mir bestimmt einig, wenn ich sa­ ge, dass der schönste Palast zur Hölle werden kann, wenn der Friede in die­ sem Palast nicht vorherrscht und dass eine Hütte zu einem Ort des Glückes wird, wenn der Friede darin wohnt. Es ist schon so, wie ich letzthin vor dem Landtage ausführte, dass jede Genera­ tion ihre besondere Aufgabe zu erfül­ len hat. Wenn es uns nicht gelänge, den sozialen Frieden im Lande auf­ recht zu erhalten und das Ausein- anderfallen unseres Volkes in einander sich bekämpfende Klassen zu verhin­ dern, dann meine Herren, würde es später bestimmt heissen, trotzdem wir soviel gebaut, wir so viele kulturelle Werke geschaffen haben, wir hätten unsere wichtigste Aufgabe nicht er­ kannt und sie somit auch nicht erfüllt. (i'
	        

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