Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2004)

I DONNERSTAG, 2. DEZEMBER 2004 
VOLKS! B SVIH A IV1ZEITDOKUMENT BLATT I 
INLAND 50 JAHRE AHV EIN ZEITDOKUMENT AHV: Reformbereitschaft und Weitsicht vor 50 Jahren VADUZ - In diesem Jahr ist die Alters- und Hinterlassenenversicherung 50 Jahre alt ge­ worden. Der grossen Bedeutung dieses Er­ eignisses entsprechend, veröffentlichen wir heute auf diesen Seiten ein Zeitdokument. Es handelt sich um die leicht gekürzte Anspra­ che des seinerzeitigen Regierungschefs Ale­ xander Frick, der als «Vater der AHV» in die Geschichte einging. Enormer Kraftakt Dieses Zeitdokument belegt eindrücklich, welch enormer Kraftakt die Einführung der AHV durch die damalige Generation war und welche Hoffnungen und Ängste durch diesen epochalen Entscheid seinerzeit ver­ knüpft waren. Aktuell ist dieses Zeitdoku­ ment nicht nur durch das AHV-Jubiläum, sondern auch dadurch, dass sich auch Liech­ tenstein zunehmend mit einer Reformbereit- schaft anfreunden muss. Eine ganz gehörigc- Portion Reformbereitschaft und Weitsicht legte die seinerzeitige Generation an den Tag. als es für die im Volk sehr umstrittene AHV grünes Licht gab: Am 14. Dezember 1952 wurde der Einführung der AHV per I. Januar 1954 mit 1574 zu 1366 Stimmen knapp zugestimmt. Fels in der Brandung Der Abstimmung voraus ging ein sehr kon­ troverser und dementsprechend heftiger Ab­ stimmungskampf. Fels in der Brandung in diesem Abstimmungskampf war Regierungs­ chef Alexander Frick. Im Vorfeld der Ab­ stimmung warb er bei Versammlungen in den einzelnen Gemeinden für die Einführung dieses Sozialwerkes. Wenige Tage vor der Volksabstimmung hielt Regierungschef Ale­ xander Frick an der Abschlusskundgebung der Regierung in Vaduz die nachstehend in wesentlichen Auszügen zitierte Ansprache. Die Einführung der AHV wurde im Volk aber auch nach der Volksabstimmung sehr kontrovers diskutiert. Da dabei auch ver­ schiedene Aussagen von Regierungschef Alexander Frick verzerrt wiedergegeben, wurden, beschloss dieser, seine Ansprache drucken zu lassen. Für jeden Bürger Alexander Frick: «Meine nachstehende Ansprache ist heute trotz, oder vielleicht ge­ rade wegen der Annahme der Gesetzesvorla- gc durch das Volk Gegenstand häufiger Diskussionen. Ich musste nun aber mehrmals feststellen, dass meine Ausführungen teils bewusst, teils auch unbewusst. schon ganz verzerrt wiedergegeben werden. Aus diesem. Grunde habe ich mich entschlossen, das Ste­ nogramm, das ich aufnehmen liess. in Druck zu geben und jedem Bürger in einem Exem­ plar zu überreichen, damit Freunde und Geg­ ner des AHV-Gesetzes von der gleichen Grundlage ausgehen können.» (MF) (Anmerkung: Die nebenstehend abgedruck­ ten Ausführungen wurden von uns leicht ge­ kürzt, die Zwischentitel wurden von der Redaktion eingefügt.) 
AHV: c<Jede Generation hat 50 Jahre AHV 1954-2004 - Ein Zeitdokument: Gekürzte Fassung der Herr Gemeindevorsteher, werte Mitbürger! Der Landtag hat am 13. November 1952 die Regierungsvorlage über die Einführung einer Alters- und Hinterbliebenenversicherung ein­ stimmig zum Beschluss erhoben und hat bestimmt, dass diese Vorla­ ge der Volksabstimmung zu unter­ werfen sei. Gleichzeitig hat er die Regierung beauftragt, diese Geset­ zesvorlage nicht nur in einer schriftlichen Botschaft, sondern auch in öffentlichen Aufklärungs- versammlungen zu vertreten. Die Regierung ist diesem Auftrag mit Überzeugung, ja mit Begeisterung nachgekommen, gibt es doch für den Bürger nichts Schöneres, als für den gesunden Fortschritt einzu­ treten und für einen christlichen Regierungsmann bedeutet es wohl das Schönste, die Fahne des sozia­ len Fortschritts hochhalten und vor­ antragen zu dürfen. Es freut uns ausserordentlich, dass wir zum Ab- schluss unserer Tournee hier in Va­ duz vor einer so grossen Versamm­ lung reden können. Für den gesunden Fortschritt eintreten Gegner der Vorlage ziehen die Notwendigkeit der Einführung die­ ser Neuerung in Zweifel. Man kann etwa hören, «es ist bis heute auch ohne das gegangen, wir sehen nicht ein, warum es künftighin nicht auch ohne das gehen sollte». Diese -Herren übersehen offensichtlich ganz die gewaltigen Änderungen, die sich im Verlaufe der letzten Jah­ re im Leben unseres Volkes vollzo­ gen haben. Es ist eine unbedingte Voraussetzung, dass man sich die­ ser umwälzenden Veränderungen bewusst ist, um die Notwendigkeit der Einführung dieser sozialen Institution einsehen zu können. Deshalb möchte ich eingangs des heutigen Aufklärungs- und Diskus- sionsabends an Hand einiger weni­ ger Beispiele aufzeigen, wie sehr sich die Lebensweise unseres gan­ zen Volkes gewandelt hat. Jedem wird es ein Leichtes sein, die Ge­ dankengänge, die ich mangels Zeit nur andeuten kann, selber weiter zu verfolgen: Luxus statt Landwirtschaft Noch vor Jahren hiess es, wenn jemand einen Radioapparat besass, das muss ein recht vermöglicher Mann sein, sonst könnte er sich diesen Luxus nicht leisten. Heute haben wir laut Rechenschaftsbe­ richt in unserem Lande schon 2500 Radios bei einer Familienzahl von etwas Uber 3000. Als ich noch zur Schule ging hiess es, der Liechten­ steiner ernähre sich zu 80 Prozent von der Landwirtschaft. Die Volks­ zählung 1951 bringt das betrübli­ che Resultat, dass heute nicht mehr 23 Prozent sich voll von der Land­ wirtschaft ernähren. Amerikanischer Lebensstil hat auch unser Land ergriffen . Früher lachte man hierzulande über die Amerikaner als einem Vol­ ke, das haste, das Geld zusammen­ raffe, das möglichst viel verdienen wolle und all dieses Geld aber wie­ der leicht ausgebe für Autos, Kühl­ schränke, Staubsauger und andere nicht unbedingt nötige Dinge. Wir müssen nun feststellen, dass dieser amerikanische Lebensstil auch un­ ser Land ergriffen hat. Unter diesen Umständen ist es nicht allzu ver­ wunderlich, dass es heute dem Bür­ ger im Gegensatz zu früher viel schwerer fällt, etwas auf die Seite zu bringen. Das Realeinkommen ist 
«Auch dem Schwerfälligsten unter uns muss bewusst werden, welch äusserst gefährliche Lücke wir hier noch aufweisen»: Der seinerzeitige Reglerungschef Alexander Frick kämpfte vor gut 50 Jahren für die AHV-Einführung. seit 1925 ungefähr auf 250 Prozent angestiegen. Demgegenüber ist festzustellen, dass im Jahre 1925 unser Landgericht rund 800 Zahl­ befehle ausstellte, im Jahre 1951 waren es trotz stark gestiegenem Volkseinkommen über 3000. Ein Zwangssparen für das Alter Diese Umstände nun bewegten die fürstliche Regierung etwas vor­ zukehren, Sie glaubte es nicht mehr länger verantworten zu können, dieser Entwicklung, die schon wei­ ter vorangeschritten ist als die Bür­ ger glauben, untätig zuzusehen. Auch andere Staaten standen schon früher vor demselben Problem, auch ausländische Regierungen fragten sich: Was wird passieren, wenn diese Leute, die alles vorweg verbrauchen, nicht mehr arbeitsfä­ hig sind? Namhafte Nationalöko­ nomen ersannen schon im letzten Jahrhundert die obligatorische Al­ tersversicherung. Wenn der Bürger selber nicht mehr sparen kann und will, so soll ein Zwangssparen an dessen Stelle treten, damit niemand in seinem Alter ganz ohne Mittel dastehe. Legt der einzelne Bürger keine Reserven mehr für die alten Tage an, so müssen wir eben mittels Gesetz ein gemeinsames Reservoir anlegen in das jeder, ge­ messen an seiner Zahlungskraft, einzahlen muss, damit jedem ein Existenzminimum auch für die al­ ten Tage sichergestellt ist. Existenzsicherung für alte Leute Vergessen wir nicht, dass dank der modernen Hygiene und Ernäh­ rung auch der Liechtensteiner durchschnittlich viel älter wird und das Problem der Existenzsicherung der alten Leute schon aus diesem Grunde ständig an Bedeutung zu­nimmt. 
Es geht in Gottes Namen nicht an. dass wir wohl die leichte­ re Lebensart anderer Völker beden­ kenlos übernehmen, die Siche- rungsnvassnahmen aber, zu denen andere Regierungen schon längst greifen mussten, einfach als un­ liechtensteinisch ablehnen. Eine äusserst ernste Zeit Demgegenüber gibt es aber noch eine viel ernstere, nämlich die staatspolitische Seite. Im bürger­ lichen Leben heisst es immer wie­ der, man solle aus den eigenen Er­ fahrungen - vor allem aber aus den schlechten Erfahrungen - lernen. Das gilt auch für den Staat. Heute stehen wir wieder, ich glaube darin gehen wir alle einig, in einer äus­ serst ernsten Zeit. Die meisten Kul­ turvölker der Erde bringen einen wesentlichen Teil ihres National­ einkommens für die Aufrüstung auf. Sie alle wissen so gut wie ich, dass jetzt das grösste Wettrüsten, das die Welt je gesehen hat. in vol­ lem Gange ist. Armeen werden auf­ gestellt, junge Leute werden allent­ halben für längeren Militärdienst eingezogen. Die Aufrüstung muss ohne Rücksicht auf die Kosten an­ gesichts der drohenden Gefahr vor­ angetrieben werden. Geistige Landesverteidigung Für uns kommt das alles nicht in Frage. Aber ich stelle mir die ernste Frage, ob es nicht unsere grösste Pflicht sei, dass wir jetzt, nachdem wieder so ernste Zeichen am Him­ mel stehen; daran gehen sollten die geistige Landesverteidigung, die uns vor wenigen Jahren doch so grosse, ernste Sorgen bereitete, in Ordnung zu bringen. Wenn wir bedenken, dass die freundnachbarliche Schweiz, 
Österreich. Deutschland, Italien. Frankreich die Alters- und Hinter- blichcncnversicherung eingeführt haben, so muss auch dem Schwer- lalligsten unter uns bewusst wer­ den. welch äusserst gefährliche Lücke wir hier noch aufweisen. Durch diese Bresche würden die Verführer und falschen Propheten wieder mit Leichtigkeit in unsere innere Front einschleichen und un­ sere Sicherheit durch Schaffung von Unfrieden von innen heraus schwer bedrohen. Schliessen wir also die klaffende Bresche, führen wir das ein, was andere Staaten heute für eine Selbstverständlich­ keit halten und ermöglichen wir da­ mit auch den Ärmsten unter uns, dass sie in Zeiten der Versuchung auch gute Patrioten bleiben kön­ nen. Das ist die staatspolitische Seite des Problems, die mir vor al­ lem am Herzen liegt. Ungeliebtes Obligatorium Und nun zur Vorlage selber. Stö­ rend wirkt bei vielen das Obligato­ rium. Ich muss Ihnen aber leider sagen, dass wir nur auf diese Weise zum Ziele kommen. Das Gesetz, über das am Sonntag abgestimmt werden wird, ist im Wesentlichen dem in der Schweiz geltenden Recht nachgebildet. Es bringt für alle in Liechtenstein Wohnhaften eine Versicherungspflicht, gleich­ gültig ob arm oder reich, ob Bauer oder Arbeiter, ob frei Erwerbender oder Angestellter. Alle haben grundsätzlich für ihr Einkommen 4 Prozent an Prämie zu entrichten, wobei zu sagen ist, dass die unselb­ ständig Erwerbenden 2 Prozent selbst zu entrichten haben und die übrigen 2 Prozent vom Arbeitgeber zu tragen sind. Die Selbständiger- (Fortsetzung auf Seite 7) fi
	        

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