Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2003)

DONNERSTAG, 27. NOVEMBER 2003 VOLKS I 
8«VI 
I A Mn EIN BESUCH IM SCHULZIMMER BLATT I I 
I M LH IM U STIMMEN AUS DEM SCHULZIMMER 
9 I 
SCHÜLZI MM ERSTIMM EN Andreas Aprile: Ich gehe gerne in die Schu­ le. Ich mache gerne Lernspiele am Compu­ ter. Meine Schulfreunde sehe ich auch-in der Freizeit. Ich spiele Fussball oder Minigolf mit ihnen. Manchmal kommen sie auch zu mir und schlafen am Wochenende bei uns. Die Lehrerinnen sind lieb. Sie helfen mir beim Lesen und beim Schreiben. Meine Freunde helfen mir auch. • • * Klassenkollegen von Andreas: Die meisten von uns sind seit dem Kindergarten mit An­ dreas zusammen. Wir kennen uns schon lan­ ge und wir gehen gerne mit ihm zur Schule. Er braucht oft unsere Hilfe und manchmal, müssen wir uns ganz genau überlegen; wie wir ihm eine Aufgabe am besten erklären können.. Beim Rechnen zum Beispiel neh­ men wir manchmal die Finger zu Hilfe und beim Schreiben buchstabieren wir ein Wort für ihn. Auf der anderen Seite lehrt er uns; Geduld zu haben. Er braucht einfach ein' bisschen länger, bis er etwas versteht und dann kann es schon zu einer Geduldsprobe werden für uns; aber irgendwie ist es dann doch auch schön, wenn wir sehen, dass er es jetzt doch begriffen hat. 
 ; * * * . Carina Aprile, Mutter von Andreas: Ohne die grossartige Unterstützung von Früherzie­ herin, Kindergärtnerin und dem Engagement von Lehrerinnen und Therapeutinnen und -der Schule Ebenholz hätten wir es, nie ge­ schafft; Andreas bis heute in der Primarschu­ le zu integrieren. Für uns war dies auch des­ halb so wichtig, weil wir spürten, dass dies auch Andreas' Wunsch war und er nach dem Kindergarten nicht in eine Spezialschule wollte. Mit den meisten seiner Klassenkame­ raden ist er seit dem Kindergarten zusammen und daraus sind wirklich sehr gute Freund­ schaften entstanden. Für mich ist es immer wieder überwältigend zu sehen, wie sehr sie sich um Andreas kümmern und Verantwor­ tung für ihn übernehmen. Natürlich läuft nicht immer alles reibungs- und problemlos und wir hatten schon einige Hürden zu über­ winden, aber dank der ; 
Ergänzungslehrerin Susanne Suter und der Unterstufenlehrerin Gabriela Marxer-Näscher haben wir dies bis­ her immer geschafft. • * * Patricia Bachmann, Lehrerin: Für mich war es eine grosse Aufgabe, diese Klasse zu übernehmen, da dies meine erste Klasse nach Abschluss 
des Seminars ist. Auf der einen Seite habe ich eine klare Stoffvorgabe, die die Kinder bis zum Ende des Schuljahres ler­ nen müssen und auf der anderen Seite ist es uns ein Ziel, Andreas zu integrieren. In vie­ len Situationen braucht er zusätzliche Unter- sttitzung.Vor allem in Fächern wie Ttirnen oder im Schwimmen muss ich mir überle­ gen, wo sich für ihn zusätzliche Gefahren verbergen. Der soziale Aspekt aber über­ wiegt für mich ganz klar, und ich bin sehr stolz auf meine Jungs und auch sehr beein­ druckt, wie sie die spezielle Situation im Schulzimmer oder auch auf dem Pausenplatz handhaben. Ich lerne täglich von ihnen und Andreas gibt uns allen sehr viel zurück. * # # Susanne Suter, Heilpädagogin: Ich arbeite als schulische Heilpädqgogin und seit, drei Jahren begleite ich Andreas. Er erhält Unter­ stützung in den Hauptfächern. Mit Patricia Bachmann kam eine neue Lehrerin und es ist klar, dass es für eine Klasse eine Umstellung ist, wenn eine neue Lehrperson kommt. In dieser Anfangsphase war es denn auch so, dass ich sehr intensiv mit Andreas am Schul- stoff arbeitete. Patricia Bachmann ihrerseits hatte damit Zeit, die Klasse kennen zu lernen und nach drei Monaten funktionierte die Zu­ sammenarbeit. Andreas ist bei seinen Klas­ senkollegen nicht nur im Schulzimmer ein Teil - er wird auch in ihre Freizeit miteinbe­ zogen, er gehört dazu. Das alles heisst aber nicht, dass es nie Probleme gibt. Es kommt immer mal wieder vor, dass es Kämpfe mit anderen Klassen oder Hänseleien von ande­ ren Schülern gibt. Wichtig ist auch, dass man sich bewusst ist, dass auch Andreas ein Kind ist, das nicht immer nur ruhig und brav im Schulzimmer sitzt. Er kann genauso ein Lausbub sein, wie andere zehnjährige Jungs und dann muss er mit den genau gleichen Konsequenzen rechnen, wie seine Klassen-, kameraden. 
«Was ist ein Gedicht?» • ,' • •• 
t •• Ein Besuch bei der 4. Klasse der Primarschule Ebenholz Vaduz Andreas (mit Brills) und seine zehn Klassenkollegen der 4. Klasse der Primarschule Ebenholz Vaduz: «Beim Rechnen nehmen wir manchmal die Fin­ ger zu Hilfe und beim Schreiben buchstabieren wir ein Wort für Andreas.. Auf der anderen Seite lehrt er uns, Geduld zu haben.» VADUZ - Andreas Aprile Ist ein Kind mit Downsyndrom. In der 4. Klasse der Primarschule Ebenholz Vaduz Ist er aber ganz einfach einer von elf Schülern, der Im Herbst Herbstgedichte liest und selber Gedichtreime schreibt. «Cornelia Hofer ~ «Guten Morgen, Kinder. Wie war der gestrige freie Tag? Was habt ihr gemacht?» Noch bevor die junge Viertklass-Lehrerin Patricia Bach­ mann die Frage ausgesprochen hat, gehen die ersten Hände in die Hö­ he. Obwohl am liebsten jeder der elf zehnjährigen Buben seine Er­ lebnisse erzählen würde, hören Marcels Klassenkameraden auf­ merksam zu, wenn der blonde 
«Was passt dazu?» Zwischenzeitlich sitzt die 4. Klasse der Primarschule Ebenholz Vaduz neben dem Lehrerpult im Kreis und Patricia Bachmann fragt: «Was ist ein Gedicht?» Einen kür­ zen Augenblick überlegen die en­ gagierten Schüler und schnell ge­ hen die Kinderarme in die Höhe. «Bei einem Gedicht reimen sich immer die Wörter am Ende der Zei­ le», erklärt Benedikt. «Gut, ja, aber es müssen nicht immer die Wörter am Schluss sein», präzisiert die Lehrerin. «Jetzt versucht mal, die einzelnen Satzteile zusammen zu setzen, damit wieder ein ganzes Gedicht entsteht. Am besten, geht das, wenn jeder seinen Satz laut vorliest, dann hört ihr,, welche Sät­ ze zusammengehören», ermuntert 
Elf Buben und eine Lehrerin: die 4. Primarschulklasse Ebenholz Vaduz. Wenn Andreas (links) beim Lesen nicht welter kommt, kann er auf die Unterstützung seiner Klassenkameraden zählen. 
ses in Vaduz eine spezielle ist: An­ dreas ist ein Kind mit einer Behin-' derung (Downsyndrom) und auf die Unterstützung seiner Klassen­ kollegen und der Klassen- und Ergänzungslehrerinnen Patricia Bachmann und Susanne Suter an­ gewiesen. «Was passt hier nicht?» Das ist auch heute Morgen so und nachdem Andreas und! Jakob «nur noch einmal bricht die Sonne unaufhaltsam durch den Duft» vor­ gelesen haben, verabschiedet sich Andreas für einen Moment von sei­ nen 
Freunden. «Komm, Andreas, wir üben ein paar. Reime zusam­ men», sagt seine Ergänzungslehre­ rin. Während nun die eine Gruppe im vorderen Teil des farbigen Klas­senzimmers 
die fünf Abschnitte von Storms «Herbst», komplettiert, sucht Andreas im hinteren Teil des Raumes die Wörter aus, die sich reimen. «Was passt hier nicht, Andreas?», fragt Susanne Suter ~und ich höre,'wie sie liest: «Klein, fein, schön.» Dann löst sich die Runde im vorderen Teil des. Klas­ senzimmers auf, denn jetzt gilt es, ein Aufgabenblatt zum Gedicht zu lösen. Leise setzen sich die Buben an ihre Pulte und sorgfältig beginn nen sie mit der Arbeit. Die Schüler beginnen bei verschiedenen Aufga­ benstellungen, 
um die Zusammen­ arbeit mit Andreas zu organisieren; Und erneut ist es ganz normal, wenn Patricia Bachmann sagt: «Ja­ kob, könntest du bitte Andreas hel­ fen, einen Reim zu schreiben?» Schüler sagt: «Lorenzo ist. zu mir " gekommen und wir haben zusam-" men Fussball gespielt, Das hat Spass gemacht.» Dann erzählt Pat­ rick von seinem Besuch beim Tier­ arzt, denn «unsere Meerschwein­ chen haben Milden.» «Was sind Milben?», will Basil. wissen und Patrick erklärt: «Milben sind so ganz kleine Tiere, ähnlich wie Flö- he, und die Meerschweinchen müs­ sen sich ständig kratzen.» Noch im­ mer sind sechs, sieben Kinderhän­ de in der Höhe und die Schüler hät­ ten noch viele Erlebnisse zu erzäh­ len, doch heute Morgen steht als Erstes der Deutischunterricht auf dem Programm und dort geht es um . Theodor Storms Gedicht «Herbst». 
Patricia Bachmanri die Schüler und ganz nebenbei fügt sie an: «Jakob, könntest du den Text bitte mit An­ dreas lesen.» «Und ein Strahl der alten Wonne rieselt Uber Tal-und Kluft», liest Emre und fragt: «Was passt dazu?» Fabio, Matthias und Oliver lesen auch ihre Sätze laut vor und plötz­ lich sagt Jakob: «Unseres passt,' Andreas, lies du mal vor.» Jetzt wird es einen Moment lang ruhi­ ger, alle Augen sind auf Andreas gerichtet und Jakob fragt: «Sollen wir es gemeinsam lesen?» «Ja, ger­ ne», sagt Andreas und zum ersten Mal nach 15 Minuten Unterricht wird klar, weshalb die 4. Primar­ schulklasse des 
Ebenholzschulhau-Andreas 
fühlt sich wohl in seiner Klasse und die meisten seiner Schul- kollegen kennt er schon seit dem Kindergarten.
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.