Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2003)

SAMSTAG, 22. FEBRUAR 2003 
VOLKS BLATT 
INLAND VERFASSUNG 
8 LESERMEINUNGEN MEIN STANDPUNKT Gute Nachbarschaft Dr. Michael Spindclegger sagt: «Es spricht nicht "von grosser Reife, wenn man eine Debatte, die eigentlich innerhalb eines Lan­ des geführt werden sollte, mit diesen Mit­ teln nach aussen trägt», und weiter: «Der • Europarat, der der Demokratie verpflichtet, ist, hat nicht die Aufgabe, ein Volk wie Liechtenstein vor einer Volksabstimmung zu beeinflussen. Vielmehr ist es für mich die höchste Form von demokratischer Ausein­ andersetzung, dass letztlich eine Entschei­ dung unmittelbar durch das Volk selbst, getroffen wird.» All dies und noch viel mehr Erfreuliches sagte der niederösterreichische ÖVP-Parla- * meritarier, seines Zeichens Österreichs Europarats-Delegationsleiter und Vizepräsi­ dent des. politischen Ausschusses des Euro­ parates. Ich habe immer den Standpunkt vertreten, Liechtenstein zuerst und dann der Europa­ rat. Als ich das Vorstehende las, war ich stolz auf Österreich, das einen solchen Dele­ gierten im Europarat hat und war froh und' glücklich, dass unser österreichischer Nach­ bar die liechtensteinischen Interessen so klar und positiv vertritt. Die von der Verfassungskommission und dem Fürstenhaus erarbeitete Verfassung' erhält in der Abstimmung von mir ein klares Ja und der Gegenvorschlag - dies im Inter­ esse Liechtensteins - ein noch klareres Nein. Adulf Peter Goop,-Vadu2 
Was bedeutet ein Nein? FORUM «Alles wie bisher» geht nicht Am 14 und 16. März 2003 werden die Stimmberechtigten über die Verfassungs- initiaiiven befinden. Die Meinung, man müsse'nur beide Initiativen ablehnen und es würde dann alles bleiben, wie es war, ist nicht zutreffend. Die Bürgerbewegung «Duales Liechtenstein» ersucht daher, sich eindeutig für die Initiative des Fürstenhau­ ses zu entscheiden. Es ist zuweilen die Meinung zu hören, dass bei einer Ablehnung beider Initiativen die Verfassung von 1921 in Kraft und damit alles wie bisher bleiben würde. Es trifft zwar zu, dass die Verfassung in der beste­ henden Form in Kraft bleiben würde, gleichzeitig würde aber das Staatsoberhaupt und mit ihm die ganze fürstliche Familie den Wohnsitz ins Ausland verlegen. Was wäre ein Fürstentum ohne Fürstenfamilie? Als kleines Land sollten wir uns nicht leisten, auf das enge Zusammenwirken von Staatsorganen und Staatsoberhaupt zu ver­ zichten. Nicht auszudenken, welchen Scha­ den das Ansehen des Landes nimmt, wenn sich das Staatsoberhaupt von den Repräsen­ tanten des Staates distanziert. Ausserdem ist es unklug, auf die vielfältige Unterstützung durch die Mitglieder des Fürstenhauses zu . verzichten, welche diese bisher ganz selbst­ verständlich und selbstlos in verschiedenen Einrichtungen unseres Landes leisten. Die Bürgerbewegung «Duales Liechten­ stein» wünscht sich, dass auch die Zukunft unserer Heimat in gemeinsamem Zusam­ menwirken von Fürst und Volk gestaltet wird. Aus" diesem Grunde werden alle Stimmberechtigten ersucht, ein eindeutiges Ja zur Initiative des Fürstenhauses in die Urne zu legen, und den so genannten «Ver 
: fassungsfrieden» mit Nein abzulehnen. Bürgerbewegung Duales Liechtenstein Forum Unter der Rübrik «Forum» veröffentlichen wir Zuschriften und Beiträge von Verbän­ den,- Vereinen, Aktionen und Institutionen. Das «Forum» drückt aus, dass die in den Beiträgen geäusserten Meinungen nicht mit der Haltung der Zeitung übereinstimmen müssen. 
In drei Wochen können wir endlich abstimmen und die Verfassiingsdis- kussion beenden. Je nach Ausgang der Abstimmung wird-sich daraus die eine oder andere Konsequenz ergeben". Ein Wegzug des Fürsten­ hauses kann mittelfristig die Been­ digung der Monarchie bedeuten. Ich bedaure natürlich, dass es so weit gekommen ist und die Verfas^ sungsentscheidung zur Vertrauens­ frage geworden ist. i\uch bin ich . sehr enttäuscht darüber, dass die . Verfassungsreform derart Unprö- fessiönell ablaufen musste. .Viel­ leicht ist unser Miliz-Polit-System wirklich an seine Grenzen gelangt. Aber jetzt können wir endlich demokratisch entscheiden. Weder ein Gericht noch der Europarat werden uns den Weg diktieren. Bei der Verfassungsentscheidung am 16. März sollten wir vor allem die Zukunft und weniger die Ver­ gangenheit unseres Landes im Auge behalten. Mir kommt es vor wie in einer Ehepartnerschaft, wo im Rahmen einer Auseinanderset­ zung der eine Partner die Geduld verliert und sagt: «Da sehe ich meine Grenze, wenn du dies nicht akzeptierst, dann gehe ich.» Wenn mir an der Partnerschaft etwas liegt, werde ich schauen, wo ich entgegenkommen kann, eben weil, ich mir die Fortsetzung der Part­ nerschaft wünsche. Wenn für mich die Partnerschaft keinen. Bo'den mehr hat, werde ich Sagen: «Dann musst du halt gehen!» Negative Emotionen sind schlechte Ratgeber Wenn wir das Verhalten einiger Exponenten in der Verfassungsfra­ ge beobachten und Lcserbrief-Äus- serungen analysieren, So ist fexjzu- - stellen,, dass 'viel Wut, Enttäu­ schung, Angst, aber auch Rechtha­ berei, Verbissenheit; Rachsucht oder Machtstreben, im Spiele sind. Ich habe Verständnis für diese Emotionen, sie gehören zum 
Von Hansrudi Sele, Menschsein und haben alle ihre Ursachen. Ich gehe auch davon aus;dass die davon Betroffenen, so weit sie sich darübeF bewusst sind, persönlich lieber nicht davon befal­ len wären. Emotionen sind auch Realitäten, sie sind jedoch schlech­ te Ratgeber für das Fällen einer rationalen Entscheidung. Emotio'-. nen sind dazu angelegt, den Kopf auszuschalten. Auch das kennen wir: Sowohl Verliebtheit wie auch Hass können uns zu unbedachten Handlungen verleiten. Die Fehler im Verfassungsreform- prozess haben dazu geführt, dass die Entscheidung über die Verfas­ sung zur Vertrauensfrage geworden ist. Historiker sollen später darüber sinnieren, wer welchen Beitrag zu dieser Fehlleistung geliefert hat. Sie werden wohl auch aufarbeiten, wie es zu diesem tiefen Misstrauen zwi­ schen Fürstenhaus und einzelnen politischen Exponenten kommen konnte. Gesichert erscheint heute einzig, dass für die Fehlleistungen alle Seiten mitverantwortlich sind. Bei meiner persönlichen Ent­ scheidung müss ich jedoch von den -heutigen Tatsachen ausgehen und vor allem die Konsequenzen mei­ ner Entscheidung überdenken. Für mich ist dies eine persönliche • Gewissensfrage.. Eine der Koiise r quenzen bei einem Nein zur "Ver- . fassyngsvorlage defc Fürstenhauses ist der Wegzug der Fürstenfamilie. Welche Wirkungen sind nun von diesem Wegzug zu erwarten? Eine Pseudo-Monarchie nützt uns gar nichts Im Juristen-Jargon heisst es, bei einem Nein zur Initiative des Fürs­ tenhauses würde man den Zustand von vor 1938 wiederherstellen. Das ist auf dem Papier wohl mög­ lich. In Tat und Wahrheit kann man aber das "Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Wenn der Fürst künftig wieder in Wien residiert, wie es vor 1938 der Fall war, so ist 
Gemeinderat, Vaduz «Die Vorlage des Fürstenhauses bringt meines Erachtens eine Stär­ kung der direkt-demokratischen Volksrechte»: Hansrudj Sele. dies nicht mehr dasselbe wie damals. • Die Dynamik im politischen Geschehen ist heute eine andere und nicht mehr vergleichbar mit den Drcissigerjähreri. Die Kontakte der obersten Staatsorgane haben um ein Vielfaches zugenommen. Auch die liechtensteinische Politik ist. viel stärker vom globalen .Geschehen betroffen und kann sich, „schon längst nicht mehr auf das Territorium unserer 160 - km 
! beschränken. Wenn das Fürsten­ haus das-Interesse am Mitgestalten verloren hat, wenn die Funktion des Monarchen' nur noch auf dem Verfassungs-Papier existiert und nicht mehr gelebt wird, so fehlt uns eine wichtige Ressource. Für mich ist dies kein, befriedigender Zustand für unser Land. Eine Monarchie ohne residieren­ den, aktiven Monarchen entspricht ganz und gär nicht meinen persön­ lichen Vorstellungen Stellen wir uns vor, Bundespräsident Klestil residiere z.B. in Monaco und Bun­deskanzler 
Schüssel reist regelmäs­ sig dorthin zu den erforderlichen Konsultationen!! Absurd! Ein Wegzug des Fürsten würde, das ist meine Auffassung, eine Änderung der Staatsform, also die Schaffung einer Republik, geradezu erforder­ lich machen, wenn wir uns nicht mit einer Pseudomonarchie zufrie­ den geben wollen. Die schädlich gewordene Aus­ einandersetzung ist zu beenden! Ich persönlich habe mir meine Meinung gebildet und lasse mich weder von euphorischen noch von negativen Emotionen anderer lei­ ten. Die im Zentrum stehende Ver- fassurlgsvorlage'wird nicht in Stein gemeisselt werden. Jedes Gesetz, auch das Grundgesetz, ist eine Lösung auf Zeit. Die alte Verfas­ sung hat 80 Jahre gehalten. Die neue wird eine kürzere Lebenszeit haben. Die Verfassungsvorlage ist ein Kompromiss, ein Verhand­ lungsergebnis, das sowohl von der Regierung, wie von der Vcrfas- sungskommission des Landtages - als auch vom Fürstenhaus als gang­ barer Weg bezeichnet wird. Sic Iässt sich in späteren Jahren, wenn die Wogen geglättet sind und eine neue Generation die politischen Schalthebel betätigt, je nach Erfor­ dernis weiterentwickeln. In der kommenden Abstimmung geht es auch darum, eine unproduktiv oder gar schädlich gewordene Ausein­ andersetzung zu beenden und ^as Wohl unseres Landes dabei nicht aus den Augen zu verlieren. Die Vorlage des Fürstenhauses' bringt meines Erachtens eine Stär­ kung der direkt-demokratisqhen Volksrechte. -Ich bin überzeugt, dass wir mit dem dualen System, mit einer ausgewogenen Machtbi- Janz zwischen Fürst und Volk, eine für unser Land optimale Lösung für die Staatsführung haben. Das sind meine Motive für ein Ja zur Verfas­ sungsinitiative des Fürstenhauses. Verlieren wir unsere innere Einheit? Gedanken von Dr. Peter Marxer zum Verfassungsstreit . (Fortsetzung von Seite 7) Verfassurigsstaates scheint es mir aber unbedingt notwehdig, dem Staatsgerichtghof auch weiterhin die Befugnis zu erhalten, einen Streit über die Rechte und Pflich­ ten der obersten Staatsorgane zu entscheiden. Das Argument, dass allen diesen Machtverschiebungen in Richtung des Fürsten das Kor­ rektiv in Form des vorgeschla­ genen. Artikels zur Abschaffung der Monarchie gegenübersteht, erscheint mir insofern als nicht stichhaltig, als es einerseits in der Praxis nicht realisierbar ist, weil allein schon ein eingeleitetes Ver­ fahren den Staat de facto hand­ lungsunfähig machen würde, und andererseits es auch nicht wün­ schenswert sein kann, wenn bei ' jeder Auseinandersetzung im Staat mit der Keule der Monarchieab­ schaffung gedroht werden kann. Wie soll es weitergehen? Natürlich wäre es von Übel und würde vielen Liechtensteinern 
Sorge bereiten, wenn Pürst und Erbprinz im Falle der Ablehnung ihrer Initiative den Wohnsitz nach Wien verlegen würden. Obwohl ich der Initiative des Fürsten nicht zustimmen kann (wie im Übrigen auch nicht der Volksinitiative für Verfassungsfrieden), wäre ich der Erste, der den Fürsten bitten würde, seine Entscheidung, den Wohnsitz nach Wien zu verlegen, zu' überden­ ken. Von noch grösserem Übel erscheint mir aber eine Annahme der Initiative des Fürsten, für die es im Landtag die geforderte Mehrheit nicht gab und die gegen eine nam­ hafte Minderheit an der Urne zustande kommt. Zum erstenmal in über 80 Jahren gäbe es dann, in unserem Lande viele Bürgerinnen und 
Bürger, die sich mit der Verfas­ sung nicht mehr ohne Vorbehalte identifizieren könnten. Die tiefe Kluft, die nicht zuletzt durch unbe­ dachte Worte und Unterstellungen von allen Seiten aufgerissen wurde, könnte nie ganz zugeschüttet wer­ den und würde den Staat nach 
innen und nach aussen entschei­ dend und nachhaltig schwächen. Ein Moratorium, eine Atempause, wäre deshalb in dieser verfahrenen Situation das Richtige gewesen. Aber dafür ist es zu s"pät. Doppeltes Nein ' als Chance für Neubeginn! . Ich bin jedoch überzeugt, dass dann, wenn das Volk beiden Initiati­ ven die Zustimmung verweigern würde, sich Fürst, Landtag und Regierung nach einer Phase der Überlegung im Bewusstsein ihrer schweren Verantwortung um unser Land einem Neubeginn nicht veN schliessen werden. Sollte jedoch die eine oder andere Initiative ange­ nommen werden, bleibt nur zu hof­ fen, dass die obersten Staatsorgane und ihre Repräsentanten mit Sorg­ falt und Umsicht um unserer inne­ ren Geschlossenheit willen alles in ihrer Macht Stehende tun werden, um irreparablen Schäden zu vermei­ den. Dazu muss auch die Erkenntnis gehören, dass allein die parlamenta­rische 
Demokratie.dauerhaft einen echten Interessenausgleich und damit Recht und Gerechtigkeit als Grundlage für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen, in Liechtenstein schaffen und erhalten kann. Somit dürfen auch schwierige Auseinandersetzungen nicht mehr auf dem Niveau geführt werden, wie dies im Rahmen des Verfas- - sungsstreites geschehen ist. Es soll­ te auch nie mehr vorkommen, dass das Volk unter Ausschaltung der . gewählten Volksvertretung . zur Lösung von verfassungsrechtlich umstrittenen und komplexen Fragen unter Androhung weitreichender Konsequenzen aufgerufen wird. Als Liechtensteiner, der sich zeitlebens mit seinem Land, dem Landesfürs- teri und seinem Volk verbunden fühlte, kann ich nur hoffen, dass die Männer und Frauen, die dereinst eine echte, weil breit abgestützte Verfassungsreform erarbeiten, mehr Fortüne und mehr Augenmass für das Notwendige und Machbare haben als ihre Vorgänger.
	        

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