Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2003)

DONNERSTAG, 13. FEBRUAR 2003 
VOLKS 
I IIVII 
AMH ABSTIMMUNGSBESCHWERDE BLATT I I IM LMIM 
\J STGH-ENTSCHEID UND INTERVIEW 
3 INTERVIEW Volksrechte durch Beschwer­ den nicht im Keime ersticken VADUZ - Dr. Johannes Gasscr vom Advokaturbüro Dr. Dr. Batlincr & Dr. Gasscr und in der Abstimmungsbe­ schwerde Rechtsvertreter der Beschwer- degegrier (der Landesfürst und der Erb­ prinz) hat zum Staatsgerichtshof-Ent­ scheid wie folgt Stellung genommen. * Martin Frömmel t Volksblatt: Herr Gasser, wie bewerten Sie diesen Entscheid des Staatsgerichtsho­ fes? Johannes Gasser: Dieser Staatsgcrichts- hofentscheid ist für das • Land Liechtenstein von überaus grosser Bedeu­ tung, da er zunächst ein­ mal nach über einem halben Jahr klar legt, wie wichtig die Demo­ kratie in Liechtenstein ist und dass man nicht zwei privaten Initianten - ich spreche hier vom Fürsten und vom Erbprinzen - das Recht absprechen kann, eine Volksinitiative zu lancieren. Der Staatsgerichtshof-Ent- scheid ist aber auch deshalb von grosser Bedeutung, da er jetzt ein für alle mal klar macht, dass man eine Abstimmungsbe­ schwerde erst dann einreichen kann und muss, wenn die Abstimmung von der Regie­ rung kund gemacht worden ist. Vorher bestand aufgrund früherer Entscheidungen von Anfang der 90er-Jahre eine gewisse Unsicherheit, ob man bereits zu Beginn beim Unterschriftensammcln eine Abstimmungs­ beschwerde einbringen muss. Das ist jetzt klar beantwortet. Der Staatsgerichtshof ist auf die konkre­ ten Punkte wie Abstimmungsfreiheit, Vol­ kerrechtskonformität, Einheit der Mate­ rie, etc. gar nicht eingegangen: Was schliessen sie daraus? Ich persönlich glaube, dass er mit der • ' Abweisung der Abstimmungsbeschwerde zumindest indirekt zu erkennen gegeben hat, dass er sich materiell mit der Idee, dass man nicht einfach mit Abstimmungsbe­ schwerden frühzeitig eine Initiative torpe­ dieren kann, identifiziert hat. Der Staatsgerichtshof hat die Beschwerde klar verworfen; er ist nicht einmal so weit gegangen wie die Verwaltungsbeschwerde­ instanz, sondern hat grundsätzlich die Rechtsansicht der Regierung gestützt... Ich bin darüber nicht nur erleichtert, son­ dern es stellt für mich eine Genugtuung dar. _ Jetzt, nach mehr als acht Monaten, herrscht nämlich Klarheit darüber, dass man nicht beliebig mit den Volksrechten im Fürstentum Liechtenstein in dem Sinne umgehen kann, dass man mit Abstimmungsbeschwerden eine Verunsicherung im Vorfeld von Volksab­ stimmungen herbeiführt. Die Stärkung der Regierung durch den Staatsgerichtshof ist selbstverständlich zu begrüssen, denn der Ansatz, die Abstimmungsbeschwerde zu ver­ werfen, ist sehr viel klarer, als der Ansatz der Verwaltungsbeschwerdeinstanz. Was bedeutet dieser Staatsgerichtshof- Entscheid für die Zukunft? In der Zukunft werden politische Widersa­ cher und Mitstreiter es sich sehr viel besser überlegen müssen, wie, wann und ob sie eine 1 Abstimmungsbeschwerde ergreifen. Die Abstimmungsbeschwerde ist zwar nicht Ultima Ratio, aber sie muss mit einer gehöri­ gen Portion Verantwortungsbewusstsein ergriffen werden. Ist dies nicht der Fall, dann läuft man in einer Demokratie wie in Liech- • tenstein Gefahr, dass allzu schnell Abstim­ mungsbeschwerden dazu führen könnten, Volksrechte im Keime zu ersticken. Der Staatsgerichtshof hat klar gemacht, dass das so einfach, wie es sich die Beschwerdeführer vorgestellt haben, nicht geht. 
«Kein Recht auf Beschwerde» Staatsgerichtshof-Entscheid zur Abweisung der Abstimmungsbeschwerde VADUZ - «Eine Abstimmungsbe­ schwerde setzt tatsächliche und rechtliche Gegebenheiten voraus, die zum Zeitpunkt der Erhebung der Beschwerde weder eingetreten waren noch eingetreten sein konnten»: Das hält der Staatsgerichtshof (StGH) in seiner endgültigen Entscheidung zu der von 28 Personen eingereichten Ab­ stimmungsbeschwerde gegen die Initiative des Fürstenhauses fest. * Martin Frömmel t  • . • Wie das Volksblatt bereits gestern berichtet hat, hat der Staatsge­ richtshof die Abstimmungsbe- schwcrdc abgewiesen. Da die Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Eingabe ihrer Beschwerde am 9. August 2002 keinerlei Parteistel­ lung hatten und somit zu einer Beschwerde nicht legitimiert waren, ist der StGH gar nicht auf die einzelnen Beschwerdepunkte eingegangen. Nachstehend fassen wir die StGH-Entscheidung zu­ sammen. Drei Verfahrensabschnitte Das Volksrechtcgcsetz sieht für das Zustandekommen einer Volks­ initiative ein in drei Abschnitte gegliedertes Verfahren vor. Erst im letzten Verfahrensabschnitt sind die Stimmbürger dazu berufen, am Verfahren zur Entscheidung des Initiativbegehrens mitzuwirken,_ was auch das Recht zur Einleitung der Kontrolle der Rechtmässigkeit der Vorgänge im Vorbereitungsver­ fahren einer Abstimmung in der Form einer Abstimmungsbe­ schwerde miteinschliesst. Schutz der Rechtsstellung Die unterschiedlichen Interes­ senlagen der von den einzelnen Verfahrensabschnitten betroffenen Personen hat Rückwirkungen auf deren Rechtsstellung und den dem Schutz dieser Rechtsstellung dien­ enden Beschwerdemöglichkeiten. Deshalb weil alle Stimmbürger am dritten Verfahrensabschnitt, der Volksabstimmung, beteiligt sind, steht auch die Beschwerdemög- lichkeit gemäss Art 74 Volksrechte­ gesetz (Abstimmungsbeschwerde) jedem einzelnen Stimmbürger zu. «Keine Rechtsvorschrift räumt ihnen das Recht ein» Aus diesen Erwägungen folgt, dass die Beschwerdeführer, die schon am 9. August 2002 und noch bevor sich die Regierung mit der angemeldeten Volksinitiative des Fürsten und des Erbprinzen befasst hatte, eine Abstimmungsbeschwer­ de einbrachten, in ihrer Rechts­ sphäre nicht betroffen waren. Keine Rechtsvorschrift räumt ihnen das Recht ein, in diesem ersten Verfahrensstadium jene Ein­ wände geltend zu machen, die sie in ihrer Beschwerde vorbringen. Frage nach dem Zeitpunkt Es liegt auf der Hand, dass mit den vorstehenden Erwägungen die Frage im Zusammenhang steht, zu wel­ chem Zeitpunkt eine Abstimmungs­ beschwerde erhoben werden kann. Zutreffend stellte die Verwal- tungsbeschwerdeinstanz fest, es sei gemäss dem Wortlaut des Volks­ rechtsgesetzes davon auszugehen, dass eine Abstimmungsbeschwerde 
Der Staatsgerichtshof hat die Abstimmungsbeschwerde abgewiesen, weil den Beschwerdeführern kein Recht auf Beschwerdeführung zukam. nur nach erfolgter Volksabstim­ mung erhoben werden könne. Unter Berufung auf die Entscheidung des Staatsgcrichtshofes vom 2.5.1991, StGH 1990/6 legte sie diese Auffas­ sung aber nicht ihrer Entscheidung zugrunde. Die liechtensteinische Rechtsprechung habe nämlich die Auffassung vertreten, eine Abstim-. mungsbeschwerde könne, ja müsse allenfalls schon vor der Volksab­ stimmung über ein Initiativbegehren erhoben werden. Tatsächlich hat der.Staatsgerichts- hof in der oben angeführten Ent­ scheidung unter anderem folgendes ausgeführt: «Die Anfechtung einer Volksabstimmung wegen Mängel des Abstimmungsverfahrens und dessen Vorbereitung hat sofort und allenfalls noch vor dem Urnengang zu geschehen, ansonsten der Stimmberechtigte sein Recht zur Anfechtung verwirkt. So verlangt Art 64 Abs 5 VRG, bei sonstigem Ausschluss' die Anmeldung einer Wahlbeschwerde bei der Regierung binnen dreier Tage nach der Wahl. Mängel im Vorverfahren bei einer Abstimmung müssen, sofern ein sofortiges Handeln nach den Ver­ hältnissen geboten und zumutbar ist, noch vor dem Umengang gerügt werden. Ausschlaggebend ist jedoch, zu welchem Zeitpunkt der Stimmberechtigte von der Unregel­ mässigkeit Kenntnis erhalten hat. Mit der Herausgabe der hier in Frage stehenden Informationsschrift haben die Beschwerdeführer zwar sogleich die von ihnen behauptetefi Unregelmässigkeiten in Form irre­ führender Behördeninformation . feststellen können, doch Hess die äusserst kurze Zeitspanne von einer Woche zwischen der Publikation und dem Urpengang.ein sofortiges Handeln noch vor der Abstimmung als unzumutbar erscheinen. Am 22. März 1989 haben die Beschwerde­ führer denn auch fristgerecht ihren Antrag auf Nichtigerklärung der Volksabstimmung bei der FL Re­ gierung angemeldet.» Abstimmungsbeschwerde nach erfolgter Abstimmung Diese Rechtsauffassung vertrat der Staatsgerichtshof im Zusam­menhang 
mit der Prüfung einer Abstimmungsbeschwerde, die nach erfolgter Abstimmung erho­ ben worden war, also im drillen und letzten Verfahrensabschnitt. «Mit Ansicht des Staatsgerichts­ hofes nicht zu vereinbaren» , Daraus aber nunmehr - wie im vorliegenden Fall - den Schluss zu ziehen, der Staatsgerichtshof ver­ lange bei sonstiger Verwirkung des Abstimmungsbeschwerderechtes,, dass eine 
Abstimmungsbeschwerde schon dann erhoben werde, wenn in einem länger zurückliegenden Verfahrensabschnitt behaupteter- weise Mängel aufgetreten seien, ist mit der Ansicht des Staatsgerichts­ hofes nicht zu vereinbaren und nicht zulässig. Von Mängeln des Absiimmungsverfahrens und des­ sen Vorbereitung zu sprechen - wie dies der Staatsgerichtshof tut - macht nur dann Sinn, wenn ein Abstimmungsverfahren überhaupt eingeleitet wurde. «Abstimmungsverfahren» Von einem «Abstimmungsver­ fahren» kann Zeitlich aber über­ haupt erst dann gesprochen wer­ den, wenn ein solches angeordnet worden ist. «Nicht zulässig» Da es bei formulierten Initiativen nicht in jedem Fall auch zu einer Volksabstimmung über den . Initiativentwurf kommen muss, ist es nicht zulässig, Beschwerdemög­ lichkeiten gegen das Abstim­ mungsergebnis schon' in früheren, vor der Anordnung der Volksab­ stimmung durch die Regierung gelegenen Verfahrensabschnitten für zulässig *zu erachten. Es ist daher festzuhalten, dass eine Abstimmungsbeschwerde grundsätzlich erst nach der Durch­ führung der Abstimmung erhoben werden kann, doch erachtet der Staatsgerichtshof die Einbringung einer Abstimmungsbeschwerde' bereits früher, wenn auch frühes­ tens nach der Anordnung der Abstimmung durch die Regierung für zulässig und erforderlich. Es wird ferner deutlich, dass, 
was die Beschwerdeführer mit ihrer «Abstimmungsbeschwerde» bekämpften, weder tatsächlich noch rechtlich abgeschlossen war. Keine Parteistellung Auf Grund der. gegebenen Rechtslage war es den Beschwer­ deführern nicht möglich, Partei­ stellung zu erlangen. Eine Abstim­ mungsbeschwerde setzt tatsächli­ che und rechtliche Gegebenheiten voraus, die zum Zeitpunkt der Erhebung der Beschwerde weder eingetreten waren noch eingetreten sein konnten. Denn am 9.8.2002, dem Zeitpunkt der Einbringung der «Abstimmungsbeschwerde» gab es überhaupt keinen behördli­ chen Akt, der hätte bekämpft wer-" den können. Deshalb fehlte es auch an einem Anfechtungsobjekt. Kein Recht auf Beschwerde­ führung zugekommen Dadurch aber, dass die Verwal­ tungsbeschwerdeinstanz auf die «Abstimmungsbeschwerde» ein­ ging und die angefochtene Regie­ rungsentscheidung bestätigte, ver­ letzte sie kein Recht der Beschwer­ deführer, weil diesen ein Recht auf Beschwerdeführung im Sinne des Art-74 Abs 1 Volksrechtegesetz nicht zukam. Aus diesem Grund hat der Staatsgerichtshof auch auf die weiteren Beschwerdeäus- führungen nicht einzugehen. ANZEIGE lestrasso 51,9490 Vaduz
	        

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