Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

MITTWOCH, 18. DEZEMBER 2002 VOLKS I 
IIVI I A EVI n PLATTFORM BLATT I UM LMIMU 
VERFASSUNG 
3 Nachgefragt Vier Fragen an den Verfas­ sungsexperten Franz Matscher WIEN - Die Ansicht, dass Liechtenstein bei Annahme der Fürsteninitiative die aussenpolitische Isolation droht, teilt Prof. Franz Matscher, Österreichs Ver­ treter in der Venedig-Kommission, nicht. Völksblatt: Der Europarat hält ja gerade die Demokratie sehr hoch: Kann er einen demokratischen Entscheid, den ein Volk Rillt, unter Hinweis auf Europarats-Stan- dards in Frage stellen? Prof. Franz Matscher: Das halte ich auch vorgebracht. Lassen wir das doch durch das demokratischste Mittel der 
Vdlksabstim- «DAS VOLK SOLL DOCH ENTSCHEIDEN» mung prüfen. Wenn man dann immer noch findet, dass das Ergebnis nicht ganz den «europäischen Standards» entspricht, dann kann man ja wciterschen. Aber man möge doch zuerst das Volk entscheiden lassen, was es will. Dann würden aber doch letztlich Dele­ gierte aus Armenien, Moldawien etc. über eine innerstaatliche liechtensteini­ sche Angelegenheit entscheiden? Na ja, das ist im europäischen Prozess halt gang und gäbe. Könnte es passieren, dass Liechtenstein vielleicht später einmal auf Druck der Parlamentarischen Versammlung seine Verfassung anpassen muss? Das werden wir dann sehen. Sagen wir es so: Im Bericht heisst es ja, Monarchien sind heute ein gewisser Anachronismus, aber die bestehenden Monarchien haben sich alle in Richtung einer konstitutionellen Monarchie entwickelt, wo die Machtfülle des 
monar- «NICHT NUR AN DEN BUCHSTABEN KLEBEN» einsehen Staatsoberhauptes mehr oder weniger auf Repräsentation beschränkt ist. Das ist aber vielleicht nicht das, was das liechtensteinische Volk will. Ich habe den Eindruck, dass man in Liechtenstein doch eine stärkere Stellung des Fürsten haben will. Das Problem ist ja doch auch, dass sich die Situation nicht in jedem Staat vergleichen lässt. In Grossbritannien oder Spanien ist es doch anders als in Liechtenstein. Und auch diese Aspekte, nämlich die Besonderheiten des liechtensteinischen Staatswesens, sind leider untergegangen. Man darf da nicht nur an den Buchstaben eines Verfassungsent­ wurfs kleben, sondern man muss auch wis­ sen, was dahinter steht und wie die Verfas­ sungswirklichkeit aussieht. Droht Liechtenstein bei Annahme der Fürsteninitiative die aussenpolitische Iso­ lation? Die Kommission ist ja zum Ergeb­ nis gekommen, dass die Mitgliedschaft im Europarat «problematisch» wäre. Das ist eine zu starke Aussage, die ich nicht unterschreiben würde. Ich kann mir schon vorstellen, dass die vielen 
Monar- «EIN AUSSCHIAJSS-VERFAH- REN SCHLIESSE ICH AUS» chie-Gegner in Europa weiterhin einen gewissen Druck ausüben werden. Ein Aus- schluss-Verfahren schliesse ich aus, denn das ist noch nie vorgekommen. An Aus­ schlussverfahren denkt man nur, wenn ein Staat seine Rechtspflichten gröblichst ver­ letzt und davon ist hier ja keine Rede. Es ist in keiner Weise europarechtswidrig, einen starken Monarchen zu haben. 
«Verständlicher Unmut» Warum Prof. Franz Matscher das Vorgehen der Venedig-Kommission kritisiert WIEN - «Ausreichendes rechtli­ ches Gehör wurde nicht gewährt»: Das sagt Prot. „Franz Matscher, von Beginn an Öster­ reichs Vertreter in der Venedig- Kommission des Europarates sowie Verfasser eines Gutach­ tens zur liechtensteinischen Vertassungsrevision. «Marlin Frömmel t Volksblatt: Herr Matscher, in Liechtenstein macht sich Empörung über die Vorgehens­ weise der Venedig-Kommission breit: Verstehen Sie diesen Unmut? Prof. Franz Matscher: Diesen Unmut kann ich sehr wohl verste­ hen. Es ist mir unangenehm, die Arbeit eines Gremiums zu kritisie­ ren, dem ich selbst angehöre. Was mich aber gestört hat, ist weniger der Inhalt des Berichts, sondern die ganze Vorgangsweise, und die war sehr eindeutig. Diese Vorgangswei- se zeigt deutlich, dass man hier ein bestimmtes Ziel erreichen wollte. Es war das Ersuchen einer der beiden Gruppen in Liechtenstein, die sich gegen den Inhalt der Initiative wen­ den und welche die Parlamentari­ sche Versammlung gebeten hat, ein­ zuschreiten. Das hat das Demokra­ tie-Sekretariat in seinem Schreiben vom 9. September auch ausdrück­ lich gesagt. Diese Vorgangsweise gefallt mir nicht. Es ist nicht Aufga­ be der Parlamentarischen Versamm­ lung, sich klar im Interesse einer der beiden Streitteile zu äussern. Was hat Sie denn konkret an der Vorgangsweise der Kommission gestört? Am 12. Dezember hat der Hauptausschuss der Venedig-Kom­ mission sich mit diesem Thema befasst. Ich habe mich dort dage­ gen gewandt, in einen 
schwe- EINGRIFF IN S C II W E 
Ii EN I) F N STR EI T benden Verfassungsstreit einzugrei­ fen. Zudem habe ich darauf hinge­ wiesen, dass man gemäss dem Prin­ zip des «audiatur et altera pars» auch der Regierung die Gelegenheit geben muss, sich zu äussern. Der Hauptausschuss hat dann dem Kompromissvorschlag zustimmt, die Kommission solle jetzt nur eine vorläufige Meinung äussern und dann der Regierung die Gelegenheit geben, sich ausführlich dazu zu äussern. Das Plenum ist aber am nächsten Tag diesem Vorschlag lei­ der nicht gefolgt. Vor allem diese Vorgangsweise stört mich. Sie sagen «nicht in einen schwe­ benden Verfassungsstreit eingrei­ fen»: Heisst das, dass der Euro­ parat sich Ihrer Ansicht nach gar nicht damit hätte befassen, sol­ len? Die Parlamentarische Versamm­ lung darf sich natürlich schon damit befassen, wenn es ein ordentliches Monitoring-Verfahren wäre, wo beiden Parteien Gelegen­ heit zur Stellungnahme gegeben wird. Es trifft zwar zu, dass die Venedig-Kommission insofern gelegentlich auch in schwebende Verfassungsverfahren eingegriffen hat, dass sie von der Versammlung ersucht 
wurde, sich zu einer 
offe-«Diese 
Vorgangsweise zeigt deutlich, dass man hier ein bestimmtes Ziel erreichen wollte»: Prof. Franz Matscher, Österreichs Vertreter in der Venedig-Kommission. nen Verfassungsfrage, beispiels­ weise in Albanien oder der Ukrai­ ne, zu äussern. Da ging es aber nie darum, den Antrag der einen oder anderen Streitpartei zu stützen. Gegen diese Vorgangsweise habe ich mich ausdrücklich verwahrt. Haben sich Teile der Venedig- Kommission vor den Karren der Monarchie-Gegner spannen las­ sen? Ja, das könnte man so sagen. Die Meinung der Kommission ist ein offensichtlicher Angriff auf die bestehende Verfassung des Fürstentums. Der Bericht erweckt beispielsweise den Anschein, als ob das Sanktions­ recht des Fürsten neu kommen würde? Das ist natürlich nicht richtig, insofern ist der Bericht auch man­ gelhaft. Er ist auf dem Stand der Entwicklung des Jahres 2000. Inzwischen hat sich einiges getan. Was sind denn nun die Konse­ quenzen? Die Kommission hat eine Mei­ nung für die Parlamentarische Ver­ sammlung abgegeben. Es konnte an keiner 
Stelle gesagt werden, dass diese oder jene Regelung des 
vor- KEIN VERSTOSS GEGEN EUROPARECHT geschlagenen Verfassungsentwurfs dem europäischen Recht wider­ spricht. Man hat nur befunden, sie sei nicht ganz konform den europäi­ schen 
Standards, also den heute herrschenden Auffassungen von Demokratie. Nur was ist dieser europäische Standard? Das ist ein sehr, sehr vager Begriff. Aber die Staaten sind nicht verpflichtet, den Standards zu folgen, sondern die Rechtsvorschriften einzuhalten, und das ist ja mit diesem Verfassungsvor­ schlag gegeben. Die liechtensteinische Europa- rats-Delegationsleiterin sagte, sie gehe 
davon aus, dass die Kom­ mission das Thema noch einmal 
behandeln müsse: Wie sehen Sie das? Das könnte sein. Die Kommissi­ on hat ihren Bericht abgegeben. Mein Wunsch und der Wunsch von zwei anderen Kollegen wäre es gewesen, dass es nur ein provisori­ scher Bericht sein soll. Die Mehr­ heit hat sich aber für einen endgül­ tigen Bericht ausgesprochen. Die Parlamentarische Versammlung wird sich voraussichtlich in der Session der letzten Januarwoche in Strassburg damit befassen. Wie könnte es dann weiter­ gehen? Wenn in der Parlamentarischen Versammlung die nicht gerade monarchiefreundlichsten Meinun­ gen Oberhand gewinnen werden, dann könnte ich mir ein Monito­ ring-Verfahren vorstellen. Dort könnte dann geprüft werden, in wel­ chem Ausmass Liechtenstein mit der neuen Verfassung den europäi­ schen Standards entspricht. Wenn es dazu kommt, ist nichts dagegen ein­ zuwenden, weil dann die Regierung die volle Gelegenheit hätte, ihren Standpunkt darzulegen. Ein elementarer Grundsatz lau­ tet «audiatur et altera pars»: Die Regierung wurde sehr kurzfris­ tig zur Sitzungsteilnahme einge­laden: 
Kann eine Europarats­ institution so mit einem Mit­ gliedsland umgehen, die Mei­ nung war ja offensichtlich längst gemacht? Formal ist der Grundsatz insofern beachtet worden, als die Regierung ganz kurzfristig eingeladen wurde, einen Vertreter nach Venedig zu entsenden. Man kann aber nicht innerhalb von drei oder vier Tagen zum ganzen Problem Stellung 
neh- KEIN AUSREICHENDES RECHTLICHES GEHÖR men. So gesehen war das also nur eine formale Sache. Ausreichendes rechtliches Gehör wurde jedoch nicht gewährt. «Audiatur et altera pars» heisst ausführliches rechtli­ ches Gehör, sprich, sich vorberei­ ten können, um einen Standpunkt klar darzulegen. Soll sich ein Europarats-Mit- gliedsland solch eine Vorgehens­ weise gefallen lassen? Liechtenstein kann in der Parla­ mentarischen Versammlung sicher­ lich dagegen protestieren. Ich kann natürlich nicht für die Regierung sprechen, aber als Regierung würde ich es tun. ANZEIGE (i o I (I s i- lim Ifd ' p Ii a e 1 H Erlesen Geschenke von Raphael verzaubern ein Leben. t ^ " 
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