Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

Liechtensteiner VOLKSBLATT 
INLAND Samstag, 5. Oktober 2002 
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unserer Der 5. Oktober 1921 gehört zu den bedeutendsten historischen Tagen. unseres Landes. Damals unterzeichnete Prinz Karl «in Vertretung Seiner Durchlaucht, des regierenden Fürsten Johann II. von und zu Liechtenstein» die heute geltende Verfassung, gegengezeichnet von Regie­ rungschef Fürstlichem Rat Josef Ospelt. Erstmals in der Ge­ schichte des Landesjirachte sie, würdigt unser offizielles Staats­ kunde-Lehrmittel 
das derzeit auf dem Prüfstand stehende Grundgesetz, «ein gleichberech­ tigtes Nebeneinander von Fürst und Volk». Günther Meier «Neben den vielen Eigentümlichkeiten der liechtensteinischen Geschichte» zeige das Fürstentum Liechtenstein dem Betrachter «auch eine eigentüm­ lich verlaufene Verfassungsgeschich- te», fasst Alexander Ignor im Stan­ dardwerk «Liechtenstein - Fürstliches Haus und staatliche Ordnung» seine Nachforschungen zusam­ men. Die aus dem Ringen um die Verfassung von 1921 resultierende' Überwindung des Gegensatzes von monar­ chischem und . demokrati­ schem Prinzip habe zu einem monarchisch-demo­ kratischen Konsensprinzip eigener Art geführt. Dieses Konsensprinzip, war Alexan­ der Ignor im Jahre 1987 - also vor der aktuellen Ver­ fassungsdiskussion - über­ zeugt, erfordere viel «Um­ sicht und Staatsklugheit». Ein besonderes «Gefühl für das, was dem Lande wohl tut», hätten die Liechtenstei­ ner immer bewiesen, blickte Ignor zuversichtlich in die Zukunft. Ob er Recht behält, erscheint derzeit noch unsicher. Sicher jedoch wird mit der seit 1992 geführten Ver­ fassungsdiskussion ein weiteres Kapi­ tel in der «eigentümlich verlaufenen Verfassun'gsgeschichte» geschrieben. 1921 .-Abschied vom Gottesgnadentum Die Verfassung vom 5. Oktober 1921 habe die Gewichte wesentlich ver­ schoben, stellt Peter Geiger in seinem Buch «Krisenzeit» bei der Beschrei­ bung der inneren Modernisierung und Demokratisierang 
unseres Landes nach dem Ersten Weltkrieg fest: «Hat­ te die alte Verfassung von 1862 dem - Fürsten noch.ein Übergewicht im Sin­ ne des monarchischen Prinzips zuge­ sprochen, so war nun die Staatsform in der neuen Verfassung als konstitu­ tionelle Erbmonarchie auf demokrati­ scher und parlamentarischer Grundla­ ge definiert. Diese Neuerung würdigt auch die Regierung in ihrem Verfas­ sungsvorschlag, der 2001 vom Land­nokratischen 
Element als ultima ratio - die Rolle des Schiedsrichters.» tag be­ raten wurde: «Die Ver­ fassung von 1921 machte das Volk zu einem der beiden Träger der Staatsge­ walt. Sie bedeutet daher einerseits ein- verfassungsgeschichtliches Bindeglied zwischen dem Gottesgnadentum und der so genannten Souveränität des Volkes, anderseits , aber den Anfang vom endgültigen Ende des Gottesgna- dentums.» Bis der Satz in der Verfassung stand, dass,die «Staatsgewalt im Fürsten und im Volk verankert» sei, fand vor gut 80 Jahren ein hartes Ringen statt, das aber nach Einschätzung von Peter Geiger zur Zufriedenheit der ringen­ den Kräfte ausging: «Wilhelm Becks Volkspartei sah ihre Vorstellungen grossenteils realisiert, während die Bürgerpartei mit den Neuerungen wie auch mit der gewahrten Kontinuität des starken Monarchen und der star­ ken Regierung zufrieden war.» Fürst Johann IL personifizierte laut Geiger Kontinuität Wie Reformfähigkeit der liechtensteinischen Monarchie: Der Zulassung von demokratischen Rech­ ten wie Initiative und Referendum so­wie 
der Verwirkli­ chungties dringen­ den Volkswunsches «Liechtenstein den Liechtensteinern» stand die wei­ terhin starke Position des Monarchen in der Verfassung gegenüber, Staatsgewalt im Fürsten und im Volk verankert Zu den «Eigentümlichkeiten», der liechtensteinischen Staatsform, wie sie Alexander Ignor feststellte, zählt seit 1921 die Festlegung: «Das Fürstentum ist eine konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentari­ scher Grundlage». An diesem Mitein­ ander von Monarchie und Demokratie wollte im zehnjährigen Verfassungs­ streit kein ernst zü nehmender Disku- tant rütteln, obwohl die Staatskrise vom Oktober 1992 einen tiefen Sta­ chel in das sensible Gleichgewicht von . monarchischen und demokratischen Rechten gepflanzt hatte. Die Gegner der Verfassungsvor­ schläge von Fürst und Regierung erin­ nern an die damalige ultimative For­ derung des Fürsten an die Regierung, den Abstimmungstermin über den EWR-Beitritt vor der Schweiz festzule­ gen, und an seine Drohung, die Regie­ rung zu entlassen und das Parlament 
aufzulösen. Für den. Fürsten stellte sich damals der Streit um den Abstim­ mungstermin als ein Mittel der Politi­ ker dar, «den Fürsten in seiner politi­ schen Rolle entgegen der geltenden Verfassung auszuschalten sowie Fürst und Fürstenhaus unter die Kontrolle der politischen Instanzen zu zwingett». Die Verankerung der Staatsgewalt im Fürsten und im'Volk.aber brachte uns nicht nur die-Bezeichnung «Ei­ gentümlichkeit» ein, sondern aufgrund der Durchmischung von Monarchie und Demokratie auch Anerkennung auf wissenschaftlicher Ebene. «Die liechtensteinische Mischverfassung», anerkannte Alois Riklin 1987 bei der Eröffnung des Liechtenstein-Instituts,, «gehört mit ihren 125 Jahren zu den stabilsten und dauerhaftesten politi­ schen Ordnungen der heutigen Welt». Fünf Jahre vorder mit der Staatskrise 1992 entfachten Verfassungsdiskussi­ on lobte Riklin die Verankerung beider Elemente a1s,«integrativ, nicht separa- tiv». Die liechtensteinische Verfas­ sungswirklichkeit, war- Riklin damals überzeugt, «integriert die sozialen Gruppen, insbesondere die beiden Par-* teien, in die demokratischen und oli- gokratischen Strukturen, drängt sie zum Konsens und überträgt dem 
mo-Monarchie 
iind Demokratie als Brennpunkte Gerard Batliner hat für das Neben­ einander von Monarchie und Demo­ kratie als gemeinsamen Staatsgewal­ ten das Bild vom «elliptischen Staatsr typ mit. zwei Brennpunkten» entwor­ fen. Die Sprache der Verfassung von 1921 findet Batliner. «ungewöhnlich fein in ihrer Zurückhaltung». Die Be­ stimmung «die Staatsgewalt ist ini Fürsten, und im Voik verankert» lese sich anders als etwä «die Staatsgewalt geht vom Fürsten und vom Volke aiis». Bei'seinen Interpretationen der Verfas­ sung gewann Gerard Batliner den Ein­ druck, dass die Schöpfer der Verfas­ sung von 1921 sich des Widersprüche liehen sehr bewusst gewesen seien, als sie die Formulierung «verankert» ge­ wählt hätten: Denn «ausgehen» könne die Staatsgewalt nur entweder vom Fürsten oder vom Volk - «das eine schliesst das andere wohl aus!» Die Verfassung lege sich .nicht fcst, befand Gerard Batliner 1994, als schon. erste Forderungen nach Ände­ rung der Verfassung gestellt waren, sondern überlasse dieses Thema den Entwicklungen. Die seit Jahren dau­ ernde Diskussion um die Machtver­ hältnisse und das Maehtgefuge im Staate reibt sich an den beiden Brenn- . punkten der elliptischen .Staatsform, •stellt das Nebeneinander von Monar­ chie und Demokratie aber grundsätz­ lich nicht in Frage. Die Mischverfas-' sung, befindet "Alois Riklin, verspreche am meisten Sicherungen gegen den Machtmissbrauch. «Wo immer die ganze Macht einem einzelnen oder ei­ ner einzigen sozialen Gruppe oder auch, einer kompakten Mehrheit an­ vertraut ist», betont Riklin, «da sind die Schleusen zur Tyrannei geöffnet.» Solange am Grundsatz nicht gerüttelt wird, dass die Staatsgewalt im Fürsten und im Volk verankert bleibt, scheint vor dem Hintergrund dieser Einschät­ zung eine Sicherung für unsere Zu­ kunft gegeben. Verfassungsschützer und radikale Demokraten Alois Riklin hat vor 15 Jahren, man möchte fast von einer Vorhersage des heutigen Verfassungsstreites"sprechen, zwei bemerkenswerte Aussagen ge­ macht, die bei näherer Betrachtung zur Relativierung der heute teilweise verhärteten Fronten in der Verfas­ sungsdiskussion beitragen könnten. Der erste lautet: «Wer heute behauptet, das, was wir als Demokratie bezeich­ nen, sei in Wirklichkeit gar keine, der muss darauf gefasst sein, von zünfti­ gen Verfassungsschützern zum sys­ temkritischen Verfassungsfeind erklärt zu werden.» Der zweite: «Und wer gar behauptet, die gut gemischte-Verfas­ sung sei allemal besser oder wenigs­ tens nicht schlechter als die reine De­ mokratie, der muss in Kauf nehmen, von radikalen Demokraten zum Reak­ tionär gestempelt zu werden.» . m Monarchisch-demokratisch-parlamentarischer Rechtsstaat Die Entstehung der geltenden Verfassung vom 5. Oktober, 1921 Die äusseren Umstände, die zur Ent­ stehung der geltenden Verfassung vom 5. Oktober 1921 geführt haben, liegen im Wesentlichen in den Aus­ wirkungen des Ersten Weltkrieges von 1914-1918, welche die Völker Europas sowohl in' wirtschaftlicher als auch in politischer Beziehung er- fassten. Sie finden vor allem ihren. Niederschlag in der Neuordnung Eu­ ropas, insbesondere aber in der Neu­ normierung der Staatsverfassungen. Selbst ein so kleiner und damals dem weltpolitischen Geschehen fern ster hender Staat wie Liechtenstein ist von dieser Entwicklung nicht unbeein- flusst geblieben. Das Volk, von der 
Zeitströmung erfasst, forderte eine neue, zeitgemässe Verfassung und ei­ ne aussenpolitische Neuorientierung, die schliesslich zur Abkehr von Öster­ reich und zur Hinwendung zur Schweiz führte. Innenpolitisch wirkte sich diese Volksbewegung in grossem Umfange aus, als mit dem Landesge­ setzblatt 1918 Nr. 4 die direkte Wahl der Abgeordneten über Parteilisten statt des bisherigen Wahlmännersys­ tems eingeführt wurde. Das in der Landtagssitzung vom 7. November 1918 gegen den Landesver­ weser von Imhof eingebrachte Miss- traüensvotum brachte den Regie­ rungssturz und die Bildung eines Re­ gierungsausschusses. Die Änderung 
der Verfassung steht mit diesen Vor­ gängen auf das Engste in Verbindung. Diese sehr friedliche Revolution be­ wirkte jedoch eine tiefgreifende Um­ gestaltung der liechtensteinischen In­ stitutionen: Verlangt wurden die Aus­ arbeitung einer demokratischen Ver­ fassung, die Beteiligung des Volkes an der 
Regierung und . ein gebürtiger Liechtensteiner als Regierurigschef. Die Abgeordneten sollten ausnahms­ los vom Volk gewählt und die Gerich­ te zur Mehrheit mit Liechtensteinern besetzt werden. Niemand aber wäre auf den Gedan­ ken gekommen, den Fürsten abzuset­ zen und die Republik auszurufen. Fürst Johann II. bestellte im Dezember 
1918 seinen Neffen Prinz Karl zum Landesverweser, und der. provisori­ sche Vollzugsaussehuss trat zurück. Die Krise war somit ohne Schaden für die Monarchie beendet,, und ein be­ reits am 17. Dezember 1918 gewählter Ausschuss begann mit Bewilligung des Fürsten die Arbeit zur Verfas­ sungsrevision; Der von Dr. Peer am 8. März 1921 im Landtag vorgelegte Entwurf, der im Wesentlichen eine Verbesserung der 1862er-Verfassung durch demokratische Einrichtungen der Schweiz (Referendum, initiative, Kollcgialsystem) sein sollte, berück­ sichtigte weitestgehend die Volks­ wünsche. Mit minimalen Änderungen nahm, 
der Landtag am 24. August 
1921 diesen Entwurf einstimmig an. Die fürstliche Sanktion erfolgte am 2. Oktober 1921. Nach der Unterzeich­ nung durch den bevollmächtigten Prinzen Karl am 5. Oktober 1921, am 81. Geburtstag des Fürsten Johann II., trat die neue Verfassung mit ihrer Kundmachung im Landesgesetzblatt am 24. Oktober 1921 in Kraft. Der bis­ her konstitutionelle Verfassungsstaat wurde durch den monarehisch-demo- kratisch-parlamentarischen 
Rechts­ staat abgelöst. • (Gekürzter Auszug aus: *Fürst und Volk - Eine liechtensteinische Staatskunde», Amtlicher Lehrmit~ telverlag, Vaduz J993)
	        

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