Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

Liechtensteiner VOLKSBLATT UMLAND Donnerstag, 18. Juli 2002 
1 1 zur Musik in all  ih ren Formen Gespräch mit dem Cellisten.Wolfgang Boettcher bei den Internationalen Meisterkursen Die 32. Internationalen Meis­ terkurse in Vaduz glänzen auch in diesem Jahr wieder mit grossen Nameh grosser Musi- ker/-innen. Einer von ihnen, der Cellist Wolfgang Boettcher, fand zwischen Unterrichten und Konzertvorbereitung Zeit . für ein Gespräch (heute Donners­ tagabend, ist Wolfgang Boett­ cher, zusammen mit Thomas Brandis (Violine) und Wolfgang Kühnl (Klavier), im Triesner Saal zu hören. Beginn ist 20.15 Uhr). Mit Wolfgang Boettcher sprach Gerolf Hause r Volksblatt: Sie waren Cellist bei den Berliner Philharmoniker, Solocellist, Sie machen Kammermusik, Sie un­ terrichten - wo liegt die grosse Lie­ be? Wolfgang Boettcher:' Die grosse Liebe ist die Musik in allen Formen. Wenn ich hier z.B. die jungen Men­ schen dahin führen kann, dass sie sich mit Bach identifizieren können, Bach wieder schön finden, dann ist das eine wunderbare Aufgabe, mindestens so schön, wie auf ein Konzert zurückzu­ blicken, das einem gut gelungen ist. Zeitgenössische Komponisten ha­ ben Werke für Sie geschrieben, an­ dere haben Sie uraufgeführt - wo liegt hier die Liebe, bei der alten oder der zeitgenössischen Musik? Das ist sehr schwer zu sagen. Natür­ lich liegt eine grosse Liebe immer bei Bach, den man stets aus neuen Blick­ winkeln erarbeiten kann. Es 
- gibt aber z.B. auch eine CD von mir mit Werken von zeitgenössischen Komponisten, mit denen; ich befreundet bin bzw. war. Das geht von Hindemith, mit.dem ich 
öfter gespielt habe, bis zu Volker David Kirchner und Aribert Reimann. Ich mache gerne Soloprogramme, bei denen ich zu Beginn und am Schluss Bachsuiten spiele und in der Mitte Neue Musik. Man hört Bach dann neu. 
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- Der Cellist Wolfgang Boettcher (im Bild) spielt heute Donnerstagabend um 20.15 Uhr im Triesner Saal im Trio mit Tho­ mas Brandis (Violine) und Wolfgang Kühnl (Klavier). (Bild: Gerolf Hauser) Veegnutlich haben Sie sich als Junger Cellist orientiert an Casals oder Rostropowitsch - was ist das für ein Gefühl, dass man sich heute an Boettcher orientiert? Natürlich kommt man an den gros­ sen Cellisten nicht vorbei. Vor Rostro­ powitsch knie ich heute nqch, wenn er z.B. das Prokofieff-Konzert spielte: Dieses Espressivo - das ist ein Jahr­ hundertereignis. Dass man sich heute an mir orientiert . . , das halte ich schon aus (lacht herzhaft). Komplexe bekomme ich deshalb keine. Wie lebt man mit den grossen Ge­ gensätzen z.B. zwischen Cellblda- che und Karajan? Mit Celibidache hatte ich die grosse 
Ehre, das wunderbare Hindemith-Kon- zert zu spielen. Das gehört zu meinen Sternstunden, denn er hat mich sozu­ sagen auf Händen getragen. Das Werk hat eine dickc Besetzung, die' er so zurücknahm, dass ich spielen konnte, ohne forcieren zu müssen. In Bezug auf die Tempi allerdings war er gna­ denlos. Für mich war der erste Satz viel zu langsam. Also habe ich. ver­ sucht, manchmal ein wenig zu drän­ gen. Dann hat er sofort abgebrochen und gesagt; • «Meister, Sie wollen schneller spielen? Nein, neinf» Mit Karajan hatte ich Erlebnisse, die zu den allergrössten gehören, z.B. die 10. von Schostakowitsch 
in Moskau vor dem Komponisten. Schostakowitsch kam mit seinen dicken Brillengläsern 
auf die Bühne, hinter denen die Trä­ nen über sein Gesicht liefen. Aber auch'mit anderen Dirigenten gab es grosse Erlebnisse, z.B. Mahlers 9. mit Barbirolli. • • 
- Bereuen Sie es, 1976 die Orches- terärbelt aufgegeben zu haben? Ich hatte damals viele schlaflose Nächte, weil ich eigentlich sehr glück­ lich war im Orchester. Irgendwann aber gibt es einen Punkt, wo eine in­ nere Stimme sagt: Das geht so gut, jetzt solltest du mal etwas anderes ma­ chen. Den Zeitpunkt kann ich genau" definieren. Das war die Erste von Brahms. Ich hatte sie sicher gut ge­ spielt, spürte aber, dass ich nicht einen . Moment wirklich bei der Musik war. 
Das war das Alarmsignal. Ohne zu ko­ kettieren, man weiss wirklich nicht, ob man ein guter Lehrer ist. Also habe ich fünf Jahre neben der Orchesterarbeit an der Hochschule in Berlin unterrich­ tet. Aber das geht auf Dauer nicht, wenn man sich wirklich für die Bega­ bungen einsetzen will. Also habe ich das Orchesterspielen aufgegeben. Das Unterrichten ist der dornigere Weg; es ist sehr anstrengend, man muss viel von sich selbst geben. Aber es gibt sehr viel Befriedigung, weil man im- »mer mit jungen Menschen zu tun hat. Und jeder ist anders. Man hat ständig ein anderes Schicksal vor sich. Sie zu führen, nur über die Musik, das ist fas­ zinierend. Deshalb gibt es im Rück­ blick keine Wehmut. Wie sind Sie nach Liechtenstein ge­ kommen? Für Liechtenstein wurde ich ange­ fragt und es passte gut in meinen Plan hinein. Jetzt bin ich seit Sonntag hier und muss sagen, 
dass diese Meister­ kurse sehr sympathisch sind, sie sind so gut geführt, alles Organisatorische wird einem abgenommen. Und die Studenten haben wunderbare Übungs- mögliehkeiten - ich bin also sehr ger­ ne hier. Wolfgang Boettcher begann seine Karriere als Preisträger des Internatio­ nalen Musikwettbewerbs der ARD. Als Solist konzertierte, er weltweit mit vie­ len bedeutenden Orchestern und berühmten Dirigenten. Er spielte aus­ serdem an zahlreichen Festivals-. Viele Komponisten haben Werke für ihn ge­ schrieben, darunter Aribert Reimann, Giselher Klebe und Hans Vogt. György Ligeti, Henri Dutilleux; Witold Lutos- lawski u.a. schätzen Boettcher als In­ terpreten ihrer Werke. Seine Position als Solocellist bei den Berliner Phil­ harmonikern gab er 1976 auf, um sich seiner solistischen Tätigkeit, der Kam­ mermusik und dem Unterrichten wid­ men zu können. 1976 übernahm er ei­ ne Professur an der Universität der Künste. Boettcher spielt auf einem Cello von Matteo GofTriller aus dem Jahr 1722. Überwältigende Intensität Klavierkonzert mit Markus Becker im Rahmen der Internationalen Meisterkurse Da rennt man.ich weiss nicht wohin, um in «anerkanntem Ambiente» ich weiss nicht wen oder was «Aner­ kanntes» zu hören. Dabei kann man,- wenn man nur will, und weniger auf das «Gesehen-Werden», dafür mehr Wert auf die Musik legt, sozusagen vor der Haustüre ausgezeichnete Mu­ sik und dazu noch hautnah erleben. Gerolf Hause r So zum Beispiel das Klavierkonzert am Dienstagabend im Triesner Saal, im Rahmen der Internationalen Meister- kursc Vaduz, gestaltet; von Markus Becker mit Werken von Max Reger, Johannes Brahms, Joseph Haydn. und Franz Schubert. Wer nicht da war, hat etwas versäumt. Eine gewisse Schärfe.. Ein eher traditionelles Programm - konnte man meinen beim Lesen des Programmheftes. Beim Hören änderte sich diese Meinung schnell. Becker ist ein gestaltungsmächtiger Pianist, der in überwältigender Intensität teilweise bombastisch, ja sogar fast «bedroh­ lich» interpretiert. Da werden pointiert Ecken herausgearbeitet, das Fortissi- mo (mit viel Pedal) herrscht vor, wird mit einer gewissen Schärfe die Form des Werkes exponiert dargestellt. Das begann mit Max Regers Präludium und Fuge für die linke Hand. Wie Becker das Fugenthema gestaltete, liess diese ausserordentliche musikali­ sche Form, zu 
Regers Zeit (1873-1916) nicht gerade die beliebteste, dazu noch 
Der Pianist Markus Becker beeindruckte durch überwältigende Intensität seiner Interpretationen., (Bild: Gerolf Hauser) hier nur für die linke Hand, ausge­ zeichnet «anschaubar» werden. Mit seiner temperamentvollen Brahms- Sonate in fis-moll zeigte er, wie mo­ dern und romantisch Brahms zugleich klingen kann, arbeitete er doch die wunderbare, in. der linken-Hand lie­gende 
Andante-Melodie dominierend heraus, und legte sie damit sozusagen über die in der echten Hand liegenden hohen Akkorde. Auch das Brahms- Scherzo in es-Moll war in ungewohnt «moderner» Spielwiese zu hören. Nach der Pause dann eine nüchtern gespiel­te 
Fantasie in C-Dur von Joseph Haydn, auf die Schuberts berühmte Wanderer-Fantasie folgte. 
Im ersten Satz stellte er dem gewaltigen Haupt­ thema sehr subtil die sanfteren Sei­ tenthemen gegenüber, liess allerdings im Andante das Romantische durch 
die Mächtigkeit des Spiels in den Hin­ tergrund treten und nahm sich leider im Schlusssatz, dem Allegro, wenn das Thema des ersten Satzes wieder auf­ taucht, selbst alle Steigerungsmög- lichkeiten, indem er bereits mit Fortis- simo begann. Wie um zu zeigen, dass er über einen herrlich weichen An­ schlag verfügt, spielte Becker als Zu­ gaben ein Pr&ude von Skriabin und, ausgezeichnet gespielt, das Stück «Spain» des Jazzpianisten Chick Corea. Der Pianist Markus Becker, geboren 1963, gilt als einer der profiliertesten Pianisten seiner Generation. 1987 gewann Mar­ kus Becker den 1. Preis beim interna­ tionalen Brahms-Wettbewerb in Ham­ burg. Es folgten weitere Preise und Auszeichnungen auf Wettbewerben im In- und Ausland (Athen, Köln, Oslo, Berlin). Seine Konzertreisen führten ihn durch Europa, nach Japan, in die USA und nach Südamerika. Er konzer-' tiert regelmässig bei den Festspielen von Salzburg und Berlin, beim Kla- vierfestival Rühr und beim Schleswig- Holstein-Festival. Als gefragter Kam­ mermusiker .arbeitet Markus Becker, der seit 1993 eine Professur an der Hochschule für Musik und Theater Hannover bekleidet, mit vielen Musi­ kerinnen zusammen. Nach seinem hochbeachteten CD-Debut mit den fis- Moll-Sönaten von Brahms und Schu­ mann (Thorofori) sowie Produktionen bei harmonia mundi und EM classics spielte Markus Becker als erster Pianist das gesamte Klavierwerk von Max Re­ ger für Thorofon ein.
	        

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