Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

Liechtensteiner VOLKSBLATT 
AUSLÄND Mittwoch, 19. Juni 2002 
21 Tat in Israel: Ein Selbstmordättentäter sprengte sich im Bus in die Luft und tötet Schüler JERUSALEM: Für viele Eltern in Jerusalem ist am Dienstagmor­ gen ein Albtraum Wirklichkeit geworden: Ein Selbstmordat­ tentäter sprengte sich in einem Linienbus in die Luft, der Kin­ der zur Schule brachte. An der belebten Kreuzung im Süden der Stadt wurden 20 Menschen in den Tod gerissen, auch der Attentäter starb. Steve Weizinan /A P Der 32-jährige Schlomi Kalderon hatte gerade seine Kinder im Kindergarten abgesetzt und war zwei Autos hinter dem Bus, als der Sprengsatz explodier­ te. «Trümmerteile flogen durch die Luft», berichtete er aus. dem Kranken­ haus, wo er wegen einer Verletzung im Ohr behandelt wurde. «Die Leute aus den Wagen hinter mir liefen zum Bus BERN: EDA-Vorsteher Joseph Deiss hat den jüngsten palästinensischen Anschlag auf einen Bus im Süden Je­ rusalems «in allerSchärfe» verurteilt. Den Angehörigen der meist jugendli-; chen Opfer sprach Deiss sein Beileid aus. Der Vorsteher des Eidg. Departe­ ments für Auswärtige Angelegenhei­ ten (EDA) betonte, dass «Selbstmor- dattentate wie jede undifferenzierte Gewaltanwendung gegen Zivilisten fundamentales Völkerrecht verlet­ zen». Die Einhaltung des Völker­ rechts sei «ein erster 'notwendiger • Schritt zur Eindämmung der Gewalt­ spirale.» Im Rahmen der Schweizer Bemühungen für die Einhaltung des ; humanitären Völkerrechts traf der Chef der Politischen Direktion des EDA, Botschafter Blaise Godet, am Dienstag mit dem palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat zusammen. Er übergab Arafat ein Memorandum . mit konkreten Vorschlägen zu einem konstruktiven Dialog zu Völker­ rechtsfragen. Dazu gehöre zum Bei­ spiel die Einsetzung internationaler; Beobachter, erklärte Godet telefo­ nisch gegenüber der Nachrichten­ agentur sda. Die Konfliktparteien könnten mit Hilfe anderer Staaten wenn nötig eine Vertrauensbasis; schaffen,, um humanitäre Fragen zu regeln und zum Friedensprozess bei-. zutragen, 
erläuterte der Botschafter die Idee des Memorandums. ' 
und begannen, die Menschen durch die Fenster ins Freie zu ziehen. Sie ret­ teten nicht viele. Ich sah einen Kopf neben mir.» Rettungskräfte legten die Toten auf den Bürgersteig und deckten sie zu. Neben dem Tatort wurde ein Zelt auf­ gebaut, in. dem Körperteile zur Identi­ fizierung gesammelt wurden. Eine Frau schrie die Freiwilligen an, die die Spuren des Anschlags beseitigten: «Wo ist meine Schwester? Wo ist meine Schwester?» Die Polizei warnte vor weiteren möglichen Anschlägen in Je­ rusalem. Rund 150 Meter entfernt wurden in der Schule Ort Spanian zum Zeitpunkt des Anschlags gerade die Morgenge­ bete gesprochen. Der Lehrer Eliahu Tsur beschrieb die Lage als hysterisch, die Telefone klingelten pausenlos. «Wir versuchen, die Eltern zu beruhi­ gen und selbst ruhig zu bleiben», sag­ te Tsur. «Dieser schreckliche Anblick Ein schrecklicher Anblick bot sich den Menschen 
in Israel nach dem Anschlag. Der Bus wurde völlig zerstört. 
hier ist stärker als jedes Wort»; sagte der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon und ergänzte mit Blick auf die angestrebte Gründüng eines Staa­ tes Palästina: «Es wäre interessant zu wissen, welche Art von palästinensi­ schem Staat sie meinen.» Scharon er­ klärte, Israel müsse gegen den Terro­rismus 
kämpfen, «und genau das wer­ den wir tun». Es war der schwerste Anschlag in Jerusalem seit dem 25. Februar 1996, als bei einem Attentat auf einen Bus 26 Menschen ums Le­ ben kamen. Auch die palästinensische Autonomiebehörde verurteilte den An­ schlag. Sie erklärte in einer 
Stellung- lnsgesamt 20 Menschen wurden getötet, darunter zahlreiche Kinder. 
mmemmm Hamas bekennt sich zu der Tat 
(Bilder: Keystone) nähme, sie werde alles in ihrer Macht Stehende tun, «um jeden zu finden und zu stoppen, der versucht, Operationen auszuführen». Scharons Sprecher Da­ vid Baker . erneuerte nach dem An­ schlag den Vorwurf, Jassir Arafats Au­ tonomiebehörde habe nichts dafür ge­ tan, den Terror zu beenden. TOiWitR JERUSALEM: Trotz höchster Alarm­ bereitschaft der Polizei hat ein pa­ lästinensischer Selbstmordattentäter gestern im Süden Jerusalems mindes­ tens 19 Menschen mit in den Tod ge r rissen. Der Mann sprengte sich im morgendlichen Berufsverkehr in ei­ nem vollbesetzten Bus in die Luft. Der Anschlag, zu dem sich die radi­ kale Hamas-Organisation bekannte, könnte die Pläne von US-Präsident George W. Bush in Frage stellen, die­ se Woche einen neuen Nahost-Frie- densplan vorzustellen. Dieser sieht nach Zeitungsangaben die Gründung eines Palästinenser-Staates in etwa der Hälfte der besetztet Gebiete vor. Das israelische Sicherheitskabinett hat nach dem" Selbstmordanschlag von Jerusalem eine «baldige Serie 
von Militäraktionen» beschlossen. Darauf einigten sich die Minister un­ ter Regierungschef Ariel Scharon gesä­ tem Abend. Wie das staatliche Radio meldete, hatte sich Verteidigungsmi­ nister Benjamin 
Ben-Elieser zuvor bereits mit dem israelischen Armee­ stab getroffen. Scharon und Ben- Elieser hätten mit den Militärs über die zu treffenden Massnahmen bera­ ten, hiess es weiter. Eine Einheit der israelischen Armee rückte am Abend in die Palästinenserstadt Dschenin im Norden des Westjordanlandes 
ein. Die rund zehn Panzerfahrzeuge bewegten sich auf den Sitz des Stadtgouver­ neurs zu, berichteten palästinensi­ sche. Augenzeugen. Dabei hätten sie das Feuer eröffnet. Verletzt wurde of­ fenbar niemand. 8 
Um Kompromiss bemüht Bilateraler Gipfel zur EU-Osterweiterung in Breslau BRESLAU: Im Streit um die Agrarbei- hitfen für künftige EU-Mitglieder sind Deutschland und Polen um ei­ nen Kompromiss bemüht. Bundes­ kanzler Gerhard Schröder zeigte gestern Verständnis für die Forde­ rung Warschaus, nach dem EU-Bei- tritt dieselben Beihilfen zu erhalten wie andere EU-Mitgliedsstaaten. Der SPD-Vorsitzende hatte am Wo­ chenende vor unübersehbaren Finanz­ belastungen bei der EU-Osterweite- mng gewarnt und angekündigt, Deutschland werde die bisherige Fi­ nanzierung der Agrarpolitik in einem erweiterten Europa nicht mehr mittra­ gen. Nach Schröders Worten würde die Ausdehnung der bisherigen Agrarbei- hilfen auf 25 Mitgliedstaaten im End­ stadium zu jährlichen Mehrkosten von acht Milliarden Euro fuhren. Ein Vier­ tel davon, zwei Milliarden Euro im Jahr, wären von Deutschland allein zu tragen. Miller stimmte bei einer gemeinsa­ men Pressekonferenz der Einschät­ zung Schröders zu, dass eine Reform der EU-Agrarpolitik notwendig sei. Dabei sollten alle Landwirte in der EU 
auf dieselbe Stufe gestellt werden. Der Streit um die Beihilfen dürfe weder die Beitrittsverhandlungen verzögern noch die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland belasten. Millers Linksregierung steht unter dem Druck der heimischen Landwirtschaft, die sich von einem EU-Beitritt substan­ tielle Beihilfen verspricht. ; Polnische Bauernverbände protes­ tierten in scharfer Form gegen den Standpunkt Schröders in der Frage der Agrarbeihilfen. Der Funktionär Wla- dyslaw Serafin bezeichnete die Äusse­ rungen des Bundeskanzlers als den polnischen Interessen völlig zuwider laufend. Er habe sich in einem Brief an EU-Kommissionspräsident Romano Prodi bereits über die Politik gegen­ über den Beitrittskandidaten be­ schwert, erklärte Serafin. Mehrere Kooperations­ abkommen geschlossen Weitere Themen, beim fünften deutsch-polnischen Gipfel waren unter ariderem die bilateralen Wirtschafts­ und Kulturbeziehungen sowie ein ge­ meinsames Vorgehen gegen die grenz­ überschreitende Kriminalität. Dabei 
wurden Kooperationsabkommen zum Kampf gegen das organisierte Verbre­ chen sowie zur Zusammenarbeit im Gesundheitswesen und beim Eisen­ bahnverkehr unterzeichnet. Begleitet wurde Schröder von Aussenminister Joschka Fischer, Innenminister Otto Schily, Verteidigungsminister Rudolf Scharping und Jüstizministerin Herta Däubler-Gmeiin. Im Beisein Millers eröffnete Schröder ausserdem das Willy-Brandt-Zentrum für Deutschland- und Europastudien an der Universität Breslau. Es soll in Polen die wissenschaftliche Auseinan­ dersetzung mit Deutschland und den deutsch-polnischen Beziehungen im zusammen wachsenden Europa för­ dern. Schräder sprach ferner die Idee eines Zentrums' gegen Vertreibungen an, dessen Gründung einige Vertrie­ bene aus den ehemaligen deutschen Gebieten in Polen angeregt haben. Der frühere polnische Dissident Adam Michnik hatte vorgeschlagen, dieses Zentrum in Breslau anzusiedeln. Polen hat bislang jedoch kühl darauf reagiert. Miller deutete nach den Unterredungen von gestern an, er und Schröder seien zu keinem Ergebnis gekommen. 
Menschenrechtsgerichtshof urteilt im Herbst über Öcalan ANKARA: In einer Petition an das Parlament haben am Dienstag 2,5 Millionen Türken die Hinrichtung von PKK-Chef Abdullah öcalan ge­ fordert. Die Initiative war von An­ gehörigen getöteter türkischer Sol­ daten organisiert worden. Im Laufe des 15-jährigen Kampfes der PKK für die Autonomie des überwie­ gend von Kurden bewohnten Süd­ ostens der Türkei sind mehr als 36000 Menschen ums Leben gekommen. PKK-Chef Öcalan war 1999 wegen Hochverrats zum Tode verurteilt wor­ den. Die Vollstreckung der Strafe wur­ de aber auf Drängen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf­ geschoben. Gerichtshof für Menschenrechte Der Gerichtshof, der die Rechtmäs­ sigkeit der Verurteilung prüft, kündig­ te seine erwartete Entscheidung für den Herbst an. Bis dahin werde die Abfassung des «sehr komplexen» Ur­ teils dauern, teilte das Gericht mit. Türkische Presseberichte, wonach der Gerichtshof das bereits vorliegende Urteil aus politischen Gründen 
zurückhalte, entbehrten jeder Grund­ lage. Beim Verfahren in Strassburg geht es um .die Frage, ob Ankara mit. der Festnahme Öcalans im Februar 1999 in Kenia, seiner Verschleppung in die Türkei und der Verurteilung durch ein Staatssicherheitsgericht ge­ gen die Europäische Menschenrechts­ konvention Verstössen hat. Öcalans Anwälte machen unter anderem Ver­ stösse gegen die Grundrechte auf Le­ ben und einen fairen Prozess geltend. Die Urteile des Strassburger Gerichts­ hofs sind für alle Europaratsländer, zu denen die Türkei gehört, bindend. Türkische Medien hatten spekuliert, der Gerichtshof wolle zunächst eine Entscheidung des Parlaments in Anka­ ra über die Abschaffung der Todes­ strafe abwarten. Ein entsprechendes Gesetz liegt dem türkischen Parlament vor und soll demnächst debattiert wer­ den. Die Todesstrafe 
ist in der Türkei seit 1984 nicht mehr vollstreckt wor­ den. Im vergangenen Oktober hatte das Parlament in einem Verfassungs­ zusatz festgeschrieben, Hinrichtungen nur noch im Kriegsfall oder im Zu­ sammenhang mit terroristischen Ver­ gehen zu erlauben.
	        

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