Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

1 Liechtensteiner VOLKS BLATT 
INLAND Samstag, 13. April 2002 
3 Ein neues Bett für den Rhein Naturnahe Gestaltung der Flusslandschaft im Rheintal - Interview mit Theo Kindle Die Internationale Regierungs- kommission Alpenrhein will die verbaute und regulierte Fluss- und GewäSserlandschaft im Rheintal revitalisieren. Theo Kindle vom Amt für Umwelt­ schutz erzählt im Interview, was bereits unternommen wurde und was geplant ist: «Wir stehen ganz am Anfang von einem grossen Projekt», sagt Theo Kindle. Mit Theo Kindle sprach Manuela Schattie r VOLKSBLATT: Welche Aufgaben ste­ hen derzeit beim Schutz der Gewäs­ ser in 
Liechtenstein im Vordergrund? Theo Kindle: Früher hat man sich hauptsächlich mit der Entwässerung des Kulturlandes und der Hochwasscr- prohlcmatik befasst. Doch bei diesen Massnahmen, die man /um Teil schon vor 200 Jahren realisiert hat, wurden die Ökologie und der Landschafts­ aspekt nicht berücksichtig!. Die l isch- bestande sind dadurch dramatisch zurück genanten. Viele I ischanen sind sogar verschwunden. So kommen heu­ te im Alpenrhein nur mehr 1/ von ur sprunglieh !() Arten vor. Aber auch die lier- und PftJm/cngesellschafien aus­ serhalb des Wassers und das land- schaftsbild sind stark beeinträchtigt worden. Jetzt gehl es darum, die entstande­ nen ökologischen Probleme in den lirilT zu bekommen. Die Wasserver- schmut/ung war ein ganz grosses The­ ma. Heute ist die Wasserqualitat aber wieder weitgehend in Ordnung und si­ chert dadurch auch unsere Trinkwas­ serversorgung. Als Lebensraum funk­ tionieren der Alpenrhein und seine 
Zuflüsse aber nach wie vor schlecht. Gerade ist ein Bericht der Internatio­ nalen Regierungskommission Alpen­ rhein (IRKA) herausgekommen, der zeigt, dass die grossen täglichen Was- scrstandsschwankungen und die da­ durch auch im Winter hervorgerufene Trübung starke Beeinträchtigungen der Tiere und Pflanzen im Rhein ver­ ursachen. Die Bachforelle beispiels­ weise kann sich heute im Alpenrhein selbst nicht mehr natürlich vermehren. Um diese Probleme gemeinsam zu lösen, ist von der IRKA ein Fntwick- lungskonzept für den gesamten Alpen­ rhein in Vorbereitung, das bis Ende 200) abgeschlossen werden soll. Die­ ses Konzept zeigt mögliche Massnah­ men auf, die nach ihrer Priorität um­ gesetzt werden sollen. Line Massnahme kennt man heute schon: Der Flusslandschaft nniss wie­ der eine naturnahe Gestalt gegeben werden. Diese Revitalisierungen müs­ sen dabei sowohl den Alpenrhein als auch die Zuflüsse unifassen. Hat man mit solchen Revitalisie­ rungsmassnahmen schon begon­ nen? Bereits Alllang der 'Rlcr-Jalire wur­ den die trockengefallenen ßalzncr Giessen wieder bewassert. Die Mün­ dung des Binnenkanals wurde vor zwei Jahren naturnah umgestaltet. Alle noch vorkommenden Fischartcn können daher heute wieder ungehin­ dert aus dem Alpenrhein einwandern. Auch am Rhein selbst wurde im Kanton Graubünden eine kleine Strecke als Pilotprojekt aufgeweitet, um dem Fluss wieder mehr Raum zu bieten. In Mastrils gibt es zudem noch eine naturnähe Strecke, die noch nicht verbaut ist. 
Theo Kindle min Amt für Umwelt­ schutz. berichtet über die Pläne der Ausweitung des Rheins und seinen V.u- Jliissen. (Bild: manu! Soll in Zukunft auch der Rhein ent­ lang der Grenzstrecke Liechten­ steins naturnah gestaltet werden? Ja, 
denn es besteht grosser Hand­ lungsbedarf, aber auch mehrere Revi-talisierungsmögJichkeiten. 
Im gewäs- ser- und fischökologischen Konzept der IRKA wurde als eines von vier Massnahmenbeispiclcn der Bereich der F.schner Au ausgewählt. Jetzt geht es darum, abzuklären, wo man beginnt. Fangen wir in Vorarlberg an oder be­ ginnt man am Oberlauf. Denn eifle Aufweitung beeinflusst beispielsweise den Kiestransport irr) Alpenrhein so­ wohl flussaufwärts als auch flussab- wärts. Die Gestaltung der verschiede­ nen Rheinabschnitte muss daher auf­ einander abgestimmt sein. Das soll im bereits erwähnten Entwicklungskon­ zept erfolgen, wobei alle Einflüsse und Nutzungen zu beachten sind. Diese grundlegenden Überlegungen müssen zuerst entschieden werden. Erst dann können die verschiedenen Massnah­ men festgelegt werden. Wie soll die Ge.wässer- und Huss­ landschaft in Zukunft im Rheintal aussehen? Die naturnahe Rheinstrecke in Mast­ rils gibt uns einen gewissen Ein­ druck, wie der Rhein zukünftig ausse­ hen sollte. Ansonsten haben wir keine natürlichen Flussabschnitte mehr. Al­ les ist verbaut. Wir müssen teilweise recht weit reisen, wenn wir noch natürliche Flüsse erleben wollen. Als Vorlage dienen uns heute historische Daten, wie der Alpenrhein und die Zu­ flüsse früher ausgesehen haben. Der Flusslauf war unregelmässig'und ver­ lief in Krümmungen. Das Ziel ist aber nicht die Wieder­ herstellung des ursprünglichen Zu- standes, sondern eine Gestaltung, die den Hochwasserschutz und die sonsti­ gen Nutzungen am Fluss sicherstellt, aber auch allen Tier- und Pflanzenar- ten geeigneten Lebensraum bietet. 
Diese naturnahe Flusslandschaft bietet auch für die Erholungsnutzung der Be­ völkerung mehr Möglichkeiten. Denn in natürlichen Gebieten will man sich eher aufhalten als an einem Graben. In den letzten 200 Jahren wurde der Rhein und seine Zuflüsse aus Angst vor dem Hochwasser gezähmt. Jetzt soll er wieder frei seinen Weg su­ chen können. Müssen wir wieder mit Hochwasser rechnen? Der Alpenrhein und seine Zuflüsse . werden sich auch in Zukunft nicht frei ihren Weg suchen können. Wir bieten ihm nur ein breiteres Bett, indem wir die Dämme streckenweise zurückver­ setzen. Der Hochwasserschutz wird dadurch sogar noch besser sein. Denn heute haben wir mehr Wissen, bessere •Maschinen und besseres Damm-Mate­ rial als früher. Wann sollen die Aufweitungen am Rhein vorgenommen werden? Wir stehen noch ganz am Anfang. Wir haben erst einige Konzepte ent­ wickelt, wie die Rheinlandschaft später aussehen könnte. Einige Machbarkeits­ studien wurden durchgeführt. Dabei haben wir festgestellt, dass die Rhein- revitalisierung technisch möglich ist. Jetzt müssen wir zuerst die Ergebnisse des Entwicklungskonzeptes aowarten, die Ende 2003 vorliegen sollen. An den Zuflüssen können wir jedoch bereits jetzt mit Revitalisierungsmassnahmen beginnen. Die Erfahrungen mit der umgestalteten Mündung des Binnen­ kanals und anderen Revitalisierungen zeigen klar, dass wir dadurch deutliche Verbesserungen erreichen können. Je mehr Platz wir unsern Gewässern dabei geben können, umso erfolgreicher wer­ den Revitalisierungen. Lebensraum für Fische und Pflanzen Das Flusssystem im Rheintal wurde aus Angst vor dem Hochwasser reguliert Der Rhein und seine Zuflüsse sollen ihre ursprüngliche ge­ wundene Form wieder zurück bekommen. Fische, die vom Aussterben bedroht sind, be­ kommen so wieder ihren Le­ bensraum zurück. «Das Land­ schaftsbild wird an Erlebniswert für die Bevölkerung gewinnen», sagt Theo Kindle vom Amt für Umweltschutz.- Manuela Schädle r Der Rhein sucht sich kreuz und quer seinen Weg durch das Tal. Seitenarme zweigen vom Hauptfluss ab und um­ ringen Schotter und Inselbänke. Das Wasser hat unterschiedliche Tiefen, das Bachbett ist mal breiter mal schmaler. Holz, das angeschwemmt oder ins Wasser gestürzt ist, treibt auf dem Rhein oder setzt sich auf seichten Stellen fest. Auch die Zuflüsse und sonstigen Bäche suchen sieh ihren ei­ genen Weg durchs Tal. An die 30 ver­ schiedenen Fischartcn tummeln sich in dem vielfältigen Gewässer. 
Die Pflan­ zenwelt blüht um die Wette. So sah das Rheintal bei Liechten­ stein im 18. Jahrhundert aus. Doch das Hochwasser machte den Menschen zu schaffen. Jährlich ertranken Leute und Vieh, die hygienische Situation war katastrophal. Bis ins 19. Jahrhundert wütete sogar das Wechselfieber. Des­ halb wurden am Rhein Rcguliermass- nahmen vorgenommen. 
Ende des 18. Jahrhunderts fingen die grossen Regu­ lierungen des Flusssystems an. Die Re­ gulierung des liechtensteinischen Rheinabschnittes dauerten mehrere Jahrzehnte, von zirka 1850 bis in die 80er-Jahre. Heute sieht die Fluss- und 
Gewäs­Die 
Rheinstrecke bei Mastrils in Graubünden ist noch nicht verbaut. So könnte der Rhein in Zukunft auch bei uns aussehen. (Bild: Peter Donatsch, Bad Ragaz) serlandschaft anders aus. Der Rhein verläuft monoton - nur einige Sand­ bänke besitzt er noch. Die Nebenflüsse wurden zu schmalen, trapezförmigen Gerinnsel reguliert. Nur noch 18 Fischartcn können in diesem verbau­ tem Gewässer leben. 
«Durch die Reguliermassnahmen wurden die ökologischen Funktionen und der Lebensraum für Tiere und Pflanzen stark eingeschränkt. Das Landschaftsbild hat an Attraktivität verlören», sagt Theo Kindle vom Amt für Umweltschutz. 
Vor allem die Fische leiden unter der monotonen Gewässerlandschaft. Eini­ ge Fische wie der Karpfen oder Bitter­ ling sind ausgestorben. Andere Fische wie die Seeforelle oder Bachforelle sind vom Aussterben bedroht. Einzig der Regenbogenforelle gefüllt diese Le­ hensart, doch die ist nicht heimisch. Giessen wiedeF 
bewässert Deshalb werden seit den 60er-Jahren umfangreiche Massnahmen zur Ver­ besserung der ökologischen Verhält­ nisse umgesetzt. Ausgetrocknete Gles­ sen wurden wieder bewässert und der Binnenkanal renaturiert. Das hat den Fischbcstind wieder gestärkt. • «Aber wir stehen erst am Anfang von einem grossen Projekt», sagt Theo Kindle. In Zukunft sollen alle Kanäle und Bäche wieder naturnah gestaltet werden. Auch der Rhein soll wieder ei­ nen natürlichen Flusslauf bekommen. Die Fluss- und Gewässerlandschaft soll wieder ähnlich wie früher ausse­ hen: In einem breiterem Becken kann der Rhein wieder seinen eigenen Weg suchen. Die Fische und Pflanzen ha­ ben wieder einen schönen Lebens­ raum. Das Ökologiesystem funktio­ niert wieder. Und trotzdem müssen die Menschen keine Angst vor dem Hoch­ wasser haben, da der Damm bleibt: «Er wird einfach zurück versetzt». In Zonenplanung berücksichtigen Beispiele für Konzepte, wie die Fluss- und Rheinlandschaft aussehen könnte, sind bereits vorhanden. «Wir müssen die Revitalisierung in Zukunft auch in der Zoncnplanung berücksich­ tigen», sagt Theo Kindle, Denn der neue Rhein braucht viel mehr Platz, damit er wieder seine natürliche ge­ wundene Form annehmen kann. 
•Ziel der Internationalen Regierungs­ kommission Alpenrhein (IRKA) ist es, im Rahmen der bestehenden verfas­ sungsmässigen, staatsvertraglichen und gesetzlichen Bestimmungen den Schutz und die nachhaltige Nutzung des internationalen Flusssystems Al­ penrhein gemeinsam sicherzustellen. Linter Alpenrhein versteht man die Strecke vom Zusammenfluss von Vorder- und Hinterrhein bei Rei­ chenau bis zur Mündung in den Bo­ densee. Diese 90 km durchmessen die Kantone Graubünden und St. Gallen, das Fürstentum Liechtenstein und Vorarlberg. 
Von der Mündung der 111 bis zum Bodensee spricht man von der internationalen Strecke. Der Alpenrhein war schon immer ein Grenzgewässer und Gegenstand bila­ teraler Vereinbarungen. Erst die In­ ternationale Regierungskommission Alpenrhein (IRKA) hat alle angren­ zenden Länder und Kantone an einen Tisch gebracht. Die IRKA wurde offi­ ziell am 7. August 1995 in St. Gallen ins Leben gerufen. Das Hauptinteres­ se gilt derzeit den Bereichen Hoch­ wasserschutz, Grundwasserschutz und damit auch der Trinkwasserver­ sorgung, der Gewässer- und Fisch­ ökologie, unter Berücksichtigung des Naturschutzes, sowie der nachhalti­ gen Nutzung der Energicpotentiale. Um in diesen Bereichen zielführende Arbeit leisten zu können, ist eine 
en­ ge Zusammenarbeit 
mit der Raum­ planung sowie der Land- 
und Forst­ wirtschaft unumgänglich. Im Rah­ men der IRKA wird nun erstmals ei­ ne grenz- und fachgebietsübergrei­ fende koordinierte Zusammenarbeit aufgebaut. 
Für den Alpenrhein 
stellt diese internationale Kooperation ein historisches Ereignis dar. 
Der Rhein hat als 
prägendes Element des Tal- raums und somit 
auch Liechtensteins grosse Bedeutung für die Landschaft und die Erholung.» AloisÖspelt, Umweltminister
	        

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