Kindskopf!» rief die, «wünscht er
mir einen schönen Advent!
Wenn möglich mit Adventskranz,
Glühbirnen, Sängerknaben und
dem ganzen sentimentalen
Kitsch! Dass sich gleichzeitig die
Menschen gegenseitig umbrin
gen, das liisst Sie wohl kalt,
was?» Wem sagt sie das!
Ihm verschlug es die
Sprache
Er versuchte die peinliche Stil
le mit einer Gegenfrage zu über
brücken: «Aber wie steht es denn
mit Weihnachten?» «Weihnach
ten!» kreischte die Frau, «jetzt
kommt er noch mit Weihnach
ten! Hören Sie damit auf! Wenn
ich mir während des Advents die
Nerven damit ruiniert habe, dass
ich Gutgläubigen, wie Sie zum
Beispiel einer sind, versucht ha
be, die Augen für das Elend in
der Welt zu öffnen, dann ist für
mich Weihnachten gelaufen. An
Weihnachten will ich nur noch
eines: weg von hier, ins Land, wo
die Zitronen und die Orangen
blühen. Verstehen Sie das? Ich
habe bereits gebucht. Am 24. er
hebe ich mich in die Lüfte. Und
jetzt verduften Sie, wenn Sie
schon nichts begreifen!»
Jesus aber hatte begriffen:
Weihnachten interessierte nicht
mehr. Erwartete man ihn denn
nicht mehr? Er musste jetzt un
bedingt den Rat eines Fach
manns einholen. So suchte er ei
ne Kirche auf. Er hatte Glück, die
Gemeinde feierte gerade den
Gottesdienst. Laut rief der zele
brierende Pfarrer: «Geheimnis
des Glaubens!» Die wenigen
Gläubigen antworteten: «Deinen
Tod, oh Herr, verkünden wir und
deine Auferstehung preisen wir,
bist du kommst in Herrlichkeit!»
Jesus Christus strahlte. Ja, er wur
de noch erwartet!
Seine Zeit war gekommen!
Nach dem Gottesdienst wollte er
es genau wissen und ging zum
Pfarrer iii die Sakristei, der sich
seiner Messgewänder entledigte.
«Kommt er wirklich an Weih
nachten?» fragte Jesus Christus
ihn strahlend. Der Pfarrer war
ganz irritiert. «Wer soll an Weih
nachten kommen?» Jesus konnte
sich im letzten Moment noch zu
sammennehmen. Beinahe hätte
er gesagt: «Natürlich ich, wer
denn sonst!», aber so erwiderte er
hoheitsvoll: «Jesus Christus, der
wiederkommen wird.» «Von wel
cher Sekte sind Sie?» fragte der
Pfarrer misstrauisch. «Sie haben
es doch vorhin im Gottesdienst
selbst gesagt, und in der Bibel
steht es auch.» Jetzt nahm das
Gesicht des Pfarrers mitleidvolle
Züge an: «Sie dürfen das alles
nicht so wörtlich nehmen. Sie
müssen die Bibel richtig deuten.
Sie müssen das symbolisch ver
stehen. Verstehen Sie?» Nein, Je
sus verstand nicht.
Nein, die Zeit ist noch
nicht gekommen
«Nun, was wäre denn, wenn er
an Weihnachten wirklich in Ih
rer Kirche stehen würde?» Der
Pfarrer überlegte. «Ja, da müss-
ten wir uns wohl freuen, was?»
meinte er, «obwohl unter uns
gesagt, das wäre wirklich der
dümmste Moment. Wissen Sie,
der Kirchenchor probt seit Mo
naten die Krönungsmesse, und
mit den Ministranten habe ich
immer meine liebe Mühe. Das
will ja immer alles so gut einge
übt sein, das erträgt keine
Störung. Abgesehen davon,
warum sollte er ausgerechnet
dieses Jahr an Weihnachten
kommen? Nein, guter Mann,
zerbrechen Sie sich nicht den
Kopf mit Dingen, die über Ihren
Verstand hinausgehen!»
Jetzt hatte Jesus Christus end
lich begriffen. Er wurde gar
noch nicht erwartet. Er be-
schloss daher, mit seiner Wie
derkunft ein paar Jahrhunderte
zu warten.
(Aus: «24 Geschichten zu den
Festtagen im Kirchenjahr» von
Markus Arnold, Rcx-Verlaa.l^fir