Liechtensteiner VOLKSBLATT
AUSLAND
Freitag, 1. Dezember 2000 41
Gore kämpft gegen Bush
und die Zeit
Demokraten rufen Obersten Gerichtshof von Florida an - Kandidaten bereiten Einzug ins Weisse Haus vor
WASHINGTON: Beim juris
tischen Schachspiel um
die amerikanische Präsi
dentschaft war am Don
nerstag der demokrati
sche Kandidat AI Gore am
Zug.
Im Kampf gegen den republika
nischen Widersacher George W.
Bush und die Zeit riefen Gores
Anwälte den Obersten Ge
richtshof von Florida an, um
eine sofortige Neuauszählung
in den umstrittenen Bezirken
des US-Staates zu erreichen.
Sie wollen auf diese Weise eine
Entscheidung eines Bezirksge
richts umgehen, das für Sams
tag eine Anhörung angesetzt
hat.
Die Anwälte erklärten, es sei
wichtig, dass das Gericht jetzt
entscheide, damit umgehend
mit der Neuauszählung der
Stimmen begonnen werden
könne. Es müsse sichergestellt
werden, dass die Auszählung
bis zum Stichtag 12. Dezember
beendet ist. Sollte dies nicht
gelingen, werde die dann
zwangsläufig folgende Kontro
verse um die Rechtmässigkeit
der Wahl dem Land grossen
Schaden zufügen. Nach Bun
desrecht müssen die Wahlmän
ner am 12. Dezember berufen
AI Gore denkt nicht ans Aufgeben. In der Mitte Ehefrau Tipper Gore und links der demokratische
Kandidat für des Amt des Vizepräsidenten Joseph Lieberman.
werden, damit sie am 18. De
zember ihre Stimmen für den
Präsidenten abgeben können.
Der Oberste Gerichtshof von
Florida hatte am 13. November
einen Antrag der Republikaner
gegen die manuelle Nachzäh
lung abgelehnt. Gore kam da
mit bis auf 537 Stimmen an
Bush heran.
Unabhängig vom Ausgang
des Streits bereiteten sich beide
Kandidaten weiter auf den Ein
zug ins Weisse Haus vor. Beide
trafen sich mit möglichen Mi
nistern ihrer Regierung. Gore
traf sich am Donnerstag mit
seinem Kandidaten für das Vi
zepräsidentenamt, Joseph Lie
berman, Arbeitsministerin Ale
xis Herman und der früheren
Chefin des Umweltressorts im
Weissen Haus, Kathleen Mc-
Ginty. Bush empfing auf seiner
Ranch in Texas den früheren
Stabschef der Streitkräfte, Ge
neral Colin Powell. Das gab
Gerüchten neuen Auftrieb, dass
der General a.D. in einer Regie
rung Bush für das Amt des
Aussenministers vorgesehen
ist.
Auf Anweisung des Bezirks
richters N. Saunders Sauls
wurden am Donnerstagmorgen
462 000 Stimmzettel aus Palm
Beach nach Tallahassee ge
bracht, für den Fall, dass er ei
ne Nachzählung anordnet. Ein
ähnlicher Konvoi sollte am
Freitag den Bezirk Miami-Dade
verlassen. Sauls forderte insge
samt eine Million Wahlzettel
an, die vom Süden des Staates
644 Kilometer in den Norden
gebracht werden.
Unterdessen zeigten sich für
Gore erste positive Wirkungen
seiner Presseoffensive vom
Vortag. Dabei zeigte sich, dass
das Verständnis für seinen
hartnäckigen Widerstand ge
gen eine vorzeitig Kapitulation
vor Bush wieder angewachsen
ist.
In einer Umfrage des Senders
CBS erklärten 42 Prozent der
Befragten, Gore müsse seine
Niederlage eingestehen. 48
Prozent sagten dagegen, dafür
sei es noch zu früh.
Artistide erneut
Präsident von Haiti
Opposition spricht von Manipulation
PORT-AU-PRINCE: Jean-Ber
trand Aristide übernimmt
nach vier Jahren erneut die
Regierung des Karibikstaates
Haiti.
Er erhielt bei der Präsidenten
wahl am Sonntag etwa 92 Pro
zent der Stimmen, wie die
Wahlkommission am Mittwoch
bekannt gab.
Der nächstplatzierte Bewer
ber, Arnold Dumas, kam ledig
lich auf 2,4 Prozent. Die gröss-
ten Oppositionsparteien hatten
die Wahl wegen befürchteter
Manipulationen boykottiert.
Auch bei der Wahl von neun
Sitzen im Senat gewannen die
Bewerber der regierenden La-
valas-Partei. Damit hält die
Partei Aristides alle Oberhaus
sitze bis auf einen. Sie hatte be
reits bei den Kommunal- und
Parlamentswahlen in diesem
Jahr laut offiziellem Ergebnis
etwa 80 Prozent der Stimmen
erhalten.
Die Wahlbeteiligung am
Sonntag betrug nach offiziellen
Angaben 61 Prozent, was von
unabhängigen Medien und Op
positionspolitikern jedoch an
gezweifelt wird.
Freudentränen flössen
Familientreffen für Nord- und Südkoreaner
' ' 1
•V 1
200 Koreaner haben am Donnerstag zum ersten Mal seit 50 Jah
ren ihre Familienmitglieder im Norden und Süden wiedergesehen.
Freudentränen flössen, als sich die solange getrennten Angehöri
gen endlich in den Armen lagen. Zum ersten Mal in ihrem Leben
sahen Mütter ihre Enkel und Väter ihre Kinder. Überwältigt vor
lauter Wiedersehensfreude brachten manche kaum ein Wort
heraus. Schätzungen zufolge leben heute 1,2 Millionen Flüchtlinge
aus dem Norden in Südkorea. Die meisten haben noch Verwandte
im Norden.
Barak erläutert Friedensplan
Anerkennung für Staat Palästina zugesagt
TEL AVIV: Der israelische Mi
nisterpräsident Ehud Barak
hat am Donnerstag erstmals
Einzelheiten seines Friedens
plans mit den Palästinensern
offen gelegt. Er erklärte in
einer Rede vor israelischen
Journalisten, er sei bereit,
einen unabhängigen Staat
Palästina anzuerkennen.
Über die umstrittenen Themen
Jerusalem und eine Rückkehr
palästinensischer Flüchtlinge
wolle er zu einem späteren
Zeitpunkt verhandeln. Barak
erklärte, er wolle eine politische
Lösung erarbeiten, sobald die
Gewalt in den Autonomiege
bieten ein Ende habe. Seine
Vorschläge 'enthielten keine
neuen Ansätze.
«Ich habe nie gesagt, dass ich
nach der Ankündigung von
Neuwahlen schneller auf ein
Abkommen hinarbeiten wer
de», sagte Barak. Das mögliche
Abkommen kurz vor den Wahl
en werde nicht anders sein als
eines, das ohne Neuwahlen zu
Stande gekommen wäre.
Gestaffeltes Abkommen
Barak sprach von einem
gestaffelten Abkommen und
erklärte, er werde einen palästi
nensischen Staat anerkennen.
Über die Souveränität über Je
rusalem und die Flüchtlingsfra
ge solle erst in «ein oder zwei
oder drei Jahren» gesprochen
werden. Die Palästinenser be
trachten diese Themen jedoch
als grundlegend ftir ein endgül
tiges Friedensabkommen. Sie
wollen ihre Hauptstadt im ara
bischen Ostjerusalem errichten
und fordern eine Rückkehr
palästinensischer Flüchtlinge.
Barak sagte weiter, er wolle
jüdische Siedlungen in der Re
gion um Jerusalem annektie-
Israels Ministerpräsident Ehud
Barak legte gestern Einzelhei
ten seines Friedensplanes mit
dem Palästinensern offen.
ren. Berater hatten Einzelheiten
des Friedensplans schon zuvor
bekanntgegeben, doch die
Stellungnahme Baraks am
Donnerstag war seine umfas
sendste.
Er ist der erste Ministerpräsi
dent, der erklärt hat, er werde
Palästina anerkennen. Die
Palästinenser erklärten darauf
hin, sie seien nicht an Teillö
sungen interessiert. «Wir war
ten auf eine politische Ent
scheidung darüber, ob Israel
bereit für den Frieden ist oder
weiter Zeit verschwenden will»,
sagte ein Berater Arafats, Nabil
Aburdeneh.
Unterdessen kündigte Ägyp
ten am Donnerstag einen Nah
ost-Gipfel in der kommenden
Woche an. Israelische Medien
berichteten, der Gipfel mit Ba
rak und dem palästinensischen
Präsidenten Jassir Arafat solle
entweder in Kairo oder der jor
danischen Hauptstadt Amman
stattfinden.
Barak und Arafat haben sich
seit Beginn der Ausschreitun
gen in den Autonomiegebieten
Ende September erst einmal
getroffen, auch Telefonge
spräche waren selten. Arafat
erklärte, er höre zum ersten Mal
von einem geplanten Gipfel.
Die Kämpfe, die bislang mehr
als 280 Menschenleben koste
ten, gingen in den vergangenen
Tagen zurück. Trotzdem blieb
die Lage in den palästinensi
schen Autonomiegebieten ge
spannt.
Vorgezogene Neuwahlen
im April oder Mai
Die israelischen Parteien
setzten ihre Gespräche über ein
Datum für vorgezogene Neu
wahlen fort, die wahrscheinlich
im April oder Mai stattfinden
werden. Barak machte seine
politische Zukunft davon ab
hängig, ein Friedensabkommen
mit den Palästinensern zu er
zielen. Beobachter erwarten,
dass die Verhandlungen mit
den geplanten Neuwahlen neu
en Schwung bekommen. Ein
Termin für Neuwahlen werde
gleichzeitig als Frist für ein Ab
kommen dienen.
Dem Sicherheitsrat der Ver
einten Nationen wurde eine Re
solution zur Entsendung von
2000 ' unbewaffneten Blau-
helmsoldaten in die palästinen
sischen Autonomiegebiete vor
gelegt.
Der Resolutionsentwurf wur
de am Mittwoch vom afrikani
schen Staat Mali eingebracht.
NACHRICHTEN
Tote bei Uberfall
In Nepal
KATHMANDU: Bei einem
Überfall auf einen Polizei
posten haben vermutlich ra
dikale Maoisten in Nepal
mindestens elf Menschen
getötet. Die Maoisten hätten
in der Nacht zum Donners
tag einen Posten einer
Spezialeinheit in Kotbawar,
480 Kilometer westlich der
Hauptstadt Kathmandu,
überfallen, teilten die
Behörden mit. Die Maoisten
kämpfen seit fünf Jahren
für die Abschaffung der
Monarchie im Himalaya-
staat Nepal. Dabei wurden
bislang 1500 Menschen
getötet.
Neue Verhand
lungsrunde für
NS-Opfer
WIEN: In Wien hat gestern
die dritte Verhandlungsrun
de über Entschädigungszah
lungen an NS-Opfer begon
nen. Bei den Verhandlungen
geht es um die Frage, wel
che Arten der von den Na
zis beschlagnahmten Ver
mögenswerte entschädigt
werden müssen. Das sagte
ein Sprecher des österreichi
schen Entschädigungsbe
auftragten Ernst Sucharipa.
Der Vertreter der USA, Vize-
finanzminister Stuart Eizen
stat, wollte nach Angaben
eines US- Vertreters höhere
Zusagen vor allem der
österreichischen Privatwirt
schaft erreichen. Die An
wälte der Opfer drohen
Österreich mit Millionenkla
gen vor US-Gerichten, falls
es keine Fortschritte gibt.
Währungsunion
MINSK: Der Rubel wird spä
testens von 2005 an die ge
meinsame Währung von
Russland und Weissrussland
sein. Die Präsidenten beider
Länder, Wladimir Putin und
Alexander Lukaschenko,
schlössen einen entspre
chenden Vertrag über die
Währungsunion am Don
nerstag in Minsk. «Ab 2008
wird die Union dann eine
neue Gemeinschaftswäh
rung haben, aber welche
weiss ich noch nicht», sagte
Putin nach der Unterzeich
nung. Russlands Staatschef
betonte, bei der Integration
beider Ex-Sowjetrepubliken
müsse «übertriebene Eile»
vermieden werden.
Milosevic soll
nach Den Haag
BELGRAD: Die Auslieferung
des ehemaligen jugoslawi
schen Präsidenten Slobodan
Milosevic an das UNO-
Kriegsverbrechertribu nal
sollte in der jugoslawischen
Politik an erster Stelle ste
hen. Das sagte Sead Spaho-
vic, einer der drei serbi
schen Justiz-Kominister,
der Belgrader Nachrichtena
gentur FoNet am Donners
tag. Die Auslieferung des
Ex-Diktators sei auch des
halb wichtig, weil den Men
schen in Jugoslawien und
in Serbien immer noch
nicht bewusst sei, welche
Verbrechen im Namen des
Staates und vom Staat be
gangen worden seien, mein
te Spahovic. In Serbien
selbst würden Milosevic nur
Bereicherung und unerlaub
ter Hausbau zur Last gelegt.