Liechtensteiner VOLKSBLATT
LAND UND LEUTE
Freitag, 17. November 2000 5
«Auch die Wahrheit ist ein
hochkomplexes Kunstprodukt»
Internationaler Liechtensteiner Presseclub (LPC) - Öffentliche Podiumsveranstaltung im Campo Rin der LGT in Bendern
Wahrheit müsse gepflegt
werden, «sie ist ein hoch
komplexes Kunstpro
dukt». Mit diesen Aussa
gen provozierte die Pro
fessorin Gertrud Höhler
das Publikum an der ges
tern Abend durchgeführ
ten Podiumsdiskussion.
Ihrer Ansicht nach müsse
eine Kultur, die vom Ver
trauen getragen ist, wie
derhergestellt werden.
Adi Lippuner
Eine Professorin, dazu eine be
kannte Buchautorin und eine
brillante Rhetorikerin, so kann
Gertrud Höhler in kurzen Wor
ten beschrieben werden. An der
gestern Abend vom Internatio
nalen Liechtensteiner Presse
club (LPC) organisierten und im
Campo Rin der LGT in Bendern
durchgeführten Podiumsdis
kussion hielt sie ein vielbeach-
Gertrud Höhler vermochte die
Zuhörer mit ihren Argumenten
zu überzeugen.
tetes Einführungsreferat. Mit
Schlagzeilen wie «Fürstentum
Lügenstein» seien die Men
schen in diesem Land mehr
mals konfrontiert gewesen.
«Manch einer mag sich wün
schen, zu einem internationa
len Medienthema zu werden.
Doch Betroffene können die
Melodie, die dann gespielt
wird, nicht selbst bestimmen.»
Anonymes Papier
Höhler erinnerte an den Aus
löser: ein Papier, ein anonymes
noch dazu habe den ganzen
Wirbel ausgelöst. Auch wenn
der «Spitzer-Bericht» nachher
feststellte, dass es keine Geld
wäscher-Vereinigung gebe, sei
das Bild von Liechtenstein in
den anderen Ländern nicht au
tomatisch korrigiert worden.
«Die Wahrheit ist für den Geg
ner uninteressant, denn auch
die Wahrheit ist ein hoch
komplexes Kunstprodukt. Sie
kommt nicht plötzlich an den
Tag, sie muss gepflegt werden.»
Mit diesen Aussagen ging
die Referentin dazu über, Bei
spiele und Möglichkeiten von
verbesserter Kommunikation
aufzuzeigen. «Alle Produkte
leben vom emotionalen Mehr
wert, der Zusatznutzen kann
nur in sehr langer Zeit vermit
telt werden.» Zudem werde da
zu ein Konzept benötigt. In der
Kommunikation könne man
davon ausgehen, dass die Er
folgsworte in den Texten der
Gegner stehen.
Beispiel «Greenpeace»
Diese These wurde am Bei
spiel der Umweltorganisation
Greehpeace erklärt. «Da gibt es
den grossen Ölmulti mit der
Muschel als Markenzeichen.
Greenpeace ist nun hingegan
gen, hat die Muschel mit Öl
Übergossen und in den Mittel
punkt noch Jean d'Arc gestellt.
Die Botschaft war klar, es steht
eine wehrlose Jungfrau im
feindlichen Meer.»
Dieses Beispiel zeige, dass
man bei Angriffen über die tri-
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Die Professorin Gertrud Höhler bei Einführungsreferat. Auf dem Podium (von links) Wolfgang Burtscher, Intendant ORF-Landesstudio
Vorarlberg, Filippo Leutenegger, Chefiedaktor SF DRS, und Walter B. Wohlwend, LPC-Präsident. (Bilder: bak)
valen Gesetze der Kommunika
tion nachdenken müsse. Dabei
liege es auf der Hand, dass die
Gegner an einer Weiterführung
der Skandalgeschichte jedes In
teresse haben. «Es muss ein Ge
winnerspiel eröffnet werden. Es
reicht nicht, wenn nur gesagt
wird, dass alles in Ordnung ist.»
Vielmehr gehe es darum, die <
Mängel zu erkennen und neue
Glaubwürdigkeiten aufzubau
en. Gertrud Höhler verglich
dies mit dem Aufbau einer
Marke, was il^r dann während
der Podiumsdiskussion auch
prompt den Vorwurf einbrach
te, sie könne ein Land nicht mit
einem Unternehmen verglei
chen.
«Die Stärken des Landes wur
den bisher nicht kommuni
ziert.» Eigentlich hätte Liech
tenstein mit dem gleichen Me-
dienmix, der das Land in die
Enge trieb, antworten sollen.
Dies allerdings nicht, um sich
zu rechtfertigen, sondern um
sich in den Köpfen der Men
schen auf positive Art festzu
setzen. «Diese Aussage wurde
mit dem Zitat eines Unfallchi
rurgen untermauert: «Die Hei
lungszeit einer Unfallwunde
beträgt das Sechsfache.» Liech
tenstein könne sich ausmalen,
wie lange es ohne entsprechen
de Massnahmen dauern werde,
bis das Vertrauen in das Land
wiederhergestellt sei.
Gemäss Filippo Leutenegger können sich Liechtenstein,
Schweiz und Österreich ihre Wunden gemeinsam lecken.
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