Liechtensteiner VOLKSBLATT
AUSLAND
Freitag, 10. November 2000 31
Blanke Nerven, langes Warten
US-Wahlen lösen politische Krise aus - Definitives Endergebnis noch ausständig
TALLAHASSEE: Die Zit
terpartie um den künfti
gen Präsidenten der USA
geht in eine neue Runde:
Die Demokratische Partei
von Präsidentschaftskan
didat AI Gore will in vier
Bezirken im wahlent
scheidenden Staat Florida
die Wahlzettel mit der
Hand nachzählen lassen.
Betroffen sind die Kreise Palm
Beach, Dade, Broward und Vo-
lusia, in denen die Grossstädte
Miami, Fort Lauderdale und
Daytona Beach liegen. Insge
samt geht es dort um etwa 1,78
Millionen Stimmen. Mehrere
Bürger von Palm Beach protes
tierten gestern wegen Unregel
mässigkeiten, die von der Wahl
dort berichtet wurden. Einige
von ihnen reichten Klage ein,
um eine Neuwahl in dem Bezirk
zu erreichen.
«Massive Verwirrung»
Gores Wahlkampfmanager
William Daley erklärte am
Donnerstag, es sei sogar mög
lich, dass die Demokraten eine
Neuwahl in Palm Beach bean
tragen würden, wo es eine
«massige Verwirrung» wegen
der Stimmzettel gegeben habe.
«Technische Fragen sollten
nicht über die Präsidentschaft
Bis zum Schluss heisst es warten
spannend und nervenaufreibend.
entscheiden, sondern der Wille
des Volkes», sagte er.
US-Justizministerin Janet
Reno kündigte eine Prüfung al
ler Beschwerden an. Vor Be
ginn der Kontrollzählung war
und hoffen. Noch nie war eine Präsidentschaßswahl in den USA so
(Bilder: Keystone)
(REPUBLICAN)
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Im Kreis Palm Beach haben sich Wähler über die unübersichtliche
Gestaltung des Stimmzettels beschwert. Wegen der irreßihrenden
Wahlzettel hatten viele Bürger nach eigenen Angaben für Buchan-
an gestimmt, obwohl sie eigentlich Gore wählen wollten.
der Abstand zwischen beiden
Kandidaten mit 1784 Stimmen
noch mehr als doppelt so gross.
Auf den Sieger werden alle
25 Wahlmännerstimmen ver
pflichtet, dieser erreicht damit
die notwendige Mehrheit für
das Präsidentenamt. Verzögert
wird die Entscheidung zudem
dadurch, dass Briefwahlstim
men aus Übersee in Florida btä
zu zehn Tage nach der Wahl
gewertet - vorausgesetzt sie
tragen den Poststempel vom 7.
November.
Die New Yorker Börse rea
gierte nervös auf die Ankündi
gung der Demokraten, die nach
Befürchtung von Analysten die
Zeit der politischen Unsicher
heit verlängern wird. Der Dow-
Jones-Index fiel binnen kurzer
um 250 Punkte, die Technolo
giebörse Nasdaq gab um 128
Zähler nach.
Im Kreis Palm Beach haben
sich mehrere Wähler über die
unübersichtliche Gestaltung
des Stimmzettels beschwert.
Gore und der Kandidat der Re-
formpartei, Pat Buchanan,
standen auf dem in eine zwei-
s.S|fo^ige.< Tabelle gestalteten
Stimmzettel nebeneinander,
das Kreuz für Gore musste in
den dritten Kreis in der Mitte,
das für Buchanan in den zwei
ten gemacht werden.
Ungültige Stimmzettel
Wegen der irreführenden
Wahlzettel hatten viele Bürger
nach eigenen Angaben für
Buchanan gestimmt, obwohl
3
TALLAHASSEE: tieorgefw
Bush führt nach offiziellen.
Angabed bei der ZVMtau&-.
Zahlung der US-Präsident-j
schaft in Florida nach tler
Zweitauszählung miti)J784j
Stimmen Allerdings /sindj
noch für 14 Bezlrke dirofft- '
ziellen Zahlen ausstehend.';
Diese wurden gestern Don-,
nerstag nicht bekannt gege- <
»bis kommenden.Dienstag.be-'
endet sein. -0
- Inoffizielle. Zahlen: von *
Femsehstationen sahen- den;
Vorsprung von Bush schwin- •-
den. Der Abstand zum Demo-'
kraten AI 1 "Gore betrug 1
gemäss CNNaüf Basis der Er- \
gebnisse in 64, von 6t. Bezir-.;
ken nur noch 362 Stimmen.
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Lichterketten gegen die rechte Gewalt
Grösste Kundgebung gegen Rechts seit 1992 - Rau sprach für ein Deutschland ohne Angst
BERLIN: Über 200 000 Men
schen und damit weit mehr
als erwartet haben gestern an
der grössten Demonstration
gegen Rassismus und Gewalt
in Berlin seit 1992 teilgenom
men. Bundespräsident Johan
nes Rau rief bei der Kundge
bung anlässlich des 62. Jah
restages der Pogromnacht
zum gemeinsamen Kampf ge
gen den Rechtsextremismus
auf.
«Arbeiten wir für ein Deutsch
land, in dem wir ohne Angst
verschieden sein können und
das wir deshalb auch lieben»,
sagte er bei der Abschluss
kundgebung vor dem Branden
burger Tor. Der Präsident des
Zentralrats der Juden, Paul
Spiegel, appellierte an die
Menschen in Deutschland,
mehr Zivilcourage zu zeigen.
Er sei überzeugt, dass die
Mehrheit Rechtsextremismus,
Antisemitismus und Fremden
feindlichkeit ablehne. «Aber
diese Mehrheit darf nicht län
ger schweigen, sie darf nicht
länger wegschauen, sie darf
nicht länger die Vorgänge in
unserem Land verharmlosen»,
betonte Spiegel.
Zu der Demonstration unter
dem Motto «Wir stehen auf für
Menschlichkeit und Toleranz»
hatten alle im Bundestag ver
tretenen Parteien, Gewerk
schaften, Arbeitgeber und mehr
als 200 Prominente aufgerufen.
Der Sänger Udo Lindenberg,
Radprofi Jan Ulrich und zahl
reiche weitere Prominente aus
Sport, Wirtschaft und Sho
wbranche zählten zu den Teil
nehmern.
«Gewalttaten sind eine
Schande»
Bundespräsident Rau, Bun
deskanzler Gerhard Schröder
und Bundestagspräsident Wolf
gang Thierse legten zu Beginn
der Kundgebung bei einer Ge
denkfeier vor der neuen Syna
goge in Berlin-Mitte Kränze
nieder. Von dort aus zogen die
Demonstranten zum Branden
burg Tor. Der Bundestag hatte
zuvor seine Plenarsitzung we
gen der Demonstration unter
brochen. Auch einige Unter
nehmen hatten Mitarbeitern
frei gegeben, um die Teilnahme
zu ermöglichen. Die Veranstal
ter hatten ursprünglich mit nur
30 000 Teilnehmern gerechnet.
Zur bisher grössten Demonstra
tion gegen Rechtsextremismus
in Berlin kamen vor acht Jah
ren 350 000 Menschen.
Rau bezeichnete die antise
mitischen und fremdenfeindli
chen Gewalttaten der letzten
Wochen und Monate als
«Schande für unser Land». Wer
Am 62. Jahrestag der Reichskristallnacht zogen über 200 000
Menschen an der Synagoge in Berlin vorbei und demonstrierten ge
gen Rassismus und Gewalt. (Bild: Keystone)
andere verfolge oder erschlage,
«der ist ein Feind des eigenen
Landes». Die Täter behaupteten
gern, dass sie im deutschen
Namen handeln würden. «Das
ist eine Beleidigung fiir unser
Vaterland und für alle anstän
digen Deutschen», sagte der
Bundespräsident. Er betonte,
dass Patriotismus niemals mit
Nationalismus verwechselt
werden dürfe. «Ein Patriot ist
einer, der sein Vaterland liebt.
Ein Nationalist ist einer, der die
Vaterländer der anderen ver
achtet.» Die Berliner Demon
stration bezeichnete Rau als
ein Zeichen nach innen und
aussen. Er betonte aber auch,
dass solche Signale das prakti
sche Handeln im Alltag nicht
ersetzen könnten.
Deutliche Signale
Spiegel rief die Politiker da
zu auf, ihre «populistische
Sprache» in der Debatte um die
Einwanderungspolitik zu zü
geln: «Überlegen Sie, was Sie
sagen, und hören Sie auf, ver
bal zu zündeln.» Der Zentral
ratspräsident betonte, dass die
Juden in Deutschland trotz der
antisemitischen und fremden
feindlichen Gewalttaten ihr
Vertrauen zu den verantwort
lichen Politikern in diesem
Land und seinen Bewohnern
nicht verloren haben. «Wir
brauchen aber deutliche Sig
nale, dass die nichtjüdische
Bevölkerung in ihrer Mehrheit
uns und unsere jüdischen Ge
meinden in diesem Land haben
wollen.»
sie eigentlich Gore wählen
wollten. Buchanan erreichte in
Palm Beach mit 3412 Stimmen
sein bestes Ergebnis in Florida.
Darüber hinaus wurden in Palm
Beach 19 120 Stimmzettel fiir
ungültig erklärt, weil zwei Kan
didaten angekreuzt worden
waren. Bei der Senatswahl
machten nur 3783 Wähler den
selben Fehler.
Ganz nahe an einem Patt -
beide Kandidaten erzielten ei
nen Anteil von 48 Prozent der
101 Millionen Stimmen - er
hielt Gore nach absoluten Zah
len landesweit etwas mehr
Stimmen als Bush. Da der Sie
ger aber vom Wahlkollegium
gewählt wird, könnte Bush mit
einem Sieg in Florida die ge
samte Wahl gewinnen. Er wäre
dann der vierte Präsident in der
Geschichte der USA, der ins
Weisse Haus einzieht, ohne die
Mehrheit des Wahlvolkes auf
seiner Seite zu haben.
Stand bei
Redaktionsschluss
NACHRICHTEN
Fremdenfeindll-
ches Griechenland
j ATHEN: Am 62. Jahrestag
der Reichspogromnacht der
Nazis haben sich Menschen
rechts- und Anti-Rassismus-
Organisationen in Griechen
land besorgt geäussert über
das Ausmass des Antisemi
tismus in ihrem Land. In ei
ner am Donnerstag veröf
fentlichten Stellungnahme
beklagten sie vor allem die
allgemeine Gleichgültigkeit
gegenüber einer wachsen
den «Verherrlichung» des :
Judenhasses. In Griechen
land gebe es eine «Toleranz
fiir den Antisemitismus».
Nach einer in der vergange
nen Woche in der griechi
schen Presse veröffentlich
ten Eurobarometer-Umfrage
gilt Griechenland als der
fremdenfeindlichste Staat in
der Europäischen Union.
Danach fühlten sich 38 Pro
zent der befragten Griechen
von Ausländern in ihrem
Land belästigt.
Bronzestatue von
Charles de Gaulle
PARIS: Anlässlich des 30.
Todestages von Charles de
Gaulle ist am Donnerstag in
1
£
Paris eine Bronzestatue des
früheren Präsidenten ent
hüllt worden. Es ist das ers
te öffentliche Denkmal, mit
dem de Gaulle geehrt wird.
Zu Lebzeiten hatte er die
öffentliche Würdigung sei
ner Leistungen stets abge
lehnt, seine Familie hatte
der Bronzestatue erst kürz
lich zugestimmt. «General
de Gaulle hat Frankreich
verkörpert», sagte Staats
präsident Jacques Chirac bei
der Einweihungszeremonie
und verglich den General
mit einem «Licht, das in der
kollektiven Vorstellung
nicht verlöscht».
16 Tote
bei Unruhen
BEIRUT: Bei bewaffneten
Zusammenstössen zwischen
Nomaden und drusischen
Farmern im Süden Syriens
sind in den vergangenen
drei Tagen mindestens 16
Menschen getötet und 150
verletzt worden. Die libane
sische Tageszeitung «An
Nahar» berichtete am Don
nerstag, syrische Sicher
heitskräfte hätten die Lage
am Mittwoch wieder unter
Kontrolle gebracht, nach
dem allein am Dienstag elf
Menschen ums Leben ka
men. Vier Nomaden wurden
von Sicherheitskräften auf
der Flucht erschossen. Die
Auseinandersetzungen hat
ten am Sonntag begonnen,
als die Nomaden ihr Vieh
auf Weiden der Bauern im
Dorf Roha bei Sueida grasen
Hessen. Nach Angaben der
Zeitung holten die Bauern
die Polizei zu Hilfe, weil die
Nomaden angeblich religiö
sen Streit provoziert hatten.