Liechtensteiner VOLKSBLATT
AUSLAND
Freitag, 29. September 2000 37
Katerstimmung in Serbien...
Opposition in Jugoslawien erdrückend - 200 000 auf der Strasse
BELGRAD: Angesichts des
wachsenden Drucks der
Opposition hat die serbi
sche Führung um Staats
chef Slobodan Milosevic
am Donnerstag in Krisen
sitzungen über die ge
spannte Lage beraten.
Nach der Massendemons
tration von mehr als
200 000 Menschen in
Belgrad drohte die Oppo
sition mit dem General
streik, falls der Wahlsieg
ihres Kandidaten Vojislav
Kostunica nicht aner
kannt wird.
«Wir werden alle Institutionen,
Schulen, Theater, Kinos, Büros
lahmlegen und alle auf die
Strasse rufen», erklärte der
Wahlkampfmanager des Partei
enbündnisses DOS, Zoran
Djindjic. Die Aktionen des zivi
len Ungehorsams sollten solan
ge andauern, bis Milosevic den
Weg für Kostunica frei macht.
Der Heilige Synod, das höch
ste Beschlussgremium der ser
bisch-orthodoxen Kirche, er
kannte am Donnerstag Kostu
nica als neuen jugoslawischen
Präsidenten an. Die Kirchen
führer riefen das Oppositions
bündnis auf, «das Staatsruder,
das Parlament und die Gemein
dekörperschaften in möglichst
friedlicher und würdiger Weise
Fahnenschwingend feiert die Opposition einen (noch) vermeintlichen Sieg. Der Wende in Jugoslawi
en dürfte in den nächsten Tagen nichts mehr im Wege stehen. (Bild: Keystone)
zu übernehmen». Die Kirche hat
zwar keinen direkten politi
schen Einfluss, ist aber nach
wie vor eine grosse moralische
Autorität in Serbien.
Mehr als 200 000 Menschen
folgten am Mittwochabend
dem Aufruf der Opposition un
ter dem Motto «Er ist am En
del». Kostunica betonte in sei
ner Ansprache an die Menge, es
werde keine Stichwahl am 8.
Oktober geben. «Wenn wir uns
darauf einlassen, dann würden
wir die Lüge anerkennen statt
der Wahrheit. Wenn wir uns
darauf einlassen, dann würden
wir anerkennen, dass der Wille
eines einzelnen Mannes, Slobo
dan Milosevics, stärker ist als
der Wille des ganzen Volkes.»
Kostunica rief Polizei und
Armee auf, nicht Milosevics
Familie, sondern das Volk zu
Prozess gegen Suharto geplatzt
Der ehemalige Diktator sei «zu krank» ...
Indonesien kommt nicht zur Ruhe - und die Probleme fangen nicht erst beim »Erbe» des Suharto an .
Gestern kam es erneut zu einem Gewaltakt - diesmal wurde ein Bus von Suharto-Gegnern in Brand
gesteckt. Suharto selbst scheint sich in der Zwischenzeit hinter einer Krankheit zu «verstecken».
JAKARTA: Der Korruptions-
prozess gegen den früheren
indonesischen Präsidenten
Suharto ist vorerst geplatzt.
Nachdem unabhängige Ärzte
den 79-Jährigen aus Gesund
heitsgründen für prozessun
fähig erklärt hatten, wies das
Gericht in Jakarta die Ankla
gepunkte zurück.
«Die Anklage gegen Suharto
kann nicht akzeptiert werden»,
sagte der Vorsitzende Richter
Lalu Mariyun. Zudem wurde
die Regelung aufgehoben, wo
nach Suharto die indonesische
Hauptstadt Jakarta nicht ver
lassen darf. Die Staatsanwalt
schaft kündigte umgehend Be
rufung an. Das 24-köpfige Me
dizinerteam hatte zuvor dem
Gericht berichtet, der Ex-Präsi
dent sei nach drei Schlaganfäl-
*le nicht in der Lage, kompli
zierte Fragen zu verstehen. Su
harto verständige sich «wie ein
Kindergartenkind», sagte einer
der Ärzte. Er brauche bis zu ei
ner Minute, um einfache Nach
fragen zu beantworten.
Suharto selbst war auch am
dritten Prozesstag nicht vor
Gericht erschienen. Vor dem
Gerichtsgebäude in Jakarta de
monstrierten etwa 600 Suhar-
to-Gegner. Bei gewaltsamen
Zusammenstössen mit der Poli
zei wurden nach Augenzeu
genberichten mehrere Studen
ten verletzt. Zuvor war in der
Nacht in der Hauptstadt erneut
eine Bombe explodiert. Bei der
Detonation vor dem Büro einer
Menschenrechtsorganisation
wurde niemand verletzt.
Suharto wird vorgeworfen, in
den 32 Jahren seiner Herrschaft
mehr als 571 Millionen US-
Dollar an öffentlichen Mitteln
abgezweigt zu haben. Im Mit
telpunkt des Prozesses stand
veruntreutes Geld aus von Su
harto und dessen Kindern kon
trollierten Wohltätigkeitsstif
tungen. Suharto habe sich
schamlos bedient.
schützen. Auch in anderen
Städten kam es zu Massen
kundgebungen.
Ungeachtet der internationa
len Anerkennung für den
Wahlsieg Kostunicas und der
wachsenden Protestbewegung
veröffentlichte die staatliche
Wahlkommission am Donners
tag das offizielle Endergebnis:
Kostunica erhielt demnach
48,96 Prozent der Stimmen,
Milosevic 38,62 Prozent. Weil
Kostunica die absolute Mehr
heit verfehlt habe, werde eine
Stichwahl am 8. Oktober erfor
derlich, meldete die amtliche
Nachrichtenagentur Tanjug.
Absolute Mehrheit bald
bestätigt?
Die Opposition geht dagegen
aufgrund eigener Stimmenaus
zählungen von einer absoluten
Mehrheit für Kostunica aus:
Demnach erhielt der Oppositi
onskandidat 52,54 Prozent, auf
Milosevic entfielen lediglich
32,01 Prozent. Djindjic nannte
das von Tanjug übermittelte Er
gebnis einen schlechten Scherz.
Die 15 EU-Staaten wollen nach
Angaben eines Brüsseler Spre
chers einer Stichwahl ihre Un
terstützung versagen. Die EU-
Staaten betrachteten Kostunica
als den gewählten Präsidenten,
sagte am Donnerstag ein aus-
senpolitischer EU-Funktionär
in Brüssel. Ein zur Opposition
zählender Vertreter der Wahl
kommission, Sinisa Nikolic,
teilte mit, der Vorsitzende habe
dem Gremium das Ergebnis
vorgelegt, ohne den Mitglie
dern die Prüfung der Daten zu
ermöglichen. Die Kommission
habe die Ergebnisse von 300
der mehr als 10 000 Wahllokale
ignoriert und die Gesamtzahl
der abgegebenen Stimmen um
600 000 Stimmen niedriger an
gesetzt, sagte Nikolic.
Einigung auf EU-Niveau
fBRÜSSEL: Die EU-Staaten, haben sich auf einen gemeinsamen'
jifonds für die Kosten der Aufnahme und Unterbringung von:
&?1 . s - . V
samt 216 Mio. Euro (rund 340s Mio. Franken) zur Verfügung.,
1 Dies ^teilte der d^tsebe; St^t^dcretar im Innenministerium,
yfjtenning Schapper, beimTreffender EU-Innen- und Justizmlni-
|$t?r am Donnerstag in^Brüssel'imifeAus dem 1 EU-Topf werden-
Saftig sowohl die Kosten
llntegration von Flüchtlingen äls auch Anrcteeidafür bezahlt!«
Igass sie in ihre Heimat zurückkehren. Zudem soll das Geld auch,j
|tvFälIen plötzliche&und : mas5iver Flucht aus einem ta'nd - (vie|
fbeim Kosovo-Krieg^/eingesetzt werden. Als Flöchtlinge gelten ■:
Ilm Sinne des FondsauchVertriebene und Asylbewerber, ''i;
^Deutschland sprach; sich beiidem Treffen zudeita füreln-uit^l
fassendes Zucht- und Einfuhrverbot VDBtKaippfhunden in der?
|Europäischen. Union. aus. Da ein nur nationaler JBann geg^n'die; ,
gefährlichen Hunde bei einem. Europa der offenen Grenzen;;
eicht umgangen werden könne, sei ein Vorgehen gegendle;
Hunde in allen EU- Ländern nötig. DerdeutscheStaatssekret^r
fim Justizministerium,. Hansjörg Geiger, zeigte sichiaberfkepl]
|jisch, ob bereits bei dem Tkeffin' konkrete;Vors<±13ge^' v ^ ""
Jschiedet werden könnten* Es Kanäle sich um eine erste'
Im Kampf gegen
Rechtsextremismus
Deutsches Parlament wird gemeinsam aktiv
BERLIN: Alle Fraktionen des
Deutschen Bundestags haben
sich am Donnerstag für ein
entschlossenes Vorgehen ge
gen den Rechtsextremismus
eingesetzt. Jeder müsse sich in
Deutschland sicher fühlen
können, wurde angesichts der
jüngsten Übergriffe betont.
Die Parlaments-Debatte war von
grossem Emst geprägt und spie
gelte die von Parlaments-Präsi-
dent Wolfgang Thierse beschwo
rene «Einigkeit der Demokraten»
wider. Zu einer Kontroverse
führte der Vorwurf an die Adres
se der konservativen Opposition,
sie bereite mit Kampagnen ge
gen die Ausländerpolitik den.
«Nährboden» für Fremden-
Feindlichkeit. Innenminister Ot
to Schily nahm CDU und CSU in
Schutz. Schily bekräftigte die
Entschlossenheit der Regierung,
den Extremismus zu bekämpfen.
Die Achtung der Würde des
Menschen, wie sie in der Verfas
sung verankert sei, bleibe die
Basis aller Bemühungen. Natio
nal wie international würden al
le Möglichkeiten genutzt, um
extremistische Propaganda im
Internet zu unterbinden. Thierse
und andere Redner hoben her
vor, dass Extremismus gegen
Ausländer nicht nur ein ostdeut
sches Phänomen sei. «Es ist nicht
ein ostdeutsches Problem, aber
da ist viel mehr abzuarbeiten,
aufzuarbeiten», sagte Thierse. In
der Bundestags-Debatte wurde
zu einer sorgfältigen Prüfung
eines Antrages zum Verbot der
rechtsextremen Nationaldemo
kratischen aufgerufen.
NACHRICHTEN
Jiang Zemln In
Nordkorea
PEKING: Chinas Staats- und
Parteichef Jiang Zemin reist
im November zu einem Be
such nach Nordkorea. Der
Sprecher des Aussenmini-
steriums sagte am Donners
tag in Peking, Jiang Zemin
werde an den Feiern zum
Gründungstag der nord
koreanischen Arbeiterpartei
am 11. November teilneh
men. Der genaue Zeitplan
und andere Details der Reise
müssten noch ausgearbeitet
werden. Der nordkoreani
sche Führer Kim Jong II war
im Mai überraschend zu ei
nem zunächst geheim ge
haltenen Besuch in Peking
gewesen.
Berlusconi
attackiert Amato
ROM: Der italienische Op
positionschef Silvio Berlus
coni hat bei einem Treffen
mit dem französischen Prä
sidenten Jacques Chirac die
Regierung von Giuliano
Amato attackiert. Dadurch
löste er heftigste Reaktionen
der römischen Mitte-Links-
Koalition aus. Berlusconi,
der am Mittwoch einen
zweitägigen Besuch in Paris
begonnen hat, erklärte Chi
rac, dass die Regierung
Amato nicht legitim sei.
«Die Italiener wollten Ama
to nicht und die Parteien,
die ihn zum Ministerpräsi
denten gemacht haben, ha
ben das Vertrauen in ihn
verloren und ihm einen an
deren Premierkandidaten
bevorzugt», sagte Berlusco
ni. Auf Grund dieser inter
nen Situation sei die italie
nische Regierung im Aus
land deutlich geschwächt,
Amato repräsentiere das
Land nicht. «Die Mitte-
Links-Koalition sucht nach
neuen Strategien, aber alles
ist sinnlos. Alle wissen, dass
die oppositionelle Mitte-
Rechts-Allianz ab nächstem
Jahr für das Geschick des
Landes verantwortlich sein
wird», betonte Berlusconi.
Die Aussagen des Oppositi
onschefs bei Chirac lösten
entrüstete Reaktionen der
Regierungskoalition aus.
Der Chef der Linksdemokra
ten Walter Veltroni, sprach
von einer «unglaublichen
Attacke gegen Italien.»
Vedrine In
Moskau
MOSKAU: Der russische
Präsident Wladimir Putin
(Bild) hat bei einem Treffen
mit dem französischen Aus-
senminister Hubert Wdrine
in Moskau Frankreich als
«wichtigsten und in vielem
unersetzlichen Partner
Russlands» bezeichnet.
Putin hoffe, dass sich die
guten Kontakte zu Frank
reich auch auf Russlands
Beziehungen zur Europäi
schen Union auswirken, zi
tierte die Nachrichtenagen
tur Interfax am Donnerstag
den russischen Präsidenten.