Liechtensteiner Volksblatt
Ausland
Montag, 17. Juli 2000 17
Nachric'hten
Italien plant deutliche
Steuersenkungen
ROM: Zwei Tage nach der Verabschiedung der
Steuerreform in Deutschland hat auch die itali
enische Regierung deutliche Steuersenkungen
angekündigt. Geplant sei eine Senkung der Ein
kommenssteuer um zwei Frozentpunkte, sagte
Finanzminister Ottaviano Del Ibrco in einem
am Sonntag veröffentlichten Interview mit der
Tageszeitung «II Messaggero». Derzeit liegt der
Mindeststeuersatz in Italien bei 19 Prozent. Der
Höchstsatz wurde im Rahmen einer Teilreform
bereits von 51 auf 45,5 Prozent gesenkt.
Frankreich gedenkt der
Opfer der Kollaboration
PARIS: Überlebende des Holocausts, Vertreter
der jüdischen Gemeinde und französische Poli
tiker haben sich am Sonntag in Paris zum ersten
Qedenktag an die jüdischen Opfer des französi
schen Staats während des Zweiten Weltkriegs
versammelt. Der Gedenktag, der im Februar
vom Parlament beschlossen wurde, erinnert
auch an die Menschen, die Juden während der
Zeit der französischen Kollaboration mit dem
Naziregime halfen. Der Parlamentsbeschluss,
der die «Opfer der rassistischen und antisemiti
schen Verbrechen des französischen Staates»
anerkennt, gilt als weiterer Schritt in der Be
wältigung der französischen NS-Vergangenheit.
Rund 1000 Menschen versammelten sich am
Sonntag an der Stelle des 1959 abgerissenen Pa
riser Radsportstadions Vel d'Hiver, wo am 16.
und 17. Juli 1942 mindestens 13 000 Juden für
ihren Transport in Todeslager zusammengetrie
ben wurden. Zwischen 1941 und 1944 wurden
rund 75 000 Juden von Frankreich deportiert.
Brandanschlag auf
Asylunterkunft
LUDWIGSHAFEN: Bei einem Brandanschlag
auf ein Asylbewerberheim in Ludwigshafen
sind in der Nacht zum Sonntag drei Kinder von
Kosovo-Albanern zum Teil schwer verletzt wor
den. Die Polizei hat noch keinerlei Spur von den
Tätern. Ein elfjähriges Mädchen erlitt schwere
Brandverletzungen an den Beinen und musste
in ein Krankenhaus gebracht werden, wie die
Polizei mitteilte. Ein zwölfjähriges Mädchen
und ein 14-jähriger Junge wurden von einer zer
splitterten Glasscheibe an den Händen leicht
verletzt. Beide wurden ambulant behandelt. Die
Hintergründe des Anschlags waren zunächst
völlig unklar. Die Polizei schloss ein fremden
feindliches Motiv nicht aus. Nach ihren Anga
ben wurde der Brandsatz Uhr von einer Bahn
trasse hinter dem Haus durch ein Fenster im
Erdgeschoss geworfen. Nach ersten Erkennt
nissen handelte es sich dabei um ein Molotow-
Cocktail.
Putin will strategische
Partnerschaft mit China
MOSKAU: Der russische Präsident Wladimir
Putin will mit China eine «strategische Partner
schaft» aufbauen. Putin sagte am Sonntag, die
Hauptaufgabe Russlands in der internationalen
Politik sei der Erhalt des Gleichgewichts der
Kräfte und Interessen. Putin reist am Montag
abend nach Peking ab, am Mittwoch wird er als
erster russischer Staatschef im kommunisti
schen Nordkorea erwartet. Ab Freitag nimmt er
am Gipfel der sieben führenden Industrienatio
nen und Russlands (G-8) im japanischen
Okinawa teil.
UN-Biauhelme in Sierra
Leone evakuiert
FREETOWN: Mit einer Militäraktion haben die
Vereinten Nationen in Sierra Leone alle 233 in
Rebellengebiet eingeschlossenen UN-Mitarbei
ter befreit. Während die elf Militärbeobachter
und rund 30 Blauhelme bei der Rettungsaktion
am Samstag mit Hubschraubern abgeholt wur
den, kämpften sich die übrigen Friedenssoldaten
nach Angaben der UN über matschige Wege
Richtung Daru, einem von den UN kontrollier
ten Ort in etwa 20 Kilometern Entfernung.
Fortschritte bei Nahost-Gesprächen
Grossdemonstration in Tel Aviv gegen Baraks Kurs
TEL AVIV: Mehrere zehntau
send Menschen haben sich am
Sonntagabend in Tel Aviv ver
sammelt, um gegen den Kurs
von Ministerpräsident Ehud
Barak bei den Friedensge
sprächen in Camp David zu de
monstrieren.
Die Anhänger der rechtsgerichte
ten Opposition trugen Spruchbän
der mit sich, auf denen sie Barak
vorwarfen, das Land ins Verderben
zu führen. Auf den lYansparenten
forderten sie einen «anderen Frie
den» und die Ablösung des Regie
rungschefs. Auf einem riesigen Bal
lon stand: «Wir sind die Mehrheit».
Israelische Medien sprachen von
100 000 Demonstrierenden.
Am Sonntag kam es am zweiten
Tag in Folge in Hebron zu Zusam-
menstössen zwischen Palästinen
sern und jüdischen Siedlern. Dabei
wurde mindestens ein Palästinenser
durch Schläge eines israelischen
Soldaten verletzt. Bereits am Sams
tag waren 20 Menschen bei Aus
schreitungen verletzt worden.
Beim Nahost-Gipfel in Camp Da
vid war die Atmosphäre am Wo
chenende offenbar gut. Aus Ver
handlungskreisen verlautete, die
Palästinenser hielten sogar den Ab-
schluss eines Rahmenabkommens
Mehrere zehntausend Menschen demonstrierten am Sonntagabend in Tel Aviv gegen den Kurs von Ministerpräsi
dent Ehud Barak bei den Friedensgesprächen in Camp David. (Bild: Keystone)
innerhalb weniger Tage für denk
bar.
Clintons Sprecher P.J. Crowley
sagte, der US-Präsident wolle Isra
elis und Palästinensern in den kom
menden Tagen Zugeständnisse ab
ringen. Eine Einigung in strittigen
Punkten solle noch vor Clintons
Abreise am Mittwoch zum G-8-
Gipfel in Japan erfolgen.
Im Verlauf des fünften Gipfel-Ta-
ges hatten die drei Regierungschefs
und US-Aussenministerin Madelei
ne Albright am Samstag bereits eine
Reihe informeller Gespräche ge
führt.
Die Delegationen hätten den
ganzen Tag in Arbeitsgruppen über
die strittigsten Probleme beraten:
Neben der Jerusalem-Frage sei es
um die Grenzen eines Palästinen
serstaates und die jüdischen Sied
lungen im Westjordanland gegan
gen.
Wahlreform
in Ägypten
KAIRO: Das ägyptische Parla
ment hat am Sonntag der Re
form des Wahlrechts zuge
stimmt. Nachdem das Oberhaus
die Änderung bereits am Vortag
gebilligt hatte, sprach sich nach
Angaben des Abgeordneten
Ahmed Abu Seid auch der Rat
des Volkes in einer Sondersit
zung einstimmig dafür aus, dass
die Justiz künftig das alleinige
Recht zur Wahlaufsicht haben
soll. Die Parlamentarier folgten
damit dem Vorschlag von Präsi
dent Husni Mubarak. Das neue
Wahlgesetz soll am heutigen
Montag in Kraft treten. Das
Verfassungsgericht des Landes
hatte am 8. Juli entschieden,
dass nur Vertreter der Justiz den
Ausschüssen zur Wahlbeobach
tung Vorsitzen dürfen. Bislang
durften auch Beamte an der
Spitze der Komitees stehen.
Mubarak hatte daraufhin ein
entsprechendes Dekret erlas
sen.
Weitere Kämpfe in
Tschetschenien
Anschlag auf russischen Zug
GUDERMES: In der Nähe der
tschetschenischen. Hauptstadt
Grosny haben Rebellen am Sams
tag einen Bombenanschlag auf ei
nen gepanzerten Zug des russischen
Militärs verübt. Dabei seien eine
Köchin getötet und sechs Soldaten
verletzt worden, teilte die Presse
stelle des Kaukasus-Militärstabs am
Sonntag mit.
Der Sender NTW berichtete, die
Rebellen hätten am Sonntag auch
eine russische Panzerkolonne ange
griffen. Angaben über Opfer gab es
zunächst nicht. Gefechte wurden
auch aus Tschernoretschje, einem
Vorort von Grosny, gemeldet.
Am Freitag hatten russische Trup
pen versehentlich ihr eigenes
Hauptquartier Chankala bei Gros
ny beschossen, zwei Soldaten wur
den verletzt. Wie es dazu kommen
konnte, war unklar. Nach der offizi
ellen Version des Generalstabs hat
ten etwa 15 Rebellen das Haupt
quartier angegriffen. Den Befehl für
den Abschuss von insgesamt fünf
122-Millimeter-Geschossen habe
der Kommandant einer Granatwer
fereinheit gegeben, hiess es. Jedoch
habe eine Granate wegen eines
technischen Defekts die falsche
Richtung genommen.
In der russischen Bevölkerung
sinkt einer Umfrage zufolge fast ein
Jahr nach Beginn des Kaukasuskrie
ges die Unterstützung für den
Tschetschenien-Feldzug, der bis
lang fast 2500 russische Soldaten
das Leben gekostet hat.
Während im März noch 58 Pro
zent der Russen für die Fortsetzung
des Feldzuges im Kaukasus waren,
sank die Zahl im Juli auf 48 Pro
zent.
ETA verschärft ihren Terror
MADRID: Bei einem Attentat mut
masslicher baskischer Separatisten
ist in der Nacht zum Sonntag im
südspanischen Malaga ein konser
vativer Lokalpolitiker erschossen
worden. 15 Stunden später wurde
bei einem Autobomben-Anschlag
im nordspanischen Agreda eine
Frau verletzt.
Die spanische Regierung machte
die Untergrundorganisation ETA
für den Mord an dem 49-jährigen
Jos£ Maria Martin Carpena verant
wortlich. Der Lokaipolitiker der
Volkspartei (PP) von Ministerpräsi
dent Josd Maria Aznar war vor den
Augen seiner Frau und seiner Toch
ter durch mehrere Schüsse in den
Kopf getötet worden.
Er wollte vor seinem Haus in sei
nen Dienstwagen steigen und mit
Frau und Töchter zu einer Feier fah
ren, als ein Vermummter aus unmit
telbarer. Nähe sechs Kugeln vom
Kaliber neun Millimeter Parabel-
lum auf ihn abfeuerte. Der Täter
konnte unerkannt zu Fuss entkom-'
men. Ein Komplize sicherte mögli-
Politiker erschossen, Bombe gegen Polizei gelegt
cherweise den Fluchtweg. Spaniens der ETA benutzt worden. Zudem
Innenminister Jaime Mayor Oreja habe die ETA den Stadtrat seit län-
sagte, das Opfer sei von vier Kugeln gerem beschattet. Das Attentat zei-
getroffen worden. Die Munition sei ge, dass die ETA ihre selbst aufer-
auch bei früheren Attentaten von legte Waffenruhe zu einer Neuord-
In der Nacht zum Sonntag erschoss die ETA im südspanischen Malaga
einen konservativen Lokalpolitiker. • (Bild: Keystone)
nung genutzt habe.
Martin Carpena, von Beruf Ange
stellter der staatlichen Rentenversi
cherung, sass seit vier Jahren im
Stadtrat von Malaga. Er wurde seit
mehreren Monaten nicht mehr von
Leibwächtern beschützt.
PP-Generalsekretär Javier Aren-
as sagte dazu, man sei nicht davon
ausgegangen, dass die ETA im Sü
den Spaniens, 1000 Kilometer vom
Baskenland entfernt, ein Attentat
verüben werde. Die ETA hatte zu
letzt vor zweieinhalb Jahren in An
dalusien einen Kommunalpolitiker
der PP ermordet.
Die ETA hatte im Dezember
1999 eine 14-monatige Waffenruhe
aufgekündigt. Martfn Carpena ist
seitdem bereits das sechste Mord
opfer.
Das Attentat löste in der spani
schen Öffentlichkeit heftige Pro
teste aus. Mehrere Dutzend Bürger
versammelten sich nach derlbt vor
Carpenas Haus und protestierten
gegen den Terrorismus. Die Stadtre
gierung verhängte eine dreitägige
Trauer.