Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2000)


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Eine Musik über die Verwirrung 
menschlicher Wesen 
Von einem, der auszog, um zu sich selbst zu finden 
„Man kann in Argentinien alles verändern, 
aber nicht den Tango." Diese Erfahrung 
machte der Komponist Astor Piazzolla in sei' 
ner Heimat, als er mit seinen Kompositionen 
den mondänen Tango der 20er Jahre nicht nur 
in Frage stellte, sondern geradezu revolutio 
nierte. Er wurde abgelehnt, verfolgt und be 
droht. 
Astor Piazzolla wurde 1921 in Mar del Plata 
geboren. Als er vier Jahre alt war zogen seine 
Eltern nach New York. Mit neun Jahren be 
kam er von seinem Vater ein Bandoneon 
geschenkt, jenes Instrument, das zum Synonym 
(ur seine Musik, ja für sein ganzes Leben werden 
sollte. Ursprünglich mehr dem Jazz zugetan - 
die Tangomanie seines Vaters, geprägt von 
stetem Heimweh nach Buenos Aires nervte 
ihn - entdeckte Piazzolla den Tango für sich 
erst nach seiner Rückkehr nach Argentinien 
1937. 
Beeindruckt von einer Vorführung des Tango- 
Ensembles von Elvino Vardaro beginnt Piaz 
zolla, sein Bandoneonspiel zu perfektionieren 
und wird als 19-Jähriger Mitglied im Tango- 
Orchester des berühmten Anibal Troilo. Eine 
Begegnung mit Artur Rubinstein, für den er ein 
- wie er aus späterer Sicht meinte - „ziemlich 
grauenhaftes" Konzert komponierte, wies ihm 
die Richtung. Auf Vermittlung Rubinsteins 
begann Piazzolla ein Studium bei Alberto Gina- 
stera. Sein Hauptaugenmerk galt der sympho 
nischen Musik, sein Ziel war es, ein ernstzu 
nehmender Komponist zu werden, und dies 
stand für ihn im Widerspruch zum Tango. Zwar 
gibt es Tango-Kompositionen aus dieser Zeit, 
jedoch wollte Piazzolla sie zunächst nicht veröf 
fentlicht wissen. 
1945 ging er nach Paris, um bei Nadia Bou- 
langer, einer Schülerin von Maurice Ravel zu 
studieren. Voller Stolz präsentierte er ihr zum 
Einstand seine gesammelten Werke. Sie sah sich 
alles durch und meinte am Ende: .Alles sehr 
schön geschrieben, aber ich finde hier nirgends 
Piazzolla. Wie komponiert Piazzolla?" Nadia 
Boulanger hatte erkannt, dass die Wurzeln 
von Piazzolla* Musik in der Volksmusik lagen 
und dass das, was er schrieb, eigendich fremd 
war. Piazzolla in einem Rückblick: "Schüchtern 
sagte ich zu ihr: Ich spiele Tango - und 
Bandoneon. Seit fünf Jahren hatte ich kein 
Bandoneon mehr angerührt. Ich schämte 
mich, Tangos zu spielen, denn ich hielt mich 
für einen symphonischen Komponisten. Ich 
wollte keine Tangos spielen Dennoch spielte 
ich ihr etwas aus einem meiner Tangos vor. 
Daraufhin meinte sie: „Das ist Piazzolla." 
Und weiter: „Tangomusik ist wunderschön 
und das Bandoneon ist ein wunderschönes 
Instrument." 
Piazzolla beschreibt Nadia Boulanger als seine 
zweite Mutter. Ihr vertraute er, auf sie hörte er. 
Und so war auch sie es, die es ihm ermöglichte, 
zum Tango zurückzufinden. 
In den 50er Jahren kehrt Piazzolla nach Buenos 
Aires zurück und beginnt, ab 1955 mit seinem 
eigenen Ensemble, den Tango Nuevo zu prägen. 
„Musik und Tango ist Weiterentwicklung, ist 
Suche nach einer neuen Form." Die Ursache 
für das Unverständnis, das ihm die anderen 
Tangokomponisten und -interpreten entgegen 
brachten, sieht Piazzolla in ihrer fehlenden 
musikalischen Ausbildung, die eine Weiterent 
wicklung seiner Meinung nach hemmt. 
Piazzolla focht einen Jahrzehnte dauernden 
Kampf für seinen Tango - und siegte schließ 
lich als einer, dessen Musik nicht nur überlebte, 
sondern dessen Kompositionen von einer ein 
zigartigen Identität geprägt sind. Eine Musik, 
die Piazzolla ist. 
Astor Piazzolla starb 1992 in Buenos Aires. 
Die heute weltweite Anerkennung seiner Mu 
sik hat er nicht mehr erlebt. Aber der Tango, 
seine Musik, lebt weiter. Astor Piazzolla: 
"Vielleicht ist Tango auch nur eine Mode. 
Aber ich glaube, dass wir ihn brauchen." 
„Die Argentinier u/einen gerne. Sie stellen sich 
dauernd den Tod vor - aber meine Musik 
spricht nicht die Sprache des Todes. Ich spreche 
die Sprache derer, die lebendig und jung sind 
und denen die Zukunft gehört... Meine Musik 
ist aufregend, aggressiv, neu und romantisch. " 
Astor Piazzolla 
Eine Oper wie das Leben 
Astor Piazzollas Tango-Operita Maria de Buenos Aires auf der Werkstattlnihne 
Es ist die Geschichte einer Frau, die lebt, 
liebt und stirbt, einer Frau, deren Schatten 
weiterlebt, durch die Straßen irrt, Gegensätze 
durchlebt zwischen Glamour und Morbidität, 
und so zum Sinnbild fiir eine ganze Stadt 
wird - fiir Buenos Aires und seine ganz eigene 
Atmosphäre. 
Die Geschichte zu dieser Oper stammt vom ar 
gentinischen Schriftsteller Horacio Ferrer. 
Schon als Junge war er ein großer Bewunderer 
Piazzollas, der ihm seine eigene Liebe zum 
Tango widerspiegelte. 
Mit Beharrlichkeit suchte er die Nähe zu seinem 
Idol und traf ihn schließlich nach seiner Rück 
kehr aus Paris in Montevideo. Von da an ent 
wickelte sich zwischen den beiden Künstlern 
eine Zusammenarbeit, die Jahre später - 1967 - 
in einem Libretto zur Tango-Operita Marfa de 
Buenos Aires gipfelte. Piazzolla entsprach der 
poetisch-surrealistischen Anlage des Librettos 
mit einer ebensolchen Musik, die die Stimmun 
gen der Handlung ausformuliert und den 
Tango in all seinen Facetten strahlen lässt. 
„Tango ist sehr sinnlich", sagte Piazzolla selbst, 
„er ist wie ein Liebesakt. Die beste Art, ein 
Glückserlebnis mit einer Frau zu haben, ist der 
Tango." Diese Sinnlichkeit, das hohe Maß an 
Emotion, an Freude und gleichzeitig an unend 
licher Traurigkeit, all das sind Stimmungen, die 
Piazzollas Musik, gerade auch in dem Werk 
Marfa de Buenos Aires, wie keine andere zu ver 
mitteln vermag. 
Die Oper wurde 1968 uraufgeführt und erlebte 
im selben Jahr 120 Aufführungen, in denen 
Piazzolla und Ferrer selbst mitwirkten sowie 
eine Aufnahme auf Schallplatte. 1996 entdeckte 
der lettische Geigenvirtuose Gidon Kremer das 
Werk rein zufallig - „Marfa ist in mein Leben 
getreten, ohne dass ich auf sie gewartet habe" - 
und wusste zunächst nicht so richtig, was er 
damit anfangen sollte. Je mehr er sich jedoch in 
die Oper vertiefte, umso mehr gelangte er zu 
der Überzeugung, Maria zum Leben erwecken 
zu müssen. Gemeinsam mit dem Komponisten 
Leonid Desyatnikov erarbeitete er eine Neufas 
sung des Stückes, die er 1997 gemeinsam mit 
Horacio Ferrer, seinem Ensemble KremerATA 
Musica und mit der argentinischen Sängerin 
Julia Zenko als Marfa auf GD bannte und das 
Werk so wieder ins Bewusstsein einer interna 
tionalen öffendichkeit brachte. Gidon Kremer 
hat auch die musikalische Leitung der Bregen- 
zer Produktion übernommen und betreut 
damit, wiederum mit der KremerATA Musica 
und mit Julia Zenko, die szenische Erstauffüh 
rung in Österreich. 
Für Bühnenbild, Licht und Regie zeichnet der 
französische Regisseur Philippe Arlaud verant 
wortlich. Seine Ideen für das Bühnenbild und 
Inszenierung holte er sich in Buenos Aires, im 
hektischen Treiben der Stadt und in der emoti 
onsgeladenen Atmosphäre der Tango-Bars. Für 
Arlaud ist die Maria seine zweite Arbeit auf der 
Bregenzer Werkstattbühne nach der Kammer 
oper Nacht von Georg Friedrich Haas im Jahr 
1998. 
Das Rahmenprogramm um Maria de Buenos 
Aires ermöglicht auch eine persönliche Begeg 
nung mit Horacio Ferrer, der am 2. August 
einen Abend unter dem Titel Tango Tangential 
mitgestalten wird. 
Oper auf der Werkstattbühne 
Maria de 
Buenos Aires 
Tango-Operita von Astor Piazzolla. 
Libretto von Horacio Ferrer. 
Bearbeitung von Leonid Desyatnikov. 
In spanischer Sprache. 
Szenische Erstaufführung in Österreich. 
Musikalische Leitung Gidon Krenier 
Inszenierung, Bühnenbild 
und Light Design Philippe Arlaud 
Kostüme Andrea Uhmann 
Maria Julia Zenko 
El Duende Facundo Ramirez 
Un porteno Mario Filgueira 
Payador. Cäsar Guti&rrez 
KremerATA Musica 
Tänzerinnen 
Premiere 1. August 
Weitere Auffuhrungen 3. und 4. August 
Auffiihrungsort Werkstattbühne 
Beginn 21.30 Uhr 
Dauer der Aufführung ca. 90 Minuten 
Co-Produktion mit dem KlangBogen Wien 
Mit freundlicher Unterstützung 
des Vereins der Freunde der 
Bregenzer Festspiele und 
der Freunde der Bregenzer Festspiele 
Deutschland. 
Die Bregenzer Festspiele danken 
der Bank ftir Arbeit und Wirtschaft. 
Mohrenbräu.
	        

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