18 Dienstag, 4. Juli 2000
Fussball Europameisterschaft 2000
Liechtensteiner Volksblatt
EM 2000
Blanc bestätigt seinen
Team-Rücktritt
Nach Captain Marcel Desailly hat auch Laurent
Blanc seinen Rücktritt aus der französischen
Nationalmannschaft bestätigt. Der 35-jährige
Verteidiger des Europameisters will sich künf
tig ganz auf seinen Verein Inter Mailand kon
zentrieren. Blanc brachte es auf 95 Länderspie
le und schoss als Abwehrspieler 16 Tore.
1,3 Millionen TV-
Zuschauer beim Final
Durchschnittlich 1326 000 Zuschauerinnen und
Zuschauer verfolgten am Sonntagabend den
EM-Final Italien - Frankreich auf SF1. Der
Marktanteil betrug 63,2 Prozent. In der Schluss
phase erreichte die Sehbeteiligung sogar Werte
von bis zu 1,8 Millionen.
Im Durchschnitt schauten jeweils 726 000
Personen (Markanteil 42,4 Prozent) den ent
scheidenden Partien ab den Viertelfinals im
K.o.-System zu. Zwischen dem 10. Juni und 2.
Juli übertrug SF DRS 27 Spiele der Fussball-.
EM in Belgien und Holland direkt. Die Grup
penspiele am Vorabend verfolgten durch
schnittlich 208000 Personen, diejenigen im
Abendprogramm 369 000. Als Vergleich: In der
Tour de Suis«; wiesen nur drei Etappen mehr
als 100 000 Zuschauer auf; der Spitzenwert be
trug 165 000.
31 Festnahmen,
16 Polizisten verletzt
Die Jubelfeiern in Frankreich nach dem EM-
Sieg des Weltmeisters sind von gewalttätigen
Zwischenfällen überschattet worden. Ange
sichts der Menschenmassen, die auf den Stras
sen der französischen Städte feierten, seien die
Gewaltakte aber noch glimpflich ausgegangen,
teilte die Polizei am Montag mit. Beim Fest von
mehr als 400 000 Menschen auf den Champs-
Elysdes wurden 31 Personen vorübergehend
festgenommen, 16 Polizeibeamte wurden ver
letzt.
Neuer Wunderknabe
mit Problemen
Sein zweites EM-Tor
bescherte Frankreich
den grossen Triumph.
DavidTr6z6guet (Bild)
erzielte das Golden
Goal in der 103. Minu
te der Verlängerung im
EM-Final gegen Itali
en. Das herrliche Tor
könnte dem Schützen
in den nächsten Jahren
aber noch grosse
Probleme bereiten: Trdzdguet zieht in wenigen
Wochen nach 1\irin, wo er die nächsten fünf Jahre
Tore am Laufband für Juventus erzielen soll.
Es war ein goldener Schuss, vor dem man nichts
mehr überlegen konnte. Augen zu und drauf ge
hauen. Volles Risiko,ohne die Folgen zu erahnen.
Einwechselspieler Trözdguet sah die Hereingabe
von Pires auf sich zufliegen. Aus der Drehung
schlug er volley auf den Ball und hämmerte ihn in
die nahe obere Torecke. Unhaltbar, ein TVeffer
der Marke Extraklasse. Das Golden Goal berei
tete dem erst gegen Ende spektakulären Final ein
sofortiges Ende.Tr6z6guet riss sich dasTenü vom
Leib und ging zum grossen Feiern über. Bestimmt
ist er auch jetzt noch nicht fertig damit. Die Fol
gen dieses Tores sind immens. Für Frankreich
(Weltmeister und Europameister innerhalb von
zwei Jahren), für den Schützen (Steigerung des
Marktwertes) und für das Portmonnaie (je 1 Mil
lion Franken Prämie für jeden Spieler). Das sind
die positiven Aspekte.
Für den bald 23-jährigen Stürmer aus Rouen,
der in Argentinien aufgewachsen ist, könnte
dieses Golden Goal aber auch weniger gloriose
Zeiten heraufbeschwören. Nur wenige Tage vor
dem Final hatte Tr£zdguet, der diese Saison 20
Tore für Meister Monaco erzielte, einen lukrati
ven Fünfjahres-Vertrag mit Juventus TUrin un
terzeichnet. Da wusste er noch nichts von sei
nem baldigen Glück im EM-Final.
14 «Blaue» aus Karibik,
Südsee und Afrika
Nur acht Festland-Franzosen beim Fussball-Europameister
In Frankreich werden die Welt-
und Europameister als Natio
nalheiden verehrt, dabei stam
men die Spieler der «Bleus»
aus aller Herren Inseln und
Ländern. Die «Equipe Tricolo-
re», die bei der EM 2000 am
Sonntag im Final in Rotterdam
gegen Italien als erste Mann
schaft das Double (Europa
meister- nach Weltmeister
schaft) schaffte, ist eine multi
kulturelle TVuppe derbesonde
ren Art.
Nur acht der 22 Spieler sind Fest
land-Franzosen. Nur Laurent Blanc,
Didier Deschamps, Emmanuel Pe
tit, Christophe Dugarry, Vincent
Candela, Frank Leboeuf, Johan Mi-
coud und Ulrich Ram£ haben ihre
Wurzeln in der «grande nation» in
Mitteleuropa. Die anderen Akteure
kommen aus dem Senegal oder ha
ben Eltern oder Grosseltern aus
Berberstämmen oder dem spani
schen Baskenland. Einige Spieler
sind ausserhalb der französischen
Landesgrenzen geboren oder haben
direkt oder indirekt verwandt
schaftliche Kontakte ins Ausland.
Der Blick in die Stammbücher of
fenbart erstaunliche Details: Ab
wehr-Recke Marcel Desailly er
blickte in Ghana das Licht der Welt
und wurde dann von einem franzö
sischen Paar adoptiert. Rasta-Mann
Christian Karembeu wurde in Neu-
kaledonien, Mittelfeld-Entdeckung
Patrick Vieira im Senegal und Lilian
Thuram auf der Insel Guadeloupe
geboren, die allerdings als Übersee-
Departement politisch zu Frank
reich gehört. Ersatzkeeper Bernard
Lama machte seine ersten Schritte
auf Guinea. Stürmer Nicolas Anel
ka wurde zwar in Paris geboren. Sei
ne Eltern stammen aus dem fran
zösischen Übersee-Departement
Martinique. Die Erzeuger von Syl-
vain Wiltord stammen beide aus
Einer aus der multikulturellen Truppe: Abwehr-Recke Marcel Desailly (vorne) erblickte in Ghana das Licht der Well
Guadeloupe. Die Eltern von Stür
mer-Sprinter Thierry Henry kom
men von den Antillen - der Papa
aus Martinique, die Mutter aus
Guadeloupe. Robert Pires erblickte
zwar in Frankreich das Licht der
Welt, hat aber einen portugiesi
schen Vater und eine spanische
Mutter.
Stars mit unterschiedlichsten
Vorfahren
Die Eltern des überragenden Re
gisseurs Zinedine Zidane sind Ka-
byleh, gehören einer ethnischen
Minderheit in Algerien an. Die Oma
von Torhüter-Glatzkopf Fabien Bar-
thez ist eine Spanierin. Und drei von
vier Grosseltern von Bayern Mün
chens Bixente Lizarazu kommen
aus dem spanischen Baskenland.
Kaiserslauterns Star Youri Djorka-
eff stellt die Ahnenforscher vor die
grössten Probleme: Die Mutter
kommt aus Armenien, der Grossva
ter aus Polen und die Grossmutter
aus Kalmückien.Tore schiesst Djor-
kaeff aber für Frankreich.
Golden-Goal-Schütze David
TY6z6guet hingegen wäre fast für
Argentinien aufTorejagd gegangen.
Zwar wurde er im französischen
Rouen geboren, doch weil der Papa
ein Argentinier ist, musste Trdzd-
guet seine Kindheit in der Heimat
des Vaters verbringen. Mit 17 kam
er nach Frankreich, sprach aber
kein Wort französisch. Noch immer
hat der «halbe Franzose» die dop
pelte Staatsbürgerschaft.
Bunter Kultur-Mix
Frankreichs Trainer Roger Le
merre hat gegen den bunten Mix aus
Rastalocken, Zöpfen und Kahlköp
fen nichts einzuwenden. Gewöhnen
muss sich der waschechte Franzose
nur daran, dass Karembeu die Na
tionalhymne nie mitsingt. Die «Mar
seillaise» ist mit Karembeus Idealen
nicht vereinbar: Der 29-Jährige
macht sich für die Unabhängigkeit
seiner Heimat stark - und das ist nun
einmal Neukaledonien. Von Animo
sitäten oder rassistischen Vorurtei
len wollen die Spieler der «Blauen»
nichts wissen. «Es gibt bei uns über
haupt keine Probleme. Verschiede
ne Kulturen lockern die Atmosphä
re auf», sagte Desailly stellvertre
tend für seine Kollegen.
Multi-Kulti ist im französischen
Fussball nichts Neues. Auch die le
gendäre Nationalmannschaft von
1984 hatte einige «Ausländer» im
Kader. Jean Tigana (Mali), Manuel
Amoros (Spanien) oder Michel Pla-
tini, der auch die italienische Staats
bürgerschaft hätte annehmen kön
nen, sorgten schon damals für
ein ethnisches Potpourri bei den
«Bleus» - und wurden ebenfalls
Europameister.
Weitere Infos: www.euro2000.org
Wohlverdiente Last-Minute-Ferien
Die besonderen EM-Awards der Sportinformation si - Silberner Hosenträger für Oliver Kahn
Nach der 11. Fussball-EM, die uns
23 Tage lang in ihren Bann gezogen
hat, fällt es uns nicht schwer, ein
paar Awards zu verleihen.
In die Academie des Beaux-Arts
nehmen wir Zinedine Zidane auf.
Der beste Ballvirtuose darf nach
den französischen Siegesfeiern also
in Paris bleiben. Vom profanen Job,
bei dem er sich in T\irin auf die
Füsse treten lässt, entbinden wir
«Zizou».
Einen nagelneuen Videorecorder
bekommt Frank De Boer, nachdem
er seinen alten entsorgt hat. Als er in
der Aufzeichnung des Halbfinals
sah, dass er gegen Italiens Goalie
Toldo zwei Penalties von identi
scher Plumpheit getreten haben
soll, vermutete der Holländer einen
irreparablen Defekt am Aufnahme
gerät.
Die Bruno-KIötzli-Erinnerungs-
plakette geht an Abel Xavier, Nuno
Gomes und Paulo Bento. Sie sollen
wissen, dass selbst österreichische
Schiedsrichter kein Freiwild sind -
und dass sie' mit Sperren von sechs
bis neun Monaten glimpflich weg
gekommen wird. Wenn sie es nicht
glauben, können sie sich auf der Ho
mepage www.wettingen-senioren.
ch überzeugen.
Wohlverdiente Last-Minute-Fe
rien schenken wir Gaizka Mendieta,
Alfonso und Sylvain Wiltord. Dank
ihren Toren kurz vor Torschluss
werden uns Fussballknüller wie
Spanien - Jugoslawien (4:3) und der
Ä
"vai
i m
Alfonso (Nummer 11) bekommt für sein spätes Tor gegen Jugoslawien die
«wohlverdienten Last-Minute-Ferien».
Final Frankreich - Italien (2:1) im
mer in Erinnerungen bleiben,
Den Jochen-Behle-Pokal stiftet
Sergio Conceiijao als Erinnerung an
das deutsche Wirrwarr auf dem
Spielfeld. Erster Preisträger ist Tho
mas Linke. «Wo ist Linke?», fragte
ZDF-Reporter Bela Rethy verzwei
felt, als sich Concei^ao den Ball zu-
V
rechtgebüschelt hatte und unbehel
ligt gegen den germanischen
Strafraum zog.
Der Silberne Hosenträger, eben
falls gestiftet und überreicht von
Concei;ao,geht an Oliver Kahn. Am
Strafraum angekommen, schoss der
portugiesische Hattrickschütze mit
ten aufs Tor. Es war das 2:0, das der
Bayem-Goalie am liebsten aus der
Erinnerung streichen würde. Der
Goldene Hosenträger wurde übri
gens bereits nach der Vorrunde an
Belgiens Filip De Wilde vergeben.
Einen lYostpreis bekommt Pavel
Nedved. Wenn das Glück auf der
ganzen Linie fehlt, können sich
selbst grossartige Spieler in einer
guten Mannschaft rasch aus einem
EM-Tb rnier verabschieden.
Mit 22 Mal 100 000 Ranken run
den wir die Siegesprämie der Fran
zosen auf. So geht selbst der dritte
Goalie Ulrich Ram£, der sich nicht
einmal je warmzulaufen brauchte,
als Frankenmillionär aus dem Tur
nier hervor.
Die Christoph-Meili-Schale über
reichen wir Lothar Matthäus. Von
seinem Heimatland hat er fürs erste
die Nase voll. In Amerika kann er
vergessen und auch hin und wieder
Giftpfeile nach Deutschland ab-
schiessen.
Eine übriggebliebene Sion-2006-
Anstecknadel schenken wir
Schiedsrichter Urs Meier. Er hat
seine Sache seriös und gut gemacht.
Einen verbindlichen Anspruch, ei
nen Match ab den Halbfinals leiten
zu können, gibt es aber nicht, denn
auch andere Referees haben ihre
Sache seriös und gut gemacht.
Ein Einfach-Tfcket fürs Pfeffer
land geben wir an alle unbelehrba
ren Hooligans ab. Sie sorgten dafür,
dass eine erfreuliche Europameis
terschaft doch noch ihre dunkle
Seite hatte.