Liechtensteiner Volksblatt
Abstimmung Einbürgerung Alteingesessener donneretag, 15. juni 2000 9
«Gesetzesvorlage ist optimale Lösung
für Liechtenstein»
Interview mit Dr. Ralph Wanger zur Abstimmungsvorlage über die Einbürgerung Alteingesessener im Vergleich zu anderen Staaten
Dr. Ralph Wanger hat sich in sei
ner Doktorarbeit intensiv mit den
verschiedenen Bürgerrechtsgeset
zen der europäischen Länder aus
einandergesetzt. Im Interview
zieht er einen Vergleich der Ab
stimmungsvorlage unseres Lan
des mit den Gesetzen anderer
Länder und er äussert sich
grundsätzlich zur Vorlage, über
welche dieses Wochenende abge
stimmt wird.
Mit Dr. Ralph Wanger sprach
Alexander Batliner
VOLKSBLATT: Herr Dr. Wanger, am
16./18. Juni stimmt das Liechtenstei
ner Stimm volk über die Einbürgerung
alteingesessener Ausländer ab. Sie ha
ben sich durch Ihre Dissertation zur
Bürgerrechtsgesetzgebung intensiv mit
dieser Thematik befasst. Wie beurteilen
Sie grundsätzlich die Gesetzesvorlage,
welche der Liechtensteiner Bevölke
rung zur Abstimmung vorliegt?
Ralph Wanger: Meines Erachtens ist
die Gesetzesvorlage die optimale Lö
sung für Liechtenstein, mit der einerseits
den Alteingesessenen eine faire Mög
lichkeit zur Integration geboten wird
und andererseits dadurch aber trotzdem
die Identität unseres Kleinstaates ge
wahrt werden kann. Aus diesem Grund
werde ich auch ein «Ja» in die Urne wer
fen. Mein Anliegen war es immer, dass
hauptsächlich die zweite, in Liechten
stein bereits geborene Ausländergenera
tion eingebürgert wird, was mit dieser
Bürgerrechtsrevision nun erreicht wird.
Diese jungen Ausländer sind hier gebo
ren, aufgewachsen und zur Schule ge
gangen. Sie haben nie in ihrer Heimat
gelebt und sprechen deshalb auch den
gleichen Dialekt wie wir. Die in Liech
tenstein geborenen Ausländer sind kei-
Signal, wenn Liechtenstein diesen Ver
zicht noch vor Deutschland, Österreich
oder den anderen Kleinstaaten wie Mo
naco, San Marino usw. abschaffen wür
de. Hier wäre eine Vorreiterrolle sicher
nicht angebracht. Im übrigen geht die
Forderung, dass beim Erwerb einer
neuen Staatsbürgerschaft auf die bishe
rige Staatsangehörigkeit verzichtet
werden soll, auf einen Staatsvertrag
über die Verringerung von Mehrstaatig
keit vom Jahre 1963 zurück, dem etliche
europäische Staaten beigetreten sind
und der immer noch Geltung hat. Eben
falls einen Verzicht verlangen beispiels
weise Österreich, Deutschland, Spani
en, Luxemburg, Monaco und San Mari
no, Dänemark, Finnland, Schweden und
Norwegen. Liechtenstein steht damit
also mit der Verzichtsvoraussetzung
keineswegs alleine da.
Gerade ein Kleinstaat
hat das Recht, vom
Einbürgerungskandi
daten ein klares
Bekenntnis zu
Liechtenstein zu
verlangen
Sie haben vor einiger Zeit bei einem öf
fentlichen Vortrag zu diesem Thema
von einer «Lex Helvetica», einem Ge
setz, das nur den Schweizern zugute
kommen würde, gesprochen. Wie ist das
zu verstehen?
Damit ist gemeint, dass ein Fallenlas
sen des Verzichts auf die bisherige
Staatsbürgerschaft praktisch nur den
Schweizer Alteingesessenen dienen
würde. Die Hauptzahl der Alteingeses
senen in Liechtenstein werden zum
grösstenTeil durch Schweizer, Österrei-
ne Bedrohung für uns, da sie sich Liech
tenstein in der Regel um einiges näher
fühlen als ihrem Heimatstaat. Deshalb
sind die meistens auch ohne weiteres be
reit, auf die bisherige Staatsbürgerschaft
zu verzichten. Ausserdem löst diese Bür
gerrechtsrevision das Staatenlosenprob-
lem zu einem grossen Teil.
Somit sind Sie also eher ein Befürwor
ter der Voraussetzung des Verzichts attf
die bisherige Staatsbürgerschqft?
Ja, das ist richtig. Gefade ein Klein
staat hat meines Erachtens das Recht,
vom Einbürgerungskandidaten ein kla
res Bekenntnis zu Liechtenstein zu ver
langen. Ausserdem wäre es ein falsches
Dr. Ralph Wanger: «Gerade ein Kleinstaat hat meines Erachtens das Recht, vom Ein
bürgerungskandidaten ein klares Bekenntnis zu Liechtenstein zu verlangen.
Einige der hier lebenden Staatenlosen
sind bereits in Liechtenstein geboren
oder in frühen Kindesjahren hergereist.
Diese haben, wenri sie bereits seit 1985
im Inland wohnen, mit der Alteingeses
seneneinbürgerung die Möglichkeit, sich
sofort einbürgern zu lassen, ohne dass sie
sich einer Gemeindebürgerabstimmung
gen. Währenddem ein hier geborener
Ausländer die ihm gebotene Option be
reits mit 15 Jahren wahrnehmen kann,
benötigt der als Erwachsener nach
Liechtenstein gekommene Ausländer
30 Wohnsitzjahre. Diese Unterschei
dung ist dabei absolut gerechtfertigt, da
ein Ausländer, der im Inland geboren
Volksabstimmung
16./18.
Juni 2000
Dr. Ralph Wanger setzt sich ßr ein Ja bei der Abstimmung ein, weil der die gefun
dene Lösung als optimal ßr unser Land betrachtet. (Bilder: bak)
eher und Deutsche gebildet. Österreich
und Deutschland lassen Doppelstaatig
keit durch freiwillige Einbürgerung nun
aber im Gegensatz zur Schweiz gar nicht
zu. Lässt sich nämlich ein Deutscher
oder Österreicher in Liechtenstein ein
bürgern, so entzieht ihm sein Heimat
staat automatisch seine bisherige Staats
bürgerschaft - und zwar unabhängig da
von, ob Liechtenstein von ihm einen
Verzicht darauf verlangt oder nicht. So
mit käme die Abschaffung des Verzichts
also nur einem Schweizer zugute.
Was haben Sie damit gemeint, dass mit
dieser Bürgerrechtsrevision auch die
Staatenlosenproblematlk gelöst werde?
stellen müssen. Der Verzicht auf die bis
herige Staatsbürgerschaft stellt für sie
naturgemäss auch 1 kein Problem dar.
Aber auch die im Erwachsenenalter
nach Liechtenstein gekommenen Staa
tenlosen werden bereits in 5 bis 10 Jah
ren die Möglichkeit zur erleichterten
Einbürgerung erhalten!
Die Hauptzahl der
Alteingesessenen in
Liechtenstein werden
zum grössten Teil
durch Schweizer,
Österreicher und
Deutsche gebildet
Im Landtag gab unter anderem die An
zahl Wohnsitzjahre, die nötig sind, um
von der erleichterten Einbürgerung Ge
brauch machen zu können, Anlass zu
Diskussionen. Wie beurteilen Sie die
nun gefundene Lösutig von 30 Jahren,
wobei die Jahre bis zum 20. Lebensjahr
doppelt gezählt werden?
Mit der Doppelzählung der Jahre bis
zum zwanzigsten Lebensjahr wurde
meines Erachteris eine optimale Lösung
gefunden, die zweite Ausländergenera
tion bei der Einbürgerung zu bevorzu
wurde und die Schulzeit hier absolviert
hat, mit 15 Jahren zweifellos auch voll
integriert ist und in der Regel von einem
Inländer nicht zu unterscheiden ist. Spä
ter nach Liechtenstein gereiste Auslän
der hingegen tun sich meist schwer, un
sere Sprache und Kultur schnell zu ler
nen. Trotzdem bietet diese Revision
aber auch diesen nach 30 Jahren einen
Anspruch auf Einbürgerung.
Wie regeln die anderen Staaten Euro
pas die Frage der Wohnsitzjahre?
Die durchschnittliche Wohnsitzfrist
bei der ordentlichen Einbürgerung be
zogen auf die europäischen Staaten liegt
bei etwas unter 10 Jahren (San Marino:
30 Jahre; Schweiz: 12 Jahre; Deutsch
land, Österreich, Luxemburg, Monaco
und Spanien: 10 Jahre; Dänemark 7 Jah
re; Belgien, Frankreich, Niederlande,
Grossbritannien, Italien und Schweden:
5 Jahre). Liechtenstein setzt bei der or
dentlichen Einbürgerung eine Wohn
sitzfrist von 5 Jahren voraus und besitzt
damit die tiefste Wohnsitzfrist in Euro
pa - wenngleich zugegeben werden
muss,dass die ebenfalls benötigte positi
ve Abstimmung in der Bürgergemeinde,
° diese tiefe Frist wieder erheblich relati
viert. Neben der ordentlichen Einbürge
rung mit vollem Ermessen kennen ver
schiedene Staaten Europas ein soge
nanntes Optionsrecht für die im Inland
geborenen Ausländer, welches ihnen in
der Regel zwischen 20 und 25 Jahren die
Einbürgerung anbietet. Andere Staaten
bieten Alteingesessenen eine erleichter
te Einbürgerung im Sinne einer An-
, spruchselnbürgerung an. Deutschland
erteilt so den im Inland geborenen Aus
ländern zwischen 16 und 23 Jahren und
den erst im Erwachsenenalter zugereis
ten Ausländern nach 15 Jahren einen
Anspruch auf Einbürgerung. In Öster
reich hingegen erhält ein Ausländer erst
nach 30 Jahren Wohnsitz einen An
spruch auf Einbürgerung, ohne dass die
Jahre bis zum 20. Lebensjahr doppelt
gezählt werden. Die Schweiz schliesslich
gewährt nach zwei misslungenen Bun
desabstimmungen immer noch keine er
leichterte Einbürgerungsmöglichkeit
oder einen Einbürgerungsanspruch für
Alteingesessene.
Die Regierung betont immer wieder,
dass es sich um eine Anspruchseinbür
gerung handle. Was bedeutet dies kon
kret?
Die ordentliche Einbürgerung eines
Landes ist grundsätzlich immer eine Er
messenseinbürgerung. Das bedeutet,
dass es im freien Ermessen der Einbür-
gerungsbehörde liegt, einen ausländi
schen Bürgerrechtsbewerber einzubür
gern oder nicht. Bei der erleichterten
Einbürgerung alteingesessener Auslän
der hingegen handelt es sich wie bei der
Einbürgerung infolge Eheschliessung
um eine Anspruchseinbürgerung. Der
Anspruch bewirkt, dass die Einbürge
rungsbehörde - bei uns die Regierung -
den Ausländer einzubürgern hat, wenn
er die im Gesetz verlangten Vorausset
zungen erfüllt, es bleibt ihr kein Ermes
sen.
Mit der Vorlage wird
eine faire Möglichkeit
zur Integration
geboten
Hie und da wird geäussert, dass damit
natürlich auch die Gefahr beste!», dass
auch kriminelle Ausländer eingebür
gert werden müssten. Stimmt dieser
Einwand?
Nein, sicher nicht. Obwohl es sich um
eine Anspruchseinbürgerung handelt,
verhindern die strengen Voraussetzun
gen, dass kriminelle Ausländer in den
Bürgerverband aufgenommen werden
müssen. Wenn der ausländische Bewer
ber im Strafregister eine Vorstrafe we
gen eines Verbrechens verzeichnet hat
oder sein bisheriges Verhalten zur Be
fürchtung Anlass gibt, er sei eine Be
drohung für die innere oder äussere Si
cherheit des Landes, kann seine Auf
nahme verweigert werden. Solche Fälle
hat es im übrigen bereits schon gege
ben.
Regierungsrat Heinz Frommelt be
zeichnete diese Gesetzesvorlage als exi
stentiell für die Zukunft unseres Lan
des. Diesbezüglich verwies er vor allem
auf die Wirtschaft. Wie beurteilen Sie
diese Aussage?
Die Aussage, dass diese Gesetzesvor
lage existentiell für die Zukunft unseres
Landes sei, ist sicher richtig, wobei ich
dies nicht einmal so sehr auf unsere
Wutschaft bezogen sehe. Vielmehr
muss es im Interesse eines Kleinstaates
liegen, längst integrierte Ausländer in
den Staatsverband aufzunehmen und
damit aus unechten Ausländern echte
Liechtensteiner zu machen, aber natür
lich auch zu verhindern, dass aus echten
Ausländern unechte Liechtensteiner
werden. Dies wird mit dieser Gesetzes
vorlage geradezu meisterlich erreicht.
Gehen wir diesen Schritt nicht auf die
ausländische Bevölkerung zu, so riskie
ren wir früher oder spfiter die definitive
Abwendung der Alteingesessenen.
Dies kann nicht zum Wohle Liechten
steins sein.
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