Liechtensteiner Volksblatt
Land und Leute
Montag, 15. Mai 2000 S
Hilfe zur Selbsthilfe
Gutenberg-Gespräch über Schuldenkrise und Entschuldung
Unter der Leitung von Pater Al
fons Bauser, Direktor des Hauses
Gutenberg in Balzers, fand ver
gangenen Freitagabend im klei
nen Gemeindesaal Balzers die
Diskussion «Schuldenkrise und
Entschuldung-internationale und
menschliche Herausforderung»
mit Dr. Otto Stich, Dr. Regula
Frey-Nakonz sowie Dr. Christoph
Stückelberger statt.
Jennifer Hasler
Nach der Begrüssung der Anwesenden
und einer kurzen Vorstellung der Refe
renten durch Pater Alfons Bauser durf
te Altbundesrat Dr. Otto Stich als Ers
ter sein Statement über die Thematik
«Schuldenkrise und Entschuldung - in
ternationale und menschliche Heraus
forderung» vorstellen.
Rahmenbedingungen müssen
stimmen
Otto Stich hatte als Bundesrat und Fi
nanzminister die Schweiz in ihrem An
liegen weltweiter wirtschaftlicher Zu
sammenhänge und Solidarität in die
Weltbank geführt, die damals noch sehr
umstritten war. «Eine Organisation, die
im Prinzip für feste Wechselkurse sor
gen sollte» erläuterte er. Das Problem
sieht er vor allem darin, für die Wirt
schaft eine stabile Basis zu finden. Zu
der heutigen Situation führte er aus,
dass der Dollar gegenüber dem Schwei
zerfranken überbewertet ist. Der Euro
zeige sich zudem schwach. «Die finanzi
ellen Gegebenheiten, die Rahmenbe
dingungen müssen stimmen. Auch im
Währungsfonds. Man muss dafür sor
gen, dass unsere Welt überleben kann.»
Raubbau an Menschen
Im zweiten Referat, das Dr. Regula
Frey-Nakonz von der Koordinations
stelle Frauen und Entwicklung Zürich
hielt, ging es vor allem um die Proble
matik der Frauen in den wirtschaftlich
schwachen Ländern. So kritisieren sie
die Strukturanpassungsprogramme der
Weltbank sowie des internationalen
Währungsfonds. Diese fordern ein zu
grosses Mass an Exportproduktion, was
in den betroffenen Ländern zu grossen
Sparmassnahmen führt, welche beson-
Gesprächsleitung Pater Alfons Bauser, Haus Gutenberg, Allbundesrat Dr. Otto Stich, Dr. Regula Frey-Nakonz, Koordinations
stelle Frauen und Entwicklung in Zürich, Lorenz Kaufmann und Dr. Christoph Stückelberger, Zentralstelle Brot ßr alle, Bern
(v. I.) dikutierten am Gutenberg-Gespräch. (Bilder: bak)
Dr. Christoph Stückelberger und Dr. Regula Frey-Nakonz folgen interessiert den
Ausßhrungen von Dr. Otto Stich.
ders die Frauen stark belasten. Ein star
ker Zuwachs der Textilindustrie ist zu
verzeichnen, in welcher das Durch
schnittsalter der Arbeiterinnen in den
Fabriken etwa 17 Jahre beträgt. In den
Genuss einer Ausbildung kommen
meist nur mehr die Knaben, da nicht für
alle Kinder das Schulgeld ausreicht. Es
findet ein Raubbau an den Menschen
statt, um Exporte zu finanzieren.
Es geht doch um Menschen!
Der dritte Referent, Christoph
, i Stückelberger, iZentralsekretär «Brot
für alle» aus Berti toigagiert sich inden
Initiativen der Kirchen und ihrer Hilfs
werke, die sich lokal und international
für die Entwicklung und Entschul
dungsprogramme im Interesse aller
Völker einsetzt. «Es geht um Men
schen, um Menschen die betroffen
sind» begann er sein Statement und
wies auf die G7-Konferenz in Köln
1999, in der ein Schuldenerlass für die
zwanzig ärmsten Länder beschlossen
wurde.
Die Forderung der Hilfswerke könne
klar definiert werden: «Die Frage der
Aushandlung der Bedingungen für
Schuldenerlass muss so gestaltet wer
den, dass betroffene Länder stärker
einbezogen werden und mehr dazu zu
sagen haben». Gesundheit, Bildung so
wie eine gut funktionierende Landwirt
schaft muss gewährleistet sein.
Näch einer kleinen Pause lud das Po
dium zu einer öffentlichen Diskussion
ein, welchem die Zuhörer gerne folg
ten. Man kann «Äpfel» nicht «Birnen»
gleichstellen und so ist es nur logisch,
dass zwischen den Industriestaaten und
den Entwicklungsländern ein Un
gleichgewicht in der Konkurrenzfähig
keit besteht. Nach und nach müsse sich
das angleichen. So wurde darauf auf
merksam gemacht, dass man schon im
kleinen helfen kann, in dem der Konsu
ment Produkte mit dem sogenannten
«Fair-Trade-Label» kauft. Den Men
schen, die für dieses Label arbeiten,
werden Löhne bezahlt, die ein men
schenwürdiges Leben garantieren.
Vorausplanung ist wichtig
«Man muss in die Zukunft schauen
und daran denken, dass unsere Welt
auch in 50 Jahren noch lebenswert ist».
Eine Aussage, die Dr. Otto Stich von
der Zuschauerseite her grosse Sympa
thien entgegenbrachte.
Personalisierung der Verantwortung
Ethik-Kolloquium der Internationalen Akademie für Philosophie auf Gaflei
Zum zweiten Mal lud die Interna
tionale Akademie für Philosophie
(IAP) ein zu einem Kolloquium
mit dem Titel «Ethische Grundla
gen einer freien Gesellschaft».
Unter der Leitung von Prof. Mc-
Cormick gab es Beiträge von Re-
gierungsrätin Andrea Willi, den
Professoren Czeslaw Porebski
und Marco Olivetti.
Gerolf Hauser
Dr. Hubertus Dessloch, General
sekretär der IAP, sprach von den «Ma
krostrukturen in der Wirtschaft, bei de
nen wir nicht genau wissen, wo die
Macht steht und wo die Verantwortung
ist», die philosophisch bestimmt werden
müsse. Das Ethik-Kolloquium diene
dazu, der Anonymisierung der Verant
wortung eine Personalisierung der Ver
antwortung gegenüber zu stellen.
Ethische Werte
Diese Kolloquien, betonte IAP-Rek-
tor Josef Seifert, hätten nicht nur das
Ziel, die grundlegenden Themen einer
rein theoretischen Diskussion zu vertie
fen, sondern sich mit praktischen ethi
schen Problemen und deren prakti
schen Lösungsmöglichkeiten auseinan
der zu setzen. Peter McCormick, Leiter
des Ethik-Kolloquiums, fasste die The
matik in zwei Fragen zusammen: Was
bedeutet eine philosophische Ethik und
gibt es objektive ethische Werte völlig
unabhängig von unserem Denken und
unserer Sprache? Regierungsrätin
Andrea Willi untersuchte das Thema
Mitverantwortung und Selbstverant
wortung anhand der Frage, wie ein
Die Professoren IAP-Rektor Josef Seifert, Marco Olivetti, Evangelos Moutsopolos, Zeslaw Porebski, Peter McCormick und
Mariano Crespo. (Bild: Gerolf Hauser)
Kleinstaat durch seine internationalen
Beziehungen eine Wertehaltung zum
Ausdruck bringen kann. Eine Politik
könne nur dann ideell abgestützt und
tragfähig sein, wenn auch die einzelnen
Mitglieder der Gesellschaft sich mit dem
Wertekodex identifizieren könnten.
Neues Verantwortungs-
bewusstsein
Czeslaw Porebski führte aus, dass in
der Wirtschaft ein Prozess der Abschaf
fung der «mechanistischen» Konzepti
on des Unternehmens zu beobachten
sei, also jener Hierarchie, die den Mit
arbeitern die Verantwortung entziehe.
Dieser Abschaffungsprozess, den es zu
beschleunigen gelte durch eine tiefere
philosophische Reflexion Uber die Rol
le der Arbeit und der Zusammenarbeit
innerhalb einer Gemeinschaft, komme
aus der Erkenntnis, dass Mitarbeiter,
denen Vertrauen entgegengebracht
wird, bessere Mitarbeiter sind und da-
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mit der Betrieb rentabler arbeite. Die
Modifizierung des Verantwortungsbe-
wusstseins führe dazu, dass Wirt
schaftsmanagement und Unternehmen
auf die Interessen jeder Person und je
der Organisation, die von der Tätigkeit
des Unternehmens betroffen werden,
achten müssten.
Der traditionellen Auffassung fol
gend, strebe ein Unternehmen danach,
vor allem die «shareholder» (Anteilsei
gentümer) zu berücksichtigen. Über die
Maximierung des shareholder values
hinaus gelte es, eine Maximierung des
«stakeholder values» anzustreben (sta
keholder sind alle jene, deren Interes
sen von der Tätigkeit der Firma betrof
fen sind). Warum allerdings Czeslaw
Porebski den Nationalsozialisten Her
mann Rauschning zitieren musste, um
zu erklären, dass die Wirtschaft nicht
ohne einen eisernen Bestand an ethi
schen Motiven auskommen kann, sie in
der Realität des geistigen und ethischen
Kosmos verwurzelt sein muss, bleibt un
verständlich.
Marco Olivetti referierte über Inter-
subjektivität und politische Theologie,
über die Frage, vor wem man Verant
wortung habe. «Verantwortung impli
ziert Intersubjektivität; wäre man al
lein, dann wäre es unmöglich, von Ver
antwortung zu reden. Das Problem
Gottes fällt für mich mit dem der Inter
subjektivität zusammen. Um philoso
phisch an Gott denken zu können, muss
man an Intersubjektivität denken, und
umgekehrt, um an Intersubjektivität
denken zu können, muss man an Gott
denken.»
t.