26 Samstag, 4. März 2000
Spezi al
Liechtensteiner Volksblatt
Was die Geschäftsleitung vom
Gewerblichen Rechtsschutz wissen sollte
Ein Interview mit Patentanwalt Dr. Kurt F. Büchel über den Wert und Unwert von Patenten
Bei der kürzlich erfolgten Ertei
lung eines Patents auf gentech
nisch veränderte Embryonen ist
dem Europäischen Patentamt in
München nach eigenen Angaben
ein «schwerer Fehler» unterlau
fen. Das VOLKSBLATT hat sich
mit dem Liechtensteinischen Pa
tentanwalt Dr. Kurt E Büchel über
den Wert und Unwert von Paten
ten unterhalten.
Mit Dr. Kurt F. Büchel sprach
Dr. Emma Hahn
VOLKSBLATT: In letzter Zeit gerät
das Patentwesen von verschiedenen
Einzelgängern oder infolge von Grup
peninteressen unter Beschuss: verschie
dene Entwicklungsländer behaupten,
dass es sich dabei nur um eine mono
polistische Massnahme handle; die
«Grünen» bekämpfen die «Patentie
rung von Leben». Sollen Patente abge
schafft werden?
Dr. Büchel: Im Wesentlichen stützen
sich die Entwicklungsländer dabei al
lerdings immer auf einige wenige miss-
bräuchliche Anwendungen des Patent
rechts. Aber man sollte doch eigentlich
nicht das Kind mit dem Bade ausgies-
sen: Man wird zum Beispiel die Chemie
nicht abschaffen, weil sie auch Gifte
herzustellen gestattet. Noch ein Wort zu
dem leider kursierenden Schlagwort
von der «Patentierung des Lebens»: Ei
ne Patentierung von Leben hat es nie
gegeben und wird es nie geben. Diese
Formulierung wird von manchen Inte
ressengruppen gezielt gewählt, um einen
besonderen Sensationseffekt und ein
Unbehagen zu erzielen, welches von be
reits erteilten und zukünftig zu erteilen
den Patenten im Bereich der Biotech
nologie und Gentechnik ausgeht. Es
fällt vielen Menschen schwer, hier eine
ausgewogene, objektive Position zu be
ziehen; statt dessen wird auf emotiona
ler Ebene vielfach unsachlich argumen
tiert. Nach neuester EU-Richtlinie
kann ein Patentschutz für Nukleinsäu
resequenzen, d.h. auf kleinere oder
grössere Genabschniite oder Gene,
nicht erhalten werden. Wenn jedoch ei
ne Firma Kapital aufwendet, um be
stimmte Genabschnitte an Pflanzen,
Tieren oder Menschen zu isolieren,
dann sind diese genauso dem Patent
schutz zugänglich wie andere Produkte,
die als solche in der Natur nicht vor
kommen; damit soll der Erfindergeist
genauso unterstützt werden wie bei der
Entwicklung von Chemikalien oder
Maschinen. Ausgenommen sind davon
Eingriffe in die Keimbahn des Men
schen, die auch in Zukunft von jegli
chem Patentschutz ausgeschlossen blei
ben werden.
Die Zwiespältigkeit in der Beurtei
lung dieses Sachverhalts äussert sich am
besten darin, dass ein solches Vorgehen
von weiten Kreisen der Bevölkerung
akzeptiert wird, sofern es dabei um die
Entwicklung von Medikamenten geht,
aber abgelehnt wird, wenn es sich um
die Veränderung von Tieren oder Pflan
zen mit dem Ziel einer Ertragssteige
rung dreht, um dem Hunger in der Welt
zu begegnen; warum denn nur? Die in
manchen Menschen künstlich erzeugte
Angst vor einem «Ausverkauf des tieri
schen oder menschlichen Körpers an
die pharmazeutische Industrie» ist mei
ner Ansicht nach völlig unbegründet
und durch nichts zu rechtfertigen. Die
etwas naive Vorstellung, wir würden
zukünftig alle wie Marionetten von der
Pharmaindustrie dirigiert werden, ist
Unsinn: die Pharmaindustrie hat ganz
bestimmt kein Interesse daran, uns zu
schädigen, ganz im Gegenteil. Abgese
hen davon wird eine allfällige diesbe
zügliche Entwicklung wesentlich weni
ger von Patentrechten als vielmehr von
den bereits bisher praktizierten Marke-
tingstrategien inklusive Fusionierun
gen, der Weltwirtschaftslage und einer
Dr. Kurt E Büchel, Europäischer Patentvertreter in Triesen: «Leider kommen auch Patente, die in sogenannten «prüfendem
unter Beschuss.
Ländern erteilt wurden, oft genug mit Erfolg
(Bilder: Dr. Emma Hahn)
Reihe von unkalkulierbaren Parame
tern abhängen. Das Patentrecht ist ja
nur eine Bestätigung der Urheberschaft
einer Erfindung; ob sie in der Praxis
ausgenutzt werden darf, entscheidet
nicht das Patentamt, sondern die Regie
rung oder die Gesundheitsbehörde.
Man sollte nie übersehen, dass die al
lermeisten Entwicklungen dem Wohl
und nicht dem Wehe der Menschen die
nen, was schon aufgrund der kapitalisti
schen Wirtschaftsform der westlichen
Welt eine zwingende Voraussetzung ist.
Arbeiten nicht viele gleichzeitig an
der Lösung ähnlicher Probleme?
Genau. Aber das ist ein drittes, viel
leicht das wichtigste Argument für die
Einreichung von Patentanmeldungen
auf eigene Erfindungen: Die meisten
Entwicklungen bedeuten ja die Lösung
bestimmter Probleme, die vielen be-
wusst sind und woran viele gleichzeitig
arbeiten. Sofern man daher seine Ent
wicklungsergebnisse nicht rechtzeitig
zum Patent anmeldet, ist die Gefahr
gross, dass dies von einem auf dem sel
bem Sektor tätigen Wettbewerber ge
schieht. Dieser wird dann versuchen,
sein Verbietungsrecht geltend zu ma
chen; das kann im günstigsten Fall zu
langwierigen Verhandlungen und Zeit
verzögerungen bei der Auswertung der
eigenen Entwicklung, im ungünstigsten
Fall zur Abschreibung aller Entwick
lungsaufwendungen und zu Schadener
satzzahlungen führen.
Wenn man selbst nachweisen kann,
dass man die Erfindung schon vor dem
Anmeldetag des Mitbewerbers in Be
nutzung hatte, dann kann man dem im
merhin für das Inland ein sogenanntes
Vorbenutzungsrecht entgegenstellen,
so dass das Patent des Konkurrenten
nicht stört. Dieses Vorbenutzungsrecht
kann man aber nicht an einen Lizenzin-
tcressenten übertragen,und es erstreckt
sich auch nicht aufs Ausland. Man bleibt
also unter Umständen auf der Auswer
tung seiner eigenen Erfindung im In
land «sitzen», was bei der heutigen Ver
flechtung der internationalen Wirtschaft
im Einzelfall ebenso tödlich sein kann,
wie gar keinen Markt zu haben.
Kodak hatte gleichzeitig mit Polaroid
an einer Sofortbildkamera gearbeitet,
doch war Polaroid schneller: in dem
spektakulären Prozess gegen die Paten
te von Polaroid hat Kodak verloren,
musste viele Millionen Dollar Schaden
ersatz zahlen und seine Sofortbildka
meras vom Markt nehmen.
Herr Dr. Büchel, man hört immer wie
der, dass nur die Grossindustrie sich
Patente leisten kann, während kleinere
und mittlere Unternehmen («KMU's»)
auf der Strecke bleiben. Was ist daran
wahr?
Rein zahlenmässig stimmt das nicht.
So wie neue Arbeitsplätze zum über
wiegenden Teil von KMU's geschaffen
werden, so gilt dies iauch für Patente.
Was den Unterschied ausmacht, ist die
aktive Patentpolitik der Grossen, die
Patente bewusst und institutionalisiert
als Mittel der Geschäftspolitik einset
zen, während sich ein solches Vorgehen
bei KMU's erst langsam durchzusetzen
beginnt.
Dabei gibt es schon heute unglaub
lich viele ausserordentlich innovative
Betriebe, die ertragreiche Marktni
schen mit ihren Produkten ausfüllen
und sich ihren Vorsprung sehr wohl
durch Patente sichern.
Welche Massnahmen empfehlen Sie ei
nem KMU?
Zunächst ist zu überlegen, ob man
sich «nur» die Konkurrenz wenigstens
eine Zeit lang vom Leibe halten will,
oder ob man entwickelt, um mittels Li
zenzvergabe Gewinn zu erzielen, oder
beides. In jedem Fall ist nur selten ein
einziges Patent ausreichend, weil ein er
folgreiches Produkt die Konkurrenz da
zu veranlasst, nach Umgehungslösun
gen zu suchen. Eine erfolgreiche Pa
tentpolitik wird daher sowohl selbst sol
che Umgehungslösungen suchen und
patentieren als auch Verbesserungen
und Weiterentwicklungen patentieren,
um sich ein Portfolio aufzubauen. Ob
man dann aktiv Lizenznehmer sucht,
weil man selbst nicht den ganzen Welt
markt abdecken kann, hängt vom Ein
zelfall ab.
Wie kann ein Inhaber oder Geschäfts
führer eines KMU eine solche Patent
politik in die Wege leiten bzw. umset
zen?
Zunächst ist wichtig, dass er das Po
tential der Firma auf diesem Gebiet er-
fasst oder besser von einem Fachmann
erfassen lässt. Ein altes Bonmot besagt:
«Diejenigen, die etwas vom Patentwe
sen verstehen, haben nichts zu reden;
und diejenigen, die etwas zu reden ha
ben, verstehen nichts vom Patentwe
sen.» Tatsächlich werden Patente, und
auch andere gewerbliche Schutzrechte,
das sind hier insbesondere Marken, Ge
brauchs- und Geschmacksmuster, sehr
häufig entweder über- oder unter
schätzt, selten in ihrer Bedeutung und
ihrem Wert richtig eingeschätzt. Das eu
phorische Frohlocken «Jetzt haben wir
ein Patent angemeldet, jetzt kann uns
nichts mehr passieren» ist ebenso oft zu
hören wie der verzagte Stossseufzer
«Was nützt uns schon das Patent, die
Konkurrenz macht ja doch, was sie
will!» Beide Extreme sind falsch.
Beim Versuch, den Nicht-Fachmann
zu einer realistischen Einschätzung und
zu einem wertgemässen Einsatz des Pa
tentwesens zu führen, muss zuerst eine-
häufig zu findende Irrmeinung beseitigt
werden: Selbst ein erteiltes Patent ge
stattet seinem Inhaber nicht ohne wei
teres, den Gegenstand der patentierten
Erfindung herzustellen; er könnte ja bei
dieser Herstellung ausser von seiner ei
genen Erfindung zwangsläufig auch
noch Gebrauch von einer anderen Er
findung machen müssen, auf die einem
Fremden ein Patent erteilt wurde. Er
selbst hätte dann nur ein sogenanntes
abhängiges Patent. Das Patent gestattet
ihm nur, einem Dritten zu verbieten,
den Gegenstand der patentierten Erfin
dung herzustellen, also auch dem Frem
den, der vielleicht ein «Basis»-Patent
besitzt. Dieser darf dann sein Basispa
tent nur in der ursprünglich erfundenen
Form auswerten, nicht aber in der ver
besserten Form des neuen abhängigen
Patentes.
Dazu ein Beispiel: Die Basiserfin
dung betraf die Mischschnecke eines
Einspritzextruders für verhältnismässig
dünnflüssige Polyurethan-Compound-
Systeme. Im Gegensatz zu Plastifizier-
schnecken für zähflüssige Thermoplas*
te waren hier die in Richtung zum Aus
trag hin weisenden Flanken der
Schnecke relativ stark schräg geneigt,
um den Mischeffekt zu verbessern. Das
abhängige Patent betrifft nun die koni
sche Ausbildung der ganzen Schnecke,
wobei sich in Richtung zum Austrag hin
die Umfangsgeschwindigkeit vergrös-
sert, unter Benutzung der schrägen
Flanken des ersten Patentes.
Ist es nicht besser, die Erfindungen ge
heim zu halten?
Herstellungsverfahren, deren An
wendung am Fertigprodukt nicht mehr
festgestellt werden kann, zum Beispiel
das Mischen von Chemikalien in einer
bestimmten Reihenfolge oder bei be
stimmter Temperatur, werden wohl bes
ser geheim gehalten. Es kann allerdings
vorkommen, dass durch solche beson
deren Massnahmen Effekte erzielt wer
den, die durch spätere verfeinerte Ana
lysenmethoden doch einmal nachge
wiesen werden können - dann ist es
aber meistens leider zu spät. Notfalls
kann man auf Verdacht anmelden und
die Nachweisbarkeit der erfinderischen
Massnahme sorgfältig prüfen; fällt die
Prüfung negativ aus, kann man die An
meldung immer noch zurückziehen, be
vor sie veröffentlicht und damit der All
gemeinheit zugänglich wird. Man hält
sie dann besser geheim.
Wie sicher «hält» ein einmal erteiltes
Patent?
Auch geprüfte Patente sind nicht vor
Krankheit und Tod gefeit, Hierzu ein
Wort zu der Rechtsbeständigkeit von
Patenten: Patente werden auf techni
sche Erfindungen erteilt, die neu sind
und die in verschiedenen Ländern noch
die Forderung erfüllen müssen, tech
nisch fortschrittlich und/oder gewerb
lich anwendbar zu sein. In vielen Län
dern werden Patentanmeldungen vom
jeweiligen Patentamt automatisch da
raufhin geprüft, ob sie diesen Bedin
gungen genügen. In anderen Ländern
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