Kat. Nr. 41
ANDREA LOCATELLI (1695-1741)
«DIE ENGELSBURG IN ROM»
Leinwand; 154,5 X 234,7 cm (ursprüngliche Breite: 272,4 cm)
Inv. Nr. G 220
Erworben: vor 1780
Über dem rechten Ufer des blaugrünen, träge dahin fließenden
Tibers erhebt sich der schmucklose, aber mächtige, zylindrisch
geformte Baukörper der «Engelsburg», die der römische Kaiser
Hadrian im Jahre 135 n. Chr. als Mausoleum für sich und seine
Nachfolger errichten ließ. Schon vier Jahre später konnte Kai-
ser Antoninus Pius das Bauwerk vollenden, in welchem Septi-
mius Severus als letzter Kaiser im Jahre 211 bestattet wurde. Als
Vorbild für seine Grabstätte diente Hadrian das Augustus-Mau-
soleum. Ein quadratisches Podium von 89 Metern Seitenlänge
und 15 Metern Höhe trägt den über 20 Meter hohen Rundbau,
der seiner ursprünglichen Dekoration aus Marmor und Metall.
sowie der Bronze-Quadriga, die ihn bekrönte, beraubt wurde.
Seinen heutigen Namen erhielt das Hadriansmausoleum, als
Papst Gregor dem Großen im Jahre 590 während einer Pestepi-
demie ein Engel auf den Zinnen des Bauwerkes erschien, den
Gregor als Ankündigung des baldigen Endes der Pest deutete.
Sowohl den spätantiken Kaisern, wie etwa Honorius, als auch
den Päpsten diente die «Engelsburg» als Festung, wodurch sich
ihr Äußeres bald veränderte. Ihr im Gemälde Locatellis fest-
gehaltenes Aussehen erhielt sie im wesentlichen zur Zeit des
Papstes Nikolaus V. (1447-55). Das in seiner wechselvollen
Geschichte als Grablege, Festung, Schatzkammer, Archiv,
Depot, Wohngemach, Kaserne, Zufluchtsort und Gefängnis
vielfältig genutzte Gebäude wurde 1901 grundlegend restau-
riert, 1933/34 darin ein Museum eingerichtet.
Im Auftrag Kaiser Hadrians wurde im Jahre 136 n. Chr. auch die
als «Pons Aelius» über den Tiber führende Brücke erbaut. Ihr
Architekt war Demetrianus. Sie verband und verbindet noch
heute das Mausoleum mit dem links des Tibers gelegenen Zen-
trum Roms. 1669—71 schufen der Architekt und Bildhauer
Lorenzo Bernini sowie seine Mitarbeiter zehn Engelsskulpturen
mit den Leidenswerkzeugen Christi für die Brücke, die seither
den Namen Ponte S. Angelo (Engelsbrücke) erhielt. Auf Loca-
tellis Gemälde sind sie, im Unterschied zu zeitgleichen Ansich-
ten der Brücke, nicht zu sehen. Lediglich ihre Postamente ragen
oberhalb der Brückenpfeiler leblos in die Höhe. Der Blick auf
den Fluß hält jenen Ort fest, wo unter Papst Paul V. eine Boots-
anlegestelle zum Entladen von Travertingestein und anderem
Baumaterial für die Peterskirche eingerichtet wurde.
Trotz des vedutenartigen Bildcharakters scheint dem Maler die
detail- und proportionsgetreue Wiedergabe der «Engelsburg»
und ihrer unmittelbaren Umgebung nicht oberstes Gebot gewe-
sen zu sein. Vielmehr bezeugt das Gemälde starkes Interesse am
Erfassen eines sommerlichen Nachmittagslichtes, das Gebäude
und Landschaft, Wolken und Wasser warm und stimmungsvoll
aufleuchten läßt, zugleich aber dunkle Schatten verursacht, die
der Szene räumliche Tiefe verleihen. Alles ist mit schneller und
routinierter Hand gemalt, und der Reiz des Bildes liegt, sieht
man etwa von der schönen Spiegelung der Brückenpfeiler im
Wasser ab, nicht so sehr in den Einzelheiten, als in der durchaus
dekorativen Gesamtwirkung begründet. Daß in diese ein gewalt-
samer Eingriff vollzogen wurde, darf nicht unerwähnt bleiben,
Durch späteres, ungleichmäßiges Umschlagen der Leinwand
inks und rechts des Keilrahmens' hat das Gemälde erheblich an
Breite eingebüßt und dabei sein kompositorisches Gleichge-
wicht verloren. So beherrschte die «Engelsburg» ursprünglich
lie Bildmitte, und den Häusern am rechten Gemälderand hielt
hochaufragende Baumstaffage am linken Rand die Waage.
Locatellis Ansicht von «Engelsburg» und «Engelsbrücke» in
der Sammlung Barbieri in Rom? zeigt, bei entschieden kleine-
‚em Format, eine vom ursprünglichen Zustand des liechtenstei-
nischen Gemäldes abweichende, asymmetrische Bildkomposi-
tion, die gleichwohl ausgewogen ist und ein deutlich höheres
Maß an Wirklichkeitsnähe aufweist. Ein direkter Vergleich bei-
der Gemälde war bislang nicht möglich, und auch Busiri Vici
arwähnt in seiner Beschreibung des römischen Gemäldes das
liechtensteinische unter dem Vorbehalt, es nicht einmal auf einer
Fotografie gesehen zu haben. Ohne die Zuschreibung anzu-
zweifeln, bemerkt Marco Chiarini?, daß sich die Bildmaterie in
hrer Dichte, die Farbe in ihrer Klarheit und die Figuren in ihrer
Charakteristik von Locatelli unterschieden. Ob auf Grund die-
ser Indizien die Autorschaft Locatellis in Frage gestellt werden
muß, kann augenblicklich nicht geklärt werden. Der seit dem
jiechtensteinischen Galeriekatalog von 1780 tradierten Zuwei-
zung an Locatelli wurde auch von Bode nicht widersprochen.
Wie Busiri Vici hervorhebt, ist der Blick auf die «Engelsburg»
nit der Peterskirche, der Grabeskirche des Heiligen Petrus im
Rücken vergleichsweise ungewöhnlich, erscheint jedoch bereits
in van Nieulandts Ansichten aus dem frühen 17. Jahrhundert
sowie bei Gaspar van Wittel und Joseph Vernet.
Jer in Rom geborene Maler Andrea Locatelli (eigentlich Luca-
telli) war, wie aus der «Vita» des Nicola Pio von 1723 hervor-
geht, zunächst Schüler seines. Vaters Giovanni Francesco. Pio
berichtet auch, daß Locatelli als Zwölfjähriger bei dem auf
Marineszenen spezialisierten Maler Monsü Alto lernte, schließ-
lich, wie aus anderer Quelle hervorgeht, im Alter von siebzehn
Jahren das Atelier des Bernardino Fergioni, eines weiteren
Marinemalers, betrat. 1723, als Pio seine «Vita» verfaßte, führte
_ocatelli in Rom den Titel eines Meisters. Seine Landschaften
nit figürlichen Szenen und seine Architekturveduten, die sich
von Claude Lorrain, Salvator Rosa und auch Giovanni Ghisolfi
‘vgl. Kat. Nr. 31 und 32) beeinflußt zeigen, waren beim römi-
schen Klerus, beim Adel und anderen hochgestellten Persön-
lichkeiten im In- und Ausland sehr beliebt. Locatelli gehört mit
Giovanni Paolo Panini, auf den er starken Einfluß hatte, über
die Stadtgrenzen Roms hinaus zu den großen Landschaftsma-
lern des 18. Jahrhunderts in Italien. U.W
Die Leinwand wurde am linken Bildrand um 25,5 cm, am rechten um 12,2 cm
verkürzt.
Siehe Busiri Vici, Locatelli, Nr. 216.
Nach Ansicht eines Großbilddias mit Brief vom 23. August 1993,
Literatur: Seite 155