Kat. Nr. 62 und Kat. Nr. 63
MASSIMILIANO SOLDANI BENZI
1656-1740)
Nach Gian Lorenzo Bernini (1598-1680)
Büste der «ANIMA BEATA» (Florenz, 1705-07)
Bronze, rotgoldene Lackpatina
Yöhe 39,5 cm (ohne Sockel)
nv. Nr. S 516
Erworben: 1707 nach Auftrag durch Fürst Johann Adam Andreas I. vom Künstler
Büste der «ANIMA DANNATA» (Florenz, 1705—07)
Bronze, rotgoldene Patina
Höhe 39,5 cm (ohne Sockel)
nv. Nr. $517
Erworben: 1707 nach Auftrag durch Fürst Johann Adam Andreas I. vom Künstler
Verkauft: vor 1917
Erneut erworben: 1993 durch Fürst Hans-Adam II.
Die Büste der «Anima Beata» (Erlöste Seele) zeigt eine junge,
unbekleidete Frau, deren Haare in der Mitte gescheitelt, hinten
zusammengebunden und mit einem Blütenkranz geschmückt
3ind. Der Blick des leicht zur Seite gewendeten Kopfes ist nach
oben gerichtet. Das Gegenstück dazu ist die «Anima Dannata»
“Verdammte Seele): ein Jüngling, gleichfalls mit unbekleidetem
Bruststück, hält den Kopf in ausdrucksstarker Verzerrung zur
Seite gewendet. Die Augen scheinen aus den Höhlen zu treten,
der Mund ist im Ausdruck tiefster Verzweiflung weit aufge-
issen. Die ungeordneten Haare erinnern an die Flammen des
Höllenschlundes.
Im März 1696 hatte Soldani Fürst Johann Adam Andreas I. den
Abguß nach einer weiblichen Büste Berninis aus der Galerie
des Großherzogs der Toskana angeboten; wahrscheinlich han-
delte es sich um das Bildnis der Costanza Bonarelli, das sich
heute im Bargello in Florenz befindet. Zu einer Ausführung in
Bronze scheint es jedoch nicht gekommen zu sein. 1705 offe-
rierte der Bildhauer als Pendants die «Anima Beata» bzw. «Dan-
nata», die er als «cose di bellissima maniera» anpries. Anschei-
nend besaß Soldani noch Gipsabgüsse von den damals in der
Kirche S. Giacomo degli Spagnoli in Rom aufgestellten Mar-
morbüsten aus seiner römischen Studienzeit. Bereits 1697 hatte
Soldani auf das Vorbild der «Anima Beata» zurückgegriffen, als
er den Kopf bei der plastischen Dekoration des neuen Hochal-
tars in der genuesischen Kirche S. Maria di Carignano innerhalb
siner aufwendigen Kartusche einfügte, Im Februar 1707 berich-
tete der Künstler seinem Auftraggeber von einem vorzüglich
gelungenen Guß; der Preis sei durch die zeitaufwendige Nach-
bearbeitung zu erklären, besonders für die weibliche Figur mit
ıhrem Blumenschmuck («la quala ä in capo molti fiori»). Die
Bronze der «Anima Dannata» wurde vor 1917 veräußert und
konnte 1993 glücklicherweise wieder mit ihrem Pendant zusam-
nengeführt werden.
Berninis Marmorbüsten, die sich heute im Palazzo di Spagna in
Rom befinden (Wittkower 1966, S. 177), entstanden wahr-
scheinlich im Zusammenhang mit dem Epitaph für Kardinal
Pedro de Foix Montoya, zu dem auch eine Porträtbüste gehört
(jetzt in S. Maria di Monserrato, Rom). All diese Werke zählen
zu den frühesten Arbeiten Berninis, dem bedeutendsten Reprä-
sentanten des römischen Barock. 1605 zog er mit seinem Vater
Pietro, der auch sein Lehrer war, von Neapel nach Rom. Seine
überragende Begabung sicherte ihm schon bald das Interesse
führender Mäzene, so des Kardinals Scipione Borghese, eines
Nepoten Papst Pauls V. In dessen Auftrag entstanden seine
berühmtesten Frühwerke: «David» sowie «Apoll und Daphne»,
die sich noch heute in der Villa Borghese befinden. Unter Papst
Urban VIII. (gest. 1644) stieg Bernini zum Universalkünstler
des römischen Barock schlechthin auf, wobei er auch Architek-
:urprojekte von epochaler Bedeutung in Angriff nahm. Seine
ureigenste Domäne aber blieb bis ins hohe Alter die Marmor-
bildhauerei.
Während das Gegensatzpaar der «Anima Beata» und der
«Anima Dannata» traditionell meist gemeinsam innerhalb eines
größeren Zusammenhangs gezeigt worden ist, zum Beispiel bei
Darstellungen des «Jüngsten Gerichts» oder der «Vier letzten
Dinge», isolierte sie Bernini. Indem er auf die seit der Antike
zebräuchliche Büstenform zurückgriff, erhöhte und intensi-
vierte er zugleich ihre Wirkung. In der einfühlsamen Erfassung
axtremer Seelenzustände gelangte er zu neuartigen Formulie-
(ungen: auf der einen Seite der Ausdruck schwärmerischer
Unschuld in Gestalt einer ins Jenseits blickenden jungen Frau.
auf der anderen Seite die die Qualen der Hölle widerspiegeln-
den Züge des männlichen Gegenstücks.
{in der «Anima Beata» wird bereits Berninis Auseinanderset-
zung mit den Schöpfungen des von ihm hochgeschätzten Maler-
kollegen Guido Reni spürbar, die wenige Jahre später bei der
Statue der Heiligen Bibiana für den Hochaltar der gleichnami
zen römischen Kirche noch deutlicher zum Tragen kommen
sollte. Berninis in geistiger Verzückung gezeigte Frauengestal:
‚en dienten ihrerseits als Prototypen für mehrere Bildhauerge-
nerationen. Einen späten Reflex der «Anima Beata» bildet zum
Beispiel eine um 1770 entstandene Florabüste des Bartolomeo
Tavaceppli in der Berliner Skulpturensammlung.
Kaum weniger als die «Anima Beata» muß den jungen Bernini
die plastische Gestaltung ihres Gegenstückes gereizt haben. In
der Drastik physiognomischer Verzerrung wird seine gestalteri-
sche Überlegenheit gegenüber vorausgehenden Formulierungen
deutlich, wie etwa Caravaggios Gemälde, das einen Jungen
zeigt, der, von einer Eidechse gebissen, schmerzerfüllt auf-
schreckt (Privatbesitz), oder dessen Haupt der Medusa (Uffi-
zien, Florenz). Auch wesentlich ältere Bilderfindungen müßten
ıer genannt werden, beispielhaft vertreten durch die in Kopien
jekannte Darstellung der «Schlacht von Anghiari» Leonardos
im Florentiner Palazzo Vecchio. Auch die «Anima Dannata»
wurde von späteren Generationen rezipiert, erwähnt sei hier
Balthasar Permosers «Verdammnis» im Leipziger Museum. Als
Paar fanden Berninis Büsten eine bemerkenswerte Nachfolge in
den Bildwerken Filippo Parodis, Allegorien von Tugend und
Laster, die sich in der liechtensteinischen Sammlung befinden
Kat. Nr. 64 und 65). Berninis Marmorbüsten, physiogno-
mische Ausdrucksstudien par excellence, können als Vorläufer
der im 18. Jahrhundert in Frankreich aufkommenden «t&tes
d’expression» angesehen werden.