Kat. Nr. 57
FRANCOIS DUQUESNOY (1597-1643)
«APOLLO UND CUPIDO» (Rom, um 1630-40)
Bronze, hellbraune Patina mit Resten dunkelbraunen Lacks
Höhe 66 cm
Figuren und Plinthe bzw. Baumstrunk mit Schrauben und Stiften montiert
Inv. Nr. S 610
Erworben: vor 1658 vermutlich durch Fürst Karl Eusebius
Die stehende, nackte Jünglingsfigur, die lediglich Sandalen trägt,
stützt sich mit dem linken Ellenbogen auf einen Baumstrunk,
über den ein Band gelegt ist, das ehemals einen Köcher hielt.
Der Kopf des jungen Gottes ist in Richtung der linken Hand
geneigt, die ursprünglich wohl einen Bogen hielt. Mit der ange-
winkelten Rechten umfaßte der Jüngling die gespannte Sehne.
Eine geflügelte, nackte Kindergestalt, die auf dem Rücken einen
Köcher trägt, wendet sich lebhaft dem Gott zu. Sie reichte ihm
mit der Rechten einen nicht erhaltenen Pfeil, in der Linken hielt
der Liebesgott einen Bogen.
Die Bronzegruppe bildet das Gegenstück zu einer Merkurfigur
der liechtensteinischen Sammlung (Kat. Nr. 56). Duquesnoys
Biograph Bellori berichtet, daß der Künstler den Apollo in zeit-
lichem Abstand zum Merkur als dessen Pendant geschaffen
habe: «Dopo fece un Apolline compagno al Mercurio, e fian-
cheggiato nell’atto dell’Antinoo di Belvedere». Das liechten-
steinische Figurenpaar ist in der Ausführung sehr ähnlich, so
daß anzunehmen ist, daß beide Bronzen gleichzeitig entstan-
den sind. Ob es durch Fürst Karl Eusebius während seiner Ita-
lienreise 1636 direkt beim Künstler in Auftrag gegeben wurde,
wie Raggio vermutet, läßt sich nicht klären. Immerhin muß
Duquesnoys Name im Hause Liechtenstein schon früh bekannt
gewesen sein, denn bereits in einem Inventar von 1633 wird ein
Silberrelief mit drei Trauben essenden Knaben als Arbeit des
Künstlers aufgeführt. Im Bronzen-Inventar von 1658 erscheint
die Apollo-Figur, wie auch die des Merkur, allerdings ohne
Künstlernamen: «Item ein Manssperson, der an einen Stokh lai-
net und einen Bogen in der Hand hat, bei ihme Cupido mit einem
Bogen stehent».
Die beiden bronzenen Jünglingsfiguren wurden in einer ökono-
mischen Gußtechnik hergestellt, dem Guß mit Teilformen, der
sigentlich erst in späterer Zeit gebräuchlich wurde. Sorgfältig
wurden die separat gegossenen Teile, wie die Gliedmaßen oder
beim Cupido die Flügel, angesetzt. Dank der sehr feinen Nach-
vearbeitung lassen sich die Nahtstellen nur schwer erkennen. Es
kann davon ausgegangen werden, daß die Gußmodelle noch
lange Zeit erhalten blieben und weiterreproduziert wurden
(Radcliffe 1992, Nr. 28).
Kaum klären läßt sich, inwieweit Duquesnoy selbst an der Aus-
führung der Bronzen beteiligt war. Durch Bellori ist zwar über-
liefert, daß der Künstler einige Metallarbeiten eigenhändig
nacharbeitete, doch scheint Duquesnoy keine große Praxis in
der Bronzetechnik besessen zu haben, erst recht wohl nicht in
der damals relativ neuen, ambitionierten Gußtechnik mit Teil-
formen. Vielleicht ließen sich durch die Arbeitsteilung zwi-
schen Bildhauer und Gießer auch Schwächen in der Montie-
rung erklären, zum Beispiel beim Merkur das Vorkragen des
Baumstrunks über die Plinthe. Trotz dieser Einschränkunger
wird deutlich, daß die Bronze sich aufgrund ihrer differenzier.
ten Gestaltungsmöglichkeiten in besonderer Weise für Duques-
noys elegante, feingliedrige Jünglingsfiguren eignete. Durch die
subtile Oberflächengestaltung und die differierende Patinierung
von Figuren und Baumstrunk bzw. Plinthe konnte ihre kostbare
Erscheinung gesteigert werden.
Bellori fühlte sich in der ausschwingenden Bewegung des
Apollo an den sogenannten Antinous vom Belvedere erinnert
den Duquesnoy offenbar als mustergültiges Vorbild für die Dar-
stellung von Jünglingsfiguren ansah (siehe auch Kat. Nr. 56). In
der vorrangig einansichtig aufgebauten Komposition, dem
Stützmotiv und auch in der Zartheit der Körperformen erinnert
der Apollo jedoch auch an praxitelische Jünglingsgestalten. Das
Antlitz des jungen Gottes hingegen zeigt in seiner Weichheit
und lyrischen Stimmung geradezu weibliche Züge, die Duques
noys Heiliger Susanna verwandt sind.
In Kontrast zu der ausgewogenen Statuarik des Jünglings steht
der sich scheinbar schwerelos dem Stehenden zuwendende.
muntere Cupido, der voller Eifer die Kunst des Bogenschießens
erlernen will. Duquesnoys Kindergestalten waren seine eigent-
liche Spezialität, die ihm bei Zeitgenossen den Beinamen «fat-
tore di putti» einbrachten. Für Generationen von Künstlern dien:
ten Abgüsse von ihnen als Studienobjekte, gleichermaßer
begehrenswert waren sie für Sammler. Duquesnoys Putti zeich
nen sich durch die Natürlichkeit ihrer Erscheinung und die
Erfassung der bereits im Kindesalter ausgeprägten Individua
lität aus. Der mit Duquesnoy befreundete Biograph Joachim von
Sandrart betonte dessen «grosse Wissenschaft der nakender
Leiber» und hob besonders seine Kindergestalten hervor, «die eı
ganz anmutig und artig, als ob es natürliches Fleisch wäre.
gemacht... dann er dem Fleisch gleichsam ein bewegliches
Leben gegeben und den Kindern pratschete feisst und dick-
5ackete Milchmäuler mit Grübeln auf den Knien, Elenbogen
ınd Fingern gestaltet, der Natur so ähnlich, dass niemals auch
keiner von den antichen diese Natürlichkeit erreicht.»
Die beiden liechtensteinischen Figurengruppen veranschauli-
chen Duquesnoys als klassisch zu bezeichnenden Stil. Auf krea
tive Weise verarbeitet der Bildhauer Inspirationsquellen ver-
schiedener Art: in erster Linie die Antike, die der Antike
huldigende Malerei von Raffael bis Poussin, ausgewählte
Skulpturen des Manierismus, sowie Studien nach der Natur.
Aus stilistischen Gründen erscheint es eher überraschend, daß
die relativ einansichtig aufgebaute Apollo-Figur, wie Bellori
berichtet, zeitlich dem räumlich komplizierter komponierten
Merkur folgt. Der antikisierende Stil der beiden Jünglingsfigu-
ren führte dazu, daß man sie im 18. Jahrhundert als antik ansah.
Die damals in Wien aufbewahrten Bronzen dienten Georg
Raphael Donner als Vorbild für eine ideale Jünglingsgestalt in
Blei. Merkur darstellend, die sich in Klosterneuburg befindet.
V.K
Ausstellungen und Literatur: Seite 160