Kat. Nr. 48
Nach GIAMBOLOGNA (1529-1608)
«APOLLINO» (Rom, Modell um 1555-60)
Guß: Florenz, Werkstatt von Giambologna
Bronze, Vollguß, braune Patina, Reste dunkelbraunen Lacks
Höhe 14,2 cm
Inv. Nr. S 229
Erworben: 1881 durch Fürst Johannes II.
Eine extrem schlanke, nackte Jünglingsfigur, deren leicht erho-
benes rechtes Bein auf den Ast eines Baumstrunkes gesetzt ist,
stützt sich mit der rechten Hand auf einen Köcher, der senkrecht
auf dem Baumstrunk postiert ist. Zwischen der Hand und dem
Köcher breitet sich eine Draperie aus. Die gesenkte Linke hält
einen fragmentierten Bogen. Der leicht geneigte Kopf mit
Lockenfrisur ist nach links gewendet. Der Oberkörper ist stark
gedreht, die Hüfte lädt weit zur Seite aus.
Einen Schwerpunkt innerhalb der liechtensteinischen Bronzen-
sammlung bilden die Kompositionen Giambolognas, von denen
in der Ausstellung nur eine Auswahl gezeigt werden kann. Das
Spektrum der vorhandenen Güsse reicht von der Statuette des
«Apollino», die ein frühes Modell des Künstlers reproduziert,
über das prächtige kleinformatige Reitermonument Ferdinan-
dos I. (Kat. Nr. 52), bis hin zu mehr oder weniger dekorativen
Güssen nach seinen dramatischen Gruppenkompositionen (Kat.
Nrn. 49-51).
Bronzen Giambolognas gehörten zu Lebzeiten des Künstlers
und noch lange Zeit danach zu den beliebtesten Objekten für
höfische und bürgerliche Sammler. Von Giambologna selbst
ausgeführte Bronzen sind jedoch äußerst rar. Der Bildhaueı
verfügte über eine gut organisierte Werkstatt mit zahlreichen
Mitarbeitern, die dazu beitrug, daß sich sein Stil in ganz Europa
ausbreitete, Als Hofkünstler war Giambologna für die Medici
tätig, die seine Bronzen als diplomatische Geschenke an
europäische Herrscherhäuser schickten. Die meisten liechten:
steinischen Bronzen, die mit Giambolognas Namen in Verbin-
dung zu bringen sind, wurden von Fürst Karl Eusebius erwor-
ben und sind durch das Sammlungsinventar von 1658 auf Schloß
Feldsberg nachweisbar.
Giambologna, der 1529 in Douai im französischsprachigen
Flandern geboren wurde, brach um 1550, nach einer Ausbildung
bei Jacques Dubroeucq in Mons, nach Italien auf, um in Rom die
Kunst der Antike und Michelangelos zu studieren. Während
dieser Zeit soll er Michelangelo auch persönlich kennengelernt
haben. Damals soll sich jene Episode zugetragen haben, die im
Zusammenhang mit dem «Apollino» bedeutungsvoll erscheint.
Giambologna hatte dem betagten Michelangelo ein Wachs-
modell zur Begutachtung vorgelegt, das der Meister in einzelne
Stücke zerbrach und dann in abgeänderter Form wieder zusam
mensetzte. Michelangelo hatte an der Arbeit Giambolognas kri-
tisiert, daß die Ausführung zwar sehr sorgfältig sei, jedoch Män-
gel in der Komposition bestünden. Er gab dem jungen Bildhauer
den Rat, sich zuerst im plastischen Gestalten zu üben und dann
an die Ausarbeitung von Details zu gehen. Wenn auch der Wahr-
heitsgehalt dieser Überlieferung, die vom alten Giambologna
selbst stammt, zweifelhaft ist, so erscheint sie doch wie ein
Schlüsselerlebnis, denn das plastische Gestalten von Einzel.
figuren und mehrfigurigen Gruppen sollte sich fortan wie ein
roter Faden durch Giambolognas gesamtes Schaffen ziehen, wo-
bei der nackte menschliche Körper stets im Mittelpunkt stand.
Während seiner Studienjahre in Italien, in den fünfziger Jahren
des 16. Jahrhunderts, dürfte auch bereits das Modell des «Apol-
Uno» entstanden sein. Als weibliches Pendant schuf der Künst-
ler eine etwa gleich große Badende, die kompositionell eng ver-
wandt ist, sich jedoch mehr an antike Vorbilder anlehnt. Diese
kleinformatigen Arbeiten entstanden wohl ursprünglich ledig
lich zu Studienzwecken in Wachs oder Ton und wurden erst spä-
ter in dem dauerhaften Werkstoff Bronze gegossen.
Giambologna hatte sich mit diesen frühen Kompositionen ein
Formenrepertoire geschaffen, auf das er in seinen späteren
Arbeiten immer wieder zurückgreifen konnte. Der «Apollino»
diente als Vorbild für den 1573/75 entstandenen, etwa halble
bensgroßen Apollo, der im Studiolo von Francesco I. im Palaz-
zo Vecchio in Florenz aufgestellt wurde. Die im «Apollino»
festgelegte Grundkomposition des ausbalancierten, rhythmisch
bewegten Körpers mit vielfältig bewegten Gliedmaßen ließ
sich auch auf weibliche Darstellungen übertragen. So folgt zum
Beispiel die Allegorie der Astronomie, von der sich ein von
Giambologna signiertes Exemplar im Kunsthistorischen Mu-
seum in Wien befindet, in ihrem Aufbau beinahe spiegelbild-
lich der Jünglingsfigur. Ebenso konnte der «Apollino» durch
andere Attribute als Bacchus uminterpretiert werden, was eine
Bronzestatuette im Herzog Anton Ulrich-Museum in Braun-
schweig belegt.
In der äußerst detaillierten und sorgfältigen, geradezu gold-
schmiedehaften Oberflächengestaltung unterscheidet sich die
liechtensteinische Bronze von einer skizzenhaften, aus Medici-
Besitz stammenden Version im Bargello in Florenz, bei der es
sich offenbar um ein ausgegossenes Modellino handelt. Die
Fleischteile der liechtensteinischen Jünglingsfigur sind voll-
ständig mit feinen Hammerschlägen überarbeitet und der Baum-
strunk ist mit Kerben strukturiert. Diese fast pedantische Nach-
bearbeitung steht in gewissem Kontrast zu der lebendigen
Haargestaltung mit den großzügig geformten Locken. Im Unter-
schied zu dem Exemplar in Florenz ist der Köcher deutlich
erkennbar. Auch die Basis ist verändert; ihre fast quadratische
Form beeinträchtigt zwar ein wenig die Rundansichtigkeit der
Statuette, dennoch können von verschiedenen Seiten die Vor-
züge dieser «figura serpentinata» erschlossen werden. Deı
«Apollino» entspricht somit dem Ideal der mehransichtigen
Skulptur, wie es auch von Benvenuto Cellini in einem Traktat
von 1568 gefordert worden war.
Für den Guß der liechtensteinischen Bronze dürfte kaum Giam-
bologna selbst verantwortlich gewesen sein. Er läßt sich wohl
auf einen seiner Schüler und Mitarbeiter zurückführen. In der
Ausführung steht die Bronze einer ähnlich komponierten
Meleager-Statuette in der Berliner Skulpturensammlung sehr
nähe, die Giambolognas bereits 1574 verstorbenem Landsmann
Elia de Witte, genannt Candido, zugeschrieben wird. V.K
Ausstellung und Literatur: Seite 157/158