Geschichtliche Grundziige 8. Aussenpolitische Emanzipation Liechtenstein lief Gefahr, Trabant zu werden, erst Österreichs, dann der Schweiz. Anfang der 1970er Jahre hat Gerard Batliner auf den von ihm mit initiierten Wandel der liechtensteinischen Aussenpolitik von der bilateralen Ausrichtung auf die Schweiz zu einer multilateralen Aussenpolitik hinge wiesen.31 Zuvor schon hat der damalige Thronfolger und heutige Fürst Hans Adam am 12. September 1970 in einer öffentlichen Rede vor der Liechtensteinischen Industriekammer das Bild vom Ausstieg aus dem Rucksack der Schweiz geprägt.32 Gemeint war, wenn wir der Metapher fol gen, vermehrt zu prüfen, wie weit Liechtenstein den Weg wieder selber unter die Füsse nehmen, Wegweiser lesen, den kleinen Rucksack selber fül len und tragen und die Jausenstationen allein anpeilen könne. Die liechtensteinische Aussenpolitik hat sich seither in der Tat zusehends emanzipiert. Kontakte mit Österreich, der Bundesrepublik, dem Vatikan und zu inter- ünd supranationalen Organisationen sind vertraglich geknotet worden. Wegmarken sind etwa KSZE, Europarat, EMRK und Mitwirkung in der Europäischen Menschenrechtskommission. Der europäischen folgte die globale Emanzipation Liechtensteins 1990 mit dem flinken Stabhoch sprung in die UNO - unter Vermeidung des direktdemokratischeri Wässer grabens, in dem die Schweiz zuvor hängengeblieben war. Die Emanzipationsschritte betrafen indes vorerst rechts- und status sichernde Bereiche, sie berührten kaum sensitive Bezirke, nicht den "nervus rerum" - Geld und Wirtschaft - öder die Verfassung. Das Argument für den UNO-Beitritt, er koste ja nicht viel und verpflichte wenig, sprach dies unverhüllt aus. Seit die EG neuerdings ihren Ausbau forciert und die EWR- und EG- Verhandlungen laufen, ist die liechtensteinische Aussenpolitik auch im sensitiven Bereich unter neuen Entscheidungs- und Emanzipationsdruck geraten. Die bisherige Statussicherung erweist sich hierbei als clevere Vor ausstrategie. Emanzipation drückt sich jetzt in der Teilnahme an den EWR- 31 Gerard Batliner, Die völkerrechtlichen und politischen Beziehungen zwischen dem Für stentum Liechtenstein und der Schweizerischen Eidgenossenschart (Referat, gehalten an der Mitgliederversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitik m Bern am 9. Mai 1972), in: Beiträge zur liechtensteinischen Staatspolitik, hrsg. zum 50jährigen Beste hen des liechtensteinisch-schweizerischen Zollvertrages, LPS 2, Vaduz 1973, S. 21-48. - Ahnlich Georg Malin, Bemerkungen zu 150 Jahre Liechtensteinische Aussenpolitik, LPS 2, S. 49-55. - Gerard Batliner war liechtensteinischer Regierungschef von 1962 bis 1970, Georg Malin Regierungsrat von 1974 bis 1978. 32 Wortlaut der Rede des Thronfolgers im 'Liechtensteiner Volksblatt' und im 'Liechtenstei ner Vaterland', 15. Sept. 1970. 331