Historische Aspekte mächte in der Praxis auch weiterhin nicht daran dachten, ihre Priorität auf zugeben, mussten sie in der Theorie die quasidemokratische Gleichheit aller Staaten und Nationen respektieren. Nachdem die nationalen Bewegungen ihr Ziel erreicht und einen Nationalstaat gegründet hatten, hiess das im Prinzip, dass alle Nationen - wie alle Staatsbürger - ungeachtet ihres Reich tums und ihrer Bevölkerungsgrösse die gleichen Rechte besassen. Dieses Prinzip wurde nach dem Ersten Weltkrieg im Völkerbund und nach dem Zweiten Weltkrieg noch viel eindrucksvoller in den Vereinten Nationen institutionalisiert. In diesem breiteren Rahmen dürfen wir wohl zwei Verhaltensweisen der Kleinstaaten in den internationalen Beziehungen unterscheiden. Einerseits ist es die Neigung, sich mit der Rolle des Schwachen und Bedeutungslosen abzufinden und auf jede Ambition in den internationalen Beziehungen zu verzichten. Diese Tendenz scheint als Folge der oben erwähnten "Demo kratisierung" der internationalen Beziehungen in den letzten Jahrzehnten zurückzugehen. Andererseits erkennen wir immer stärkere Neigungen, die. ethische Dimension des Kleinstaats zu thematisieren. Es wird eine "öffentliche Mei nung" der internationalen Staatengemeinschaft aufgebaut, wobei die Klein staaten schon wegen ihrer grossen Anzahl die entscheidende Rolle spielen. Diese öffentliche Meinung bietet eine Schlichtung von Konflikten und gute Dienste bei Vermittlungen an. Auch wenn der Historiker nicht in die Zukunft extrapolieren sollte, wage ich zu sagen, dass gerade diese Rolle die Existenzberechtigung des Kleinstaats - wenigstens auf dem europäischen Kontinent - verstärkt. Um eine solche Rolle spielen zu können, muss der Kleinstaat weiterhin aussenpolitisch "klein", d.h. ohne Expansionsan sprüche und ohne Aggressivität nach aussen, bleiben und zugleich gewisse innenpolitische Kriterien auf dem Gebiet der Bürgerrechte und der Demo kratie erfüllen. Dieses Problem überschreitet jedoch den Rahmen meines Beitrags und meiner fachlichen Kompetenz. 245