Peter Häberle 3) Kleinräumigkeit und geringe Bevölkerungszahl als kulturanthropologische Determinanten des Kleinstaates (Ressourcenknappheit) Schon die Verfassungstextanalyse hat ergeben, dass der Kleinstaat sich durch eine detaillierte Fixierung des Staatsgebietes und seiner Grenzen aus zeichnet, auch wenn die wissenschaftliche Literatur gegenüber der gebiets- mässigen Grösse als Merkmal eher skeptisch ist und lieber die Bevölkerung zum Unterscheidungskriterium wählt. Es gibt anschauliche Textbeispiele dafür, dass das Staatsgebiet in den klassischen Symbol-Artikeln - neben Sprache, Hymnen, Flagge - seinen hervorgehobenen Platz hat und dass Gebietsabtretungen entweder ganz ausgeschlossen oder nur unter erschwerten Bedingungen (2A-Mehrheit) möglich sind. Mitunter werden Wirtschaftszonen bzw. durch eine etwaige Insellage bedingte Zonen u. ä. schon verfassungstextlich festgelegt. All dies zeigt, dass Gebiet bzw. Raum als constituens des Kleinstaates den hohen Stellenwert schon vom Verfas sungstextgeber eingeräumt wird, der ihnen im "Kleinstaat" naturgemäss zukommt. Ohne derartige Textaussagen zu Gebiet und Raum verabsolutieren zu wollen, sei doch im Kontext der geringeren Bevölkerungszahl von "Klein staaten" an dieser Stelle eine kulturelle Verfassungstheorie des - bewohnten - Raumes skizziert. Sie gilt ganz allgemein für den Typus Verfassungsstaat, besitzt aber bei Kleinstaaten ihre spezifischen Ausformungen. a) Gebiet und Raum als Elemente einer kulturwissenschaftflichen Verfas sungslehre aa) Vorüberlegungen: die Verfassungslehre im Gespräch mit Geowissen- schaften Die Verfassungslehre ist von vorneherein darauf angewiesen, sich die von vielen Einzelwissenschaften aufbereiteten Materialien zu integrieren. So "selbständig" sie dabei bleiben muss, so offen sollte sie gleichwohl sein. Das gilt für ihr Verhältnis z.B. zur Nationalökonomie und eben auch - im Blick auf Gebiet und Raum - in bezug auf die hierfür primär zuständigen Diszi plinen: die (politische) Geographie, die Geopolitik und die sog. Raumfor schung. Das interdisziplinäre Gespräch steht hier noch am Anfang. Der Gegenstand der "Politischen Geographie" wird wie folgt umschrieben: "Entscheidungen und Handlungen innerhalb eines politischen Systems, soweit sie aufgrund räumlicher Gegebenheiten zustande kommen und/oder 164