Mit Geduld und Glaubenskraft
den letzten Leidensweg durchgestanden
an
Predigt von Diözesanbischof Dr. Johannes Vonderach während dem Begräbnisgottesdienst
Viel Bemerkenswertes und Tiefsinni-
ges, viel Ehrenvolles und Liebreiches
wurde in den Tagen nach dem stillen
Heimgang Ihrer Durchlaucht Fürstin Gi-
na von Liechtenstein über diese beein-
druckende Persönlichkeit geschrieben
und ausgesprochen. Dies wiederholen
oder ergänzen zu wollen, widerspräche
dem ausdrücklichen Wunsch der lieben
Verstorbenen, wonach bei den Beiset
zungsfeierlichkeiten keine Traueranspra-
chen gehalten werden sollen. Das allein
schon bezeugt einen Wesenszug der all
seits beliebten und überall geschätzten
Heimgegangenen, nämlich deren persön-
liche Bescheidenheit und Einfachheit.
Mit der daraus erkennbaren Gesinnung
und Haltung macht Fürstin Gina gleich-
sam selbstredend deutlich, dass — mit den
Augen des Glaubens gesehen — unseı
eigentliches Leben «mit Christus verbor-
gen in Gott» (Kol 3,3) ist.
So Vielfältiges und Bedeutsames man
auch über einen Menschen zu bekunden
vermag, es wird immer gelten, was der
Völkerapostel Paulus an die Kolosserge-
meinde schreibt: «Richtet euren Sinn aui
das Himmlische und nicht auf das Irdi-
sche! Denn ihr seid gestorben, und eueı
Leben ist mit Christus verborgen in
Gott» (Kol 3,2-3). Dies sagt der Aposte!
von den Lebenden, von den Getauften,
von jenen Gläubigen also, die sich vom
auferstandenen und erhöhten Herrn ge:
winnen liessen, ja sich von Ihm imme:
neu anziehen und überwältigen lassen
Es gehört auch zur Verborgenheit eines
Lebens mit Christus in Gott, dass diese
Ergriffenheit durch den Herrn nicht im:
mer und überall einsehbar ist, selbst
wenn stets gilt, dass im Leben eines Ge-
tauften das Leben des Auferstandenen
sichtbar werden soll. Denn durch die
Taufe sind wir mit Christus gestorben
und auferstanden. Solange wir freilich
auf unserem irdischen Pilgerweg wan-
deln, ist dieses neue Leben, dem Ewig-
keit verheissen ist, noch nicht «in Herr-
lichkeit» (Kol 3,4) offenbar geworden.
Dies geschieht erst, wenn wir nach einem
von Glaube, Hoffnung und Liebe erfüll-
ten Leben die Schwelle des Todes über-
schritten haben und in Gottes Ewigkeit
eingegangen sind.
Diesen Heimgang — in aller Stille und
Ergebenheit — durfte die hochverehrte
Landesmutter Fürstin Gina am vergange-
nen 18. Oktober, kurz nach einer letzten
Begegnung mit ihrem lieben Gemahl
Seiner Durchlaucht Fürst Franz Josef II.,
erleben. Mit der inneren Stärke eineı
wahren Frau und Mutter hat Fürstin Gi-
na ihren letzten Leidensweg durchgestan-
den; mit grosser Geduld und Glaubens-
kraft hat sie ihre Schmerzen ausgehalten
und aufgeopfert. Solches gehört zu jenem
Leben, das mit Christus verborgen ist ip
Gott. Die innigste Verbindung mit dem
Erlöser Jesus Christus vollzieht sich gera-
de im Leiden und Sterben. So war es
auch bei Maria, der Mutter des Herrn,
die unter dem Kreuze stand und die uns
der göttliche Sohn eben vom Kreuze her-
ab zur Mutter gegeben hat.
Papst Johannes Paul II. hat vor vier
Jahren hier in dieser Pfarrkirche von Va-
duz bei seiner Begegnung mit kranken
vehinderten und betagten Menschen ge
sagt: «Das Bild der Schmerzensmutter is‘
uns allen vertraut und tief ins Herz einge
prägt: Der tote Leib des göttlichen Soh-
nes liegt auf dem Schoss seiner trauern-
den Mutter, aus dem er hervorgeganger
‚st. Marias mütterliches Herz ist vom
Schmerz durchbohrt; denn niemand steh‘
dem Sohn so nahe wie die eigene Mutter
Der himmlische Vater aber, der der
Menschen auch in der äussersten Be
drängnis nicht verlässt, hat der Mutte:
Jesu die Kraft geschenkt, unter dem
Kreuz auszuharren und das Leiden ihres
Sohnes zu teilen ... Um Christi willen
ıngenommenes Leid ist immer heilbrin-
zendes Leid. Ihr wisst, was der hl. Paulus
- selbst einer, der viele Leiden und Wi
jlerwärtigkeiten zu ertragen hatte — sagt.
um diese heilbringende Kraft des Leidens
zu erklären: «Für den Leib Christi, die
Kirche, ergänze ich in meinem irdischen
Leben das, was an den Leiden Christi
noch fehlt» (Kol 1,24). Ja, so müssen wir
als gläubige Christen versuchen, den Sinn
und die Würde des menschlichen Leidens
zu verstehen und zu leben» (Ansprache
am 8. September 1985). Diesem Auftrag
‘at Fürstin Gina, die stets auf den für-
;orglichen Beistand Marias, der «stärke-
en Mutter», vertraute, gerade auf der
etzten Wegstrecke ihres irdischen Le
»ens zu entsprechen gesucht. Ihr stilles
Leiden ist — so lehrt es uns die gläubige
Einsicht — verborgen mit Christus und
;einer Mutter in Gott, und dies zum Se-
zen für die Fürstliche Familie, für Land
und Volk von Liechtenstein.
Zu den Frauen, von denen wir im heu-
tigen Österlichen Evangelium vernom
men haben, sagt der Engel: «Ich weiss,
;:hr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist
nicht hier; denn er ist auferstanden, wie
2r gesagt hat» (Mt 28,5-6). Dieses Wori
ıat gerade für den, der die Prüfung unc
3ewährungsprobe des Leidens und Ster-
Jens durchsteht, eine tiefe geistliche Be-
deutung in sich, die zum Trost für alle
wird. Der gläubige Mensch, der mit Je-
zus, dem Gekreuzigten, zusammen leide:
ınd stirbt, hält dies deswegen aus und
Jurch, weil er weiss, dass auf Leiden und
[od Auferstehung und ewiges Leben fol-
zen. Das christliche Grundbekenntnis
«Er (Christus) ist von den Toten. aufer-
;tanden» (Mt 28,7) mündet in die Glau-
Dvensgewissheit. dass der Herr wahrhafli
lebt und uns an seinem göttlichen Leben
ceilhaben lässt. Somit ruft der Auferste-
aungsengel, der mächtige Bote Gottes,
den Frauen am Grab und damit uns allen
zu: «Fürchtet euch nicht!» (Mt 28,5).
Dieses tröstliche «Fürchtet euch nicht!
[ch bin es», das Christus selber den ver:
ängstigten und bangenden Menschen zu-
;pricht, durfte Fürstin Gina eben in der
Todesstunde, die wie jede Todesstunde
jelber noch einmal mit Christus in Gott
verborgen ist, an sie gerichtet wissen.
«Fürchtet euch nicht! Ich bin es» — das
spricht der auferstandene Herr immer
aeu zu uns, um uns von Lebensangst und
Todesangst zu befreien. An uns ist es,
zeine tröstliche Stimme zu hören und sei
nem tröstlichen Wort zu glauben.
Von Bischof Johann Michael Sailer,
einem grossen Seelsorger des 19. Jahr-
hunderts, stammt das geistliche Wort:
«Zittere nicht vor dem Rauschen des To-
des-Engels. Denn für dich hat er nur
weisse Flügel, die dich eilends heimtra-
gen in das Land des ewigen Lichtes» (SW
10,502). Solch österliche Sicht des Ster-
bens setzt voraus, dass wir an das Pascha-
mysterium glauben, an jenes Geheimnis
jes Todes und der Auferstehung Jesu
Christi, das auf wunderbare und heilsame
Weise in der heiligen Eucharistiefeier ge-
genwärtig wird. In ihr fehlen Gedenken
und Gebet für die Verstorbenen nie. In
ıhr verbinden wir uns fürbittend mit je-
aen, die uns im Glauben vorausgegangen
ind, heute ganz besonders mit Fürstin
Sina, deren Leben — bereits durch die
Taufe mit Christus verborgen in Gott —
sich nun in der ewigen Herrlichkeit voll
ends entfalten möge.
Seiner Durchlaucht Fürst Franz Josef
.I., der gesamten Fürstlichen Familie, dem
Land und Volk von Liechtenstein sowie
allen, die um die liebe Verstorbene trau-
ern, spreche ich mein und meiner Mitbrü-
der im Bischofs- und Priesteramt herzli-
ches Beileid aus. Überdies darf ich Ihnen
die Kondolenz Seiner Heiligkeit Papst
Johannes Pauls II. übermitteln, die folgen-
ien Wortlaut besitzt: «In Betroffenheit
über die Nachricht vom Heimgang Ihrer
Durchlaucht Fürstin Gina von Liechten-
‚tein spricht der Heilige Vater Seiner
Durchlaucht Fürst Franz Josef II., allen
Mitgliedern der Fürstlichen Familie, den
Behörden und allen Bürgern von Liech-
:enstein seine tief empfundene Anteilnah-
ne aus. Mit einem besonderen Gedenken
im Gebet für die ewige Vollendung der
verdienten Verstorbenen in Gottes Licht
und Frieden erteilt Seine Heiligkeit Seiner
Durchlaucht Fürst Franz Josef XI. mit
seiner Familie sowie allen, die um die
verehrte Landesmutter trauern, in der
christlichen Hoffnung auf die Auferste-
hung von Herzen den Apostolischen Se-
sen» (Telegramm vom 20. 10. 1989).