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ein Punktedasein. Die Kartographen geraten in Verlegenheit, denn
um das Land mit seinem vollen Namen zu bezeichnen, müssen sie
österreichisches oder schweizerisches Gebiet «annektieren». Frage:
Wie soll ein Staat, der zu klein ist, um seinen Namen auf sein eigenes
Hoheitsgebiet zu schreiben, eine Außenpolitik betreiben? Ist er nicht
ein kleiner Gernegroß?
Ein zweites: Am Länderspiel um die Fußballeuropameisterschaft zwi
schen der Schweiz und England in Basel waren 56.000 Zuschauer an
wesend, rund- zweieinhalbmal die Einwohnerzahl Liechtensteins.
Frage: Wie kann ein Land eine aktive und selbständige Außenpolitik
gestalten, dessen gesamte Bevölkerung nicht einmal einen stimmungs
vollen Rahmen für ein Fußballänderspiel abgeben würde?
Spätestens hier wird man mir entgegenhalten, daß dies eine tenden
ziöse Fragestellung sei, und darauf hinweisen, daß sich das Gewicht
eines Staates nicht nur aus Größe und Bevölkerungszahl herleitet.
Neben den genannten würden auch staatspolitische, wirtschaftliche,
kulturelle und historische Faktoren die Geltung eines Staates in der
Weltöffentlichkeit bestimmen. — Die beiden zufälligen Beispiele soll
ten jedoch nur als Hinweis darauf dienen, welche psychologischen und
politischen Hemmnisse (um nicht von Komplexen zu reden) dem
Denken an die Möglichkeit und sogar Notwendigkeit einer liechten
steinischen Außenpolitik entgegenstehen.
IV. Dabei habe ich nur nach dem «Wie» gefragt und die zweifellos
fundamentalere Frage nach dem «Ob überhaupt» vernachlässigt.
Nicht ohne Grund und in der Meinung, daß diese Frage in den vor
angegangenen Referaten dieser Reihe ausreichend geklärt worden sei.
Es kann kein Zweifel mehr darüber bestehen: Liechtenstein befindet
sich heute in einer Phase seiner Geschichte, wo es gilt, sich gegenüber
dem Ausland zu profilieren. Liechtenstein wird, davon bin ich über
zeugt, den Beweis seiner staatlichen Substanz anzutreten haben.
Glaubwürdigkeit wird einem nicht ohne weiteres geschenkt. Und da
mit, daß Liechtenstein von anderen Staaten und internationalen Or
ganisationen für «voll» genommen wird, damit steht und fallt jede
Art von außenpolitischer Aktivität.
Diese Aussage gilt ungeachtet der bevorstehenden Verhandlungen der
nichtbeitrittswilligen Länder, darunter der Schweiz, mit der EWG
betreffend die Errichtung einer Freihandelszone zwischen EWG und
dem Rest der EFTA. Die bisherigen politischen Gepflogenheiten legen
die Vermutung nahe, daß auch Liechtenstein schlußendlich in irgend
einer Weise auf diesen Zug aufspringen wird, der Ende 1972 an
seiner Endstation, der Freihandelszone, anlangen soll. Dieser wirt
schaftliche Weg der Schweiz wird wohl auch der Weg Liechtensteins