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ständnis für den kleinen Staat an sich im Schwinden ist und die In
tegrationsentwürfe Strukturen aufweisen, die dem Kleinen gegen
über nicht viel Rechnung tragen.
Es gibt daher Vereinzelte, die meinen, Liechtenstein könne der welt
weiten Konfrontation entgehen, wenn es sich, ohne sich zu rühren,
hinter dem Rücken irgendeines anderen verstecke. Sosehr auch die
Dinge in Fluß sind, mit erweiterter politischer Integration endete dies
mit der Zeit bei einem partiellen protektoratsnahen, ja, da kein Zu
rück mehr gegeben ist, möglicherweise bei einem noch schwächeren
Status. Ein Schweizer Wochenmagazin (Sonntagsjoumal vom 3./4.
Juli 1971) brachte neulich einen Aufsatz mit dem Titel «Kanton
Liechtenstein?». Danach führt politisch eine Einbahnstraße in die
Eidgenossenschaft. Wiewohl so ein Weg entschiedener wäre als die
Variation eines partiellen protektoratsähnlichen Status, bin ich über
zeugt, daß die Schweiz zuallerletzt so etwas wollte. Neulich standen
in der «Tribüne der freien Meinung» 15 ) auf einen vorausgegangenen
Artikel, wonach Liechtenstein nicht auf ein Fait accompli aus Brüs
sel warten und sich selbst für seine Position rechtzeitig einschalten
sollte, als Antwort folgende Sätze: «Ich frage mich, ob es sinnvoll
ist, nach fünfzigjähriger, immer engerer Bindung an die Schweiz, das
Rad der Geschichte wieder zurückdrehen zu wollen. Wenn wir uns
plötzlich wieder auf unsere Eigenständigkeit besinnen, machen wir
aber nichts anderes.» Dazu kann man nur sagen: Niemand dreht das
Rad zurück, das europäische Rad dreht sich auch ohne uns vorwärts,
doch jeder Schweizer Kanton hätte selbst im innerschweizerischen
Raum für eine derart minimalistische Haltung nur Verachtung übrig.
Schon 1396 durch die Grafschaft Vaduz reichsunmittelbar, wurde
unser Land nach zwei Jahrhunderten ausgeprägter demokratischer
Landammannseinrichtungen 1719 Reichsfürstentum und ist seit 1806
voll souverän. Es stellt den europäischen Staaten ein gutes Zeugnis
aus, daß dieses inmitten Europa gelegene Land seit Erlangung der
Souveränität nie okkupiert oder in Kriege einbezogen wurde. Trotz
dem hatte Liechtenstein außenpolitisch schwere Zeiten zu bestehen,
als Mitglied des Deutschen Bundes, besonders auch während der Welt
kriege. In der Römerzeit an einer bedeutenden kulturellen und stra
tegischen Straße liegend, wurde dieses Land im Mittelalter zu oft
heimgesuchtem Grenzgebiet. Rhein, Rüfen (Wildbäche) und Föhn
(Feuersbrünste verursachend) galten als die «drei Landesnöte». Es
gab keine Städte, keinen Adel, kein begütertes Bürgertum, nur Klein-
1S ) L iechtensteiner Volksblatt vom 25.9. 1971.