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von Einheiten verminderter Staatlichkeit (etwa ohne Stimmrecht)
einreihen sollte, sofern sie ihre völkerrechtlichen Beziehungen nicht
selbst hinreichend wahmehmen. Bekannt sind die Bestrebungen in
der UNO, besonders von westlicher Seite, die Zwergstaaten (allerdings
entgegen den erfolgten Beschlüssen zur Aufnahme von Mitgliedern
wie der Malediven, neuestens von Bahrain und Katar) von der UNO
fernzuhalten oder für sie einen schlechteren Status einzuführen 4 ). Von
den kleinstaatlichen Problemen in der EFTA und der EWG wollen
wir hier nicht reden. Hinzu kommt eine gewisse Einseitigkeit oder,
wenn Sie wollen, Eindimensionalität des Denkens; internationale Be
ziehungen werden einseitiger als früher vom quantitativen strategi
schen und wirtschaftlichen Gewicht bestimmt. «Wieviel Divisionen
hat der Papst?» lautet die Frage (Stalin); und weil die Sorge um
Wachstum und Verteilung des Sozialprodukts zusehends zu einem
Hauptgeschäft des Staates 5 ) wird, herrscht ökonomisches Gewicht
immer mehr in den zwischenstaatlichen Belangen. Aber solange es
noch Aufgabe jeden Staates ist, die menschlichen Werte allgemein zu
schützen und zu sichern, hat auch der Kleinstaat einen Sinn: denn
er ist besonders geeignet, der Befreiung und der Freiheit und der Ent
faltung der menschlichen Person zu dienen. Dennoch müssen wir die
Fakten nehmen wie sie sind. Neu ist vor allem die Hinwendung zum
Multilateralismus, in Europa teilweise gar zur Blockbildung.
Dies betrifft auch Liechtenstein. Zwar stand unser Staat schon ein
mal in multilateraler Konfrontation in den ersten sechzig Jahren sei
ner Souveränität bis 1866. Trotz Phasen enormer Gefährdung und
*) Bestellung eines Expertenausschusses des Sicherheitsrates zur Prüfung des Problems der Mikro
staaten aufgrund von Anträgen des US-Botschafters Yost: unter dem offiziellen Titel: «Committee
of Experts Established by tne Security Council at its ijofith Meeting on 29 August 1969.» Vgl.
Dieter Ehrhardt, «Mikrostaaten als UN-Mitglieder?» in Zeitschrift Vereinte Nationen, Bonn,
August 1970, Seite 111 ff. Demgegenüber zusammengefaßt wiedergegebene Bedenken gegen die Aus*
Schaltung der Mikrostaaten in: Jacques Rapoport, Ernest Muteba and Joseph J. Therattil,
UNITAR Study, Small States & Territories Status and Problems, New York, 1971, Seite 14 f.
(in Obersetzung): «Es sei betont worden, daß die Vereinten Nationen nicht eine Weltregierung
seien und daß die Generalversammlung nur Empfehlungen machen könne, deren wirkliche Kraft
im Gewicht der universellen internationalen öffentlichen Meinung liege. Je universeller daher die
Teilnahme in den Vereinten Nationen, umso besser, selbst wenn die Teilnahme auf dem Prinzip
souveräner Gleichheit weithin ungleicher Staaten, einschließlich Ministaaten, beruhe. Die Charta
enthält einen eingebauten Schutz gegen die Mehrheitsherrschaft der Generalversammlung für jene
wichtigen Angelegenheiten, welche zum Kompetenzbereich des Sicherheitsrates gehören. — Es ist
auch behauptet worden, daß kleine Staaten ein Aktivum für internationale Organisationen sind,
gerade weil sie klein und schwach sind, und daß ihr Überleben als unabhängige Einheiten mehr
von der Respektierung des internationalen Rechts und der Praktizier«!«.* internationaler Zusam
menarbeit abhängt, als es für größere Staaten der Fall ist», oder Erklärung des Premierministers
von Lesotho vom 25. 9. 1967 in der Generalversammlung der UNO, in vorzitierter UNITAR
Study, Seite 1$ (in Obersetzung): «Darf ich bei diesem Stand wagen, für alle kleineren Staaten
einschließlich jenen zu sprechen, welche neulich irgendwie abschätzig als Ministaaten kategorisiert
worden sind. Implizit enthält diese Beschreibung die Anregung, daß sie keinen Platz in der inter
nationalen Gemeinschaft haben und daß sie fortan die Souveränität und nationale Identität auf
geben und die Inkorporation in etwelche große politische Einheit akzeptieren sollten. Ich habe
drei Bemerkungen zu solcher Auffassung zu machen. Die erste ist, wie ich schon angezeigt habe,
daß mein Volk nicht für mehr als hundert Jahre gekämpft hat, um Anonymität und Vergessenheit
zu erlangen. Zweitens glaube ich, daß eine solche Sicht nicht wahrheitsgetreu die gemeinschatt-
liche Meinung dieser Versammlung wiedergibt und daß sie den Geist und die Absicht der Charta
verletzen würde. Drittens glaube ich, daß kleinere Staaten einen spezifischen und lebenswichtigen
Beitrag im Feld internationaler Beziehungen anzubieten haben.»
s ) Heinrich Schneider, «Europapolitik am Wendepunkt», in; Wort und Wahrheit, 1971/4, Seite / M-