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Kleinstaat haben wir die von Gerard Batliner dargestellten politi
schen Strukturen; doch im Zeitalter numerischen Wägens dürfen die
Gefahrenquellen nicht übersehen werden. Sie liegen im Staat selbst,
der, ob der Angst, nichts zu sein, Staatsbewußtsein und Profil ver
liert.
Was sagt die Geschichte zu unserem Staatsbewußtsein? Die Ge
schichte des 19. Jahrhunderts beantwortet die Frage zureichend. (Ich
verweise in diesem Zusammenhang auf die Dissertation von Quade-
rer und von Geiger.) Vorerst die beinahe kabarettistische Situation,
in der Napoleon Liechtenstein die Souveränität gewährte, ohne daß
sie gewünscht wurde. Aus der Souveränität erwuchsen vorerst nur
Nachteile: menschliche und wirtschaftliche Opfer. Als Vorarlberg
1809 sich gegen die Franzosen erhob und unterlag, gingen die Ge
rüchte um, Liechtenstein werde zu Bayern geschlagen. Zwar verstand
Fürst Johann I. vortrefflich, seinen Status als souveräner Fürst am
Wiener Kongreß, im Deutschen Bund und in der Heiligen Allianz
ins Spiel zu bringen, doch lebte das Volk, politisch entrechtet, in
größter Armut. Selbst Peter Kaiser konnte sich vorerst nicht von der
Idee einer größeren deutschen Nation, in welcher Liechtenstein als
beschränkt autonomes Gebilde leben sollte, lösen. Ja, er zweifelte
sogar zeitweilig am Sinn eines souveränen Fürstentums. «Wenn das
Ländlein nichts Eigenthümliches hat.. ., ist es dann nicht besser, es
sei ganz österreichisch?» Nach der Rückkehr aus Frankfurt riet Kaiser
seinen Landsleuten, nach Unabhängigkeit zu streben, soweit es die
Bundesverfassung zulasse. Fürst Alois II. befürchtete, daß eine liech
tensteinische Selbständigkeit im Deutschen Bund zum «Fluche für
Kleine Staaten» werden könnte, und der Fürst wollte die Selbstän
digkeit nur soweit wahren, als das Land Wert auf Selbständigkeit lege.
Dr. Schädler, Kaisers Nachfolger in Frankfurt, stand in der Bundes
versammlung einer Woge von Mediatisierungsplänen der Kleinstaaten
gegenüber. Schädler erkannte in Liechtenstein den «Mangel an Stoff
und Kraft», um einen Staat zu bilden.
Die stete Infragestellung unserer Souveränität ist auch für die zweite
Hälfte des 19. Jahrhunderts bezeichnend. Bald hieß es, Liechtenstein
werde schweizerisch, bald österreichisch. Die numerische und quan
titative Bedeutungslosigkeit Liechtensteins waren denn auch ein
wesentlicher Grund für die Verweigerung der Aufnahme Liechten
steins in den Völkerbund. — Die in der Geschichte wurzelnden An
schlußbestrebungen erreichten vor und während des letzten Welt
krieges einen gefährlichen Punkt.
Aus der kurzen Skizze können wir folgern: Gefährdung unserer
Staatlichkeit von außen durch utilitaristische, wirtschaftliche und ideo