Volltext: Fragen an Liechtenstein

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Auch blieb die großdeutsche Idee hierzulande lange lebendig; im 
Bund sah man das gemeinsame Vaterland. Bis vor wenigen Jahren 
hieß es in unserer Nationalhymne, die Mitte des 19. Jahrhunderts ent 
standen ist: «Oben am deutschen Rhein lehnet sich Liechtenstein» 
und «Dies liebe Heimatland im deutschen Vaterland». Und mangeln 
des staatliches Bewußtsein verführte unsere Nazis noch vor wenigen 
Jahrzehnten «heim ins Reich». 1868 wurde das Militär aufgehoben. 
Es war das einzig Richtige, und zwar uneingeschränkt. Und doch 
ging etwas verloren: das gewaltige Opfer, das die militärische Ver 
teidigung fordert, führt in einem Staat zu einer ständigen Ausein 
andersetzung darüber, wofür solche Opfer gebracht werden, was ver 
teidigt werden soll und vielleicht auch gegen wen. 1920 scheiterte un 
sere Aufnahme in den Völkerbund hauptsächlich daran, daß die 
militärische Selbstverteidigung fehlte. Die UNO ist hier, in ihrer 
Praxis wenigstens, moderner. 
Die dem Zusammenbruch des deutschen Bundes folgende abwech 
selnde vertragliche Anlehnung an Österreich und an die Schweiz mit 
deren nachbarlichen, rücksichtsvollen Wohlgesinntheit enthob un 
seren Staat der äußeren Sorgen. Die Schlagbäume sind beseitigt. Nur 
einmal in den vergangenen 100 Jahren mußte sich Liechtenstein klar 
abgrenzen* von 1938 bis 1945. Jene gefährlichen Jahre bewirkten zu 
mindest ein negatives Staatsbewußtsein: wir wußten, daß wir nicht 
Deutsche waren. 
Das Bild unseres Staates, das aus der verantwortlichen Landespresse 
spiegelt, ist eher schütter. Das wirklich eigene Privatrecht ist das Ge 
sellschaftsrecht. Doch dieses ist ohne Ethos, weil es nahezu alles er 
laubt. Auf Exportprodukten und den Lastwagen, die sie ausführen, 
wird vermieden, den Namen FL zu oft zu gebrauchen. Und der 
Liechtensteiner im Urlaub schreibt nicht selten auf seine Postkarte 
nach Hause «via Svizzera» oder gar «Switzerland». Stellen Sie sich 
einen Schweizer vor, der seinen Brief aus dem Ausland adressiert: 
«Appenzell Innerrhoden via Germania.» 
Ein bemerkenswertes a-staatliches Denken verriet auch (1969—1970) 
die Auseinandersetzung um den Finanzausgleich — manchmal schien 
es, als ob der Staat unser großer Gegner wäre. Als Liechtenstein am 
10. November 1970 zur Eröffnung der exploratorischen Gespräche 
der Neutralen in Brüssel nicht antrat, ja nicht einmal genannt wurde 
(man spricht heute nur von den drei Neutralen Schweiz, Österreich 
und Schweden) schilderte Georg Malin das Groteske unserer Haupt 
aktivitäten in einem Aufsatz im Volksblatt vom 5. Dezember 1970: 
«Man muß die Ereignisse vom vergangenen November (gemeint un 
sere Absenz in Brüssel vom 10. November) .. . von ihrer politischen
	        

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