Gustav Klimt (1862-1918)
Studie zum Bildnis Margaret Stonborough- Wittgenstein, 1904/05
Bleistift
54,8 X 38,8 cm
Bez. u. r.! GUSTAV KLIMT
Strobl 1274
LSK 69.42
Als die Familie Wittgenstein — wahrscheinlich im Verlauf des
Jahres 1904 — Gustav Klimt mit dem Bildnis der jüngsten Toch-
;er betraut,' befinden sich bereits das 1903 in der Secession erst-
mals ausgestellte Gemälde Das Leben ein Kampf (Der Goldene
Ritter) und vermutlich mehrere Zeichnungen des Künstlers in
ihrem Besitz. Wertschätzung steht also im Hintergrund des Auf-
Tags; ein Umstand, der gerade zu jenem Zeitpunkt nicht selbst-
verständlich ist, da der Skandal um die Fakultätsbilder für die
Aula der Wiener Universität 1905 mit deren Rückkauf durch
Klimt und seinem endgültigen Verzicht auf den Auftrag eska-
liert. Das damit verbundene völlige Versiegen von Staatsaufträ-
gen stellt eine Zäsur im Schaffen Klimts dar. Zudem leitet sein
Austritt aus der von ihm mitbegründeten Secession einen all-
mählichen Rückzug aus der Öffentlichkeit ein. Obgleich Klimt
in dieser Zeit zu einem der gefragtesten Porträtisten der Wiener
Gesellschaft avanciert, lösen die Ereignisse eine Krise aus, die
n den nachfolgenden, von einer Sehnsucht nach Harmonie
durchdrungenen «goldenen Stil» mündet und die sich auch ir
der Arbeit am Porträt von Margaret Wittgenstein niederschlägt.
Das lebensgrosse Bildnis der 24jährigen Frau, das Klimt Ende
‚905 vollendet,* entwickelt er aus einer Reihe von Entwürfen.
3is auf fünf Zeichnungen, welche sie sitzend zeigen, stellt Klimt
die junge Frau als Gewandfigur stehend dar. Das Blatt der
Liechtensteinischen Staatlichen Kunstsammlung gehört zu den
36 bisher publizierten Studien zum Gemälde, die alle die Suche
nach einer adäquaten Haltung verraten. In Kopf- und Armhal-
tung, den wichtigsten Ausdrucksträgern von Klimts Frauenpor-
träts, entspricht es am ehesten dem ausgeführten Bild.“
Die Skizze besticht durch den harmonisch gleitenden, die Verti-
kale betonenden Linienfluss und das Fehlen jeglichen Drucks
auf das Papier. Der auch anderen Porträtskizzen eigentümliche
Mangel an Raum tritt hier in der Überlänge der Gestalt in Er-
scheinung, welche den Rahmen des Blattes sprengt. Wegen der
Beschneidung des Kleidersaumes fehlt eine klare Standfläche.
Halt wird dem Körper durch scheinbare Verwurzelung mit dem
Grund verliehen. Dieser Eindruck des Verwachsenseins vermag
den Hinweis neuerer Forschung auf die «Vegetabilisierung» des
Klimtschen Menschenbildes zu unterstützen.*
Beim Bildnis der Muse oder — wie im vorliegenden Fall — beim
offiziellen Porträt der Mäzenin arbeitet Klimt mit formalen Mit-
teln der Überhöhung. Durch Untersicht wird der Blick leicht
von oben auf den Betrachter gerichtet, die extreme Länge be-
wirkt ein stolzes, Distanz forderndes Sichaufrichten. Gerade
auch der Unterschied zwischen dem Gemälde und dieser Studie
verdeutlicht, dass Klimt den von ihm porträtierten Frauen oft
etwas Hoheitsvolles und — durch die Einbindung in die orna-
mentale Form — einen exklusiven Status verleiht. Diese Merk-
male des Bildnisses stuft die Familie Wittgenstein als «raffiniert
und elegant, ja mondän» ein und lehnt das Werk als nicht gelun-
gen ab.‘ Trotz seiner Versicherung, dass das Bild «als «Porträt»
noch gut werden soll», kann Klimt die in ihn gesetzte Erwar-
tung nicht erfüllen. Er beharrt auf seiner Interpretation. Diese
aber «erweckt Zweifel an der These von einem «Abbild» gesell-
schaftlicher Wirklichkeit durch das Porträt» und scheint zu be-
stätigen,* dass Klimt «weniger Porträtist [ist] als ein Maler, der
Jamenbildnisse im Sinne eigener Allegorien» gestaltet. Die Por-
träts stellen seine eigene, durch die «jeweilige Persönlichkeit ge-
filterte Auffassung der Frau» dar.? M.S
Vgl. Strobl, Alice: Gustav Klimt. Die Zeichnungen, Bd. II, 1904-1912. Salzburg,
1982, S. 35 f.; Zaunschirm, Thomas: Gustav Klimt. Margarethe Stonborough:
Wittgenstein, Ein österreichisches Schicksal. Frankfurt a.M., 1987. S. 16 1
Strobl, wie Anm. 1, S. 40.
Vgl. ebd., S. 36 f.; Strobl, Alice: Gustav Klimt. Die Zeichnungen, Bd. IV, Nachtrag.
1878-1918. Salzburg, 1989, S. 142 f.
Strobl, wie Anm. 1, S. 40, Komm. zu Nr. 1274,
Vgl. Weidinger, Alfred: Der Landschaftsmaler. In: Gustav Klimt. Ausst.-Kat. Kunst
2aus Zürich. Stuttgart, 1992, S. 53 f.
Wittgenstein, Hermine, zit. nach Zaunschirm, wie Anm. 1, 5. 56.
‘Jndatierter Brief an den Vater von Margaret, Karl Wittgenstein, in: Zaunschirm.
wie Anm, 1, S. 17. Das Wort «Porträt» hat Klimt selbst hervorgehoben.
Ebd., Umschlag.
Rhbd..S. 9