Max Ernst (1891-1976)
Hommage, 1975
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Farblithographie
34,5 X 62,5 cm
57,3 X 76,8 cm
Bez, u. 1.: 30/99, u. r.: max ernst
LSK 76.17
Das Blatt wurde 1976 als Frontispiz für die Publikation Max
Ernst der Editions Cercle d’art verwendet, herausgegeben von
Edward Quinn, gedruckt bei Pierre Chave in Vence. Max Ernst
hat hier ein Thema aufgegriffen, das sein gesamtes Werk leitmo-
‘ivisch durchzieht und zum ersten Mal 1927 in der für den
Sünstler eigenen Symbolsprache im Monument aux oiseaux er-
scheint: Vogel und Vogelfamilie. Max Ernst hat sich zur Meta-
pher des Vogels selbst geäussert, die auf einem Erlebnis aus der
<indheit beruht. In seinem Buch Beyond Painting heisst es:
«Der Vogelobre Horneborn (1906). Erster Kontakt mit okkulten,
magischen und zauberhaften Kräften.»! Einer seiner besten
*reunde, ein sehr intelligenter und anhänglicher rosa Kakadu,
starb in der Nacht des 5. Januars. Es war ein furchtbarer Schock
ür Max Ernst, als er am Morgen den toten Vogel fand, und ihm
;ein Vater im selben Augenblick die Geburt seiner Schwester
Loni ankündigte. Die Bestürzung des Jungen war so gross, dass
:;r ohnmächtig wurde. In seiner Phantasie verknüpfte er beide
Ereignisse und machte das Baby für das Erlöschen des Vogelle-
»ens verantwortlich. Eine Serie von seelischen Krisen und De-
aressionen folgte. Eine gefährliche Mischung von Vögeln und
nenschlichen Wesen setzte sich in seinem Gemüt fest und fand
später Ausdruck in seinen Zeichnungen und Gemälden. Diese
Vorstellung verliess ihn nicht, bis er 1927 das Vogeldenkmal er-
äichtete und sich dann später selbst mit «Loplop», dem obersten
der Vögel, identifizierte.
_oplop war die Maske, hinter der sich der Künstler verbarg und
sich «dieser Kunstfigur als einem Über-Ich unterordnete».? Bei
einer solchen Identifikation von Vogel und Ich ist es selbstver-
ständlich, dass jede Darstellung eines Vogelwesens bei Max
Ernst einen tieferen Grund hat. In seinem umfangreichen druck-
graphischen Werk trifft man das Vogelsymbol mehrfach an. Für
Le ceur dä gaz von Tristan Tzara greift er 1946 das Motiv der Vo-
gelfamilie für das Frontispiz auf. Ein Jahr später entsteht eine
Kaltnadelradierung Correspondances dangereuses. 1959 illu-
striert er mit einem Vogelwesen Alain Bosquets Paroles peintes.
In den letzten Jahren griff Max Ernst fast ausschliesslich auf die
"echnik der Lithographie zurück. Vorwiegend arbeitete er im
Jmdruckverfahren, bei dem er nicht direkt auf den Stein zeich-
nete, sondern auf ein Spezialpapier, das anschliessend im Ab-
klatsch auf den Stein oder eine Metallplatte umgedruckt wird.?
Diese Technik eignete sich besonders für die Frottage, die Max
Ernst nicht nur erfand, sondern auch als Gestaltungselement in
Zeichnung und Graphik mit besonderer Vorliebe anwandte. Im
vorliegenden Blatt ist der Hintergrund in Frottagetechnik ausge-
ührt, Farblich ist es ganz auf Blau abgestimmt. Max Ernst greift
"Tür diese Vogelfamilien-Darstellung auf jene Farbe zurück, die
“ür die Vögel Element und Lebensraum bedeutet. Blau ist der
Himmel. Blau ist das «sichtbare Zeichen des Unendlichen in
seiner inneren Unermesslichkeit».* Es ist die Farbe der Immate-
%alität und der Vergeistigung. In dieses Blau bettet Max Ernst
die Szene ein: ein Vogel, ein Vogelkind und eine transparente
Kugel, in der der Liebesakt der Vögel vollzogen wird. Im Kör-
per der Vogelfrau ist ein Embryo sichtbar. Die Zeit ist aufgeho-
ben. Simultan sind verschiedene Ereignisse vereinigt, zugleich
Geburt und Werden der Natur in einem visionären Bildraum als
Realität nachvollziehbar. E.B
Ernst, Max: Beyond Painting. New York, 1948. Übertragen von Loni Pretzell. In:
Max Erst. Ausst.-Kat., Brühl, 1951, S. 3.
Spies, Werner: Max Ernst-Loplop. Die Selbstdarstellung des Künstlers. München.
1982, S. 79.
Max Ernst. Das graphische (Euvre. Ausst.-Kat. Werke aus der Sammlung
des Sprengel Museums Hannover, 1990, S. 22.
Restany, Pierre: Blau oder die innere Unermesslichkeit. In: Blau, Farbe der Ferne.
Ausst.-Kat. Kunstverein Heidelberg, 1990, S. 15.
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