Hans Geser Zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangt man, wenn man inklusive Re gierungssysteme unter dem Aspekt betrachtet, dass sie im Vergleich zu exklusiven Systemen ein höheres Mass an
individueller Rollenkumulation erzeugen. Ein gewisses Minimum an Rollenkumulation entsteht rein
kausal dadurch, dass es nötig ist, relativ zahlreiche Rollen auf relativ wenige Perso nen zu verteilen, so dass sich rein arithmetisch eine höhere durchschnitt liche
Rollenzahl pro Kopf als in grösseren politischen Gemeinwesen ergibt (Vidich/Bensman 1968: 258). Zusätzlich sind aber
funktionale Gründe dafür verantwortlich, dass das praktizierte Ausmass an Rollenkumulation dieses kausale Minimum weit übersteigt. Eine ihrer unbeabsichtigten Nebenwirkungen besteht nämlich darin, dass zahlreiche Prozesse sozialer Integration von der z'wter-individuel- len auf die zraira-individuelle Ebene verlagert werden, so dass verschiedenste soziale Kommunikations-, Koordinations- und Verhandlungsprozesse, die viel zusätzliches Personal erfordern würden, überflüssig werden. Wenn der Gemeindepräsident auch dem kantonalen Parlament ange hört, übernimmt er selbst kostenfrei und ohne zusätzliche Anstrengung die Aufgabe, wichtige Informationen über die laufende Kantonspolitik auf die kommunale Ebene zu transferieren; wenn die Spitzenfunktionäre der In teressenverbände selber im Bundesparlament sitzen, brauchen sie kein besonderes «lobbying» zu betreiben und können ihre Zentralsekretariate entsprechend
personell geringer dotieren, und wenn der Repräsentant einer Minderheitspartei in eine
Konkordanzbehörde kooptiert wird, müss er in seinem privaten Kopfe mit den Dilemmas und Konflikten zurecht kom men, die sonst im offenen Streit zwischen Regierung und Opposition aus getragen werden müssten und auf beiden Seiten viel Personal- und Zeitauf wand erfordern würden (vgl. Geser 1981: 241 ff.). Wenn nun Rollenkumulation auf höheren Statusrängen hinreichend häufig oder gar die Regel wird, gehen von ihr vielfältige moderierende und harmonisierende Wirkungen auf die politische Kultur und das politische Verhalten aus, die es wiederum leichter machen, Konkordanzordnungen funktionsfähig zu erhalten: 1) Aufsteigende Individuen antizipieren, dass sie innerhalb einer «typischen Laufbahn» verschiedenartigste und im einzelnen nicht voraussehbare Rollen und Amter einnehmen werden, in denen sie unterschiedlichste (und vielleicht sogar gegensätzliche) Interessen zu vertreten haben. Zwecks Optimierung ihrer Aufstiegschancen tun sie gut daran, sich 104