Volltext: Politischer Wandel in konkordanzdemokratischen Systemen

Diskussionsbeitrag Faschismus gelang es der Schweiz, den internen Zusammenhang im Zei­ chen der geistigen Landesverteidigung zu fördern, so dass die ideologische Konkordanz schliesslich auf der politischen Ebene zur Allparteien-Regie- rung führte. Die Phase des Kalten Krieges förderte die innere Integration. In einem gewissen Sinne war der 
Kalte Krieg die Rahmenbedingung, um die Proporz- und Konkordanzdemokratie zu perfektionieren. Wenn man von der ausgegrenzten Minderheit der kommunistischen PdA absieht, besass die Mehrheit der Schweizer ein geschlossen antikommunistisches Weltbild. Erst die osteuropäischen Revolutionen des Jahres 1989 lösten die tradi­ tionellen Feind- und Bedrohungsbilder auf. Da der äussere Druck nach- liess, lockerte sich der innere Zusammenhalt. Stärker als die inneren Krisen (Kopp-Affäre, Staatsschutzkrise usw.) bedroht langfristig der 
Wandel der gesamten europäischen Ordnung die politische Stabilität der Schweiz. Die eu­ ropäische Integration zwingt das Land, vom alten Sonderfall-Denken Abschied zu nehmen und sich als Normalfall in den Fluss der gewandelten europäischen Geschichte einzuordnen. Es ist anzunehmen, dass die Schweizer ähnlich wie die Osteuropäer in einer Krisensituation zuerst für den Wohlstand und nicht für versunkene ideologische Feindbilder votieren würden. Wenn die Neutralität in Europa funktionslos geworden ist, ist ihr Fortbestand gefährdet. Sollte sich die Frage «Wohlstand oder Isolationis­ mus?» als realpolitische Alternative stellen, ist kaum zu zweifeln, dass sich die Schweizer für die materielle Wohlfahrt entscheiden werden. Wenn sich die endogenen und die exogenen Faktoren gegenseitig ver­ stärken, ist nicht auszuschliessen, dass sich auch die Institutionen des politi­ schen Systems rascher - als bisher angenommen - verändern. Vom Kolle­ gialsystem der Regierung bis hin zur bestehenden Zauberformel gerät dann vieles in Fluss. Wenn die europäischen Entwicklungen in beschleunigtem Tempo voranschreiten, kann das pol itische System in der bisherigen Form kaum überleben. Es kann durchaus sein, dass vor dem Ende des Jahres 2000 wichtige Traditionen, die wir in der Schweiz bisher als Tabus betrach­ tet haben, fast sang- und klanglos zusammenfallen. Zauberformel und Konkordanz, Kollegialsystem und extensive Referendumsdemokratie werden in vermehrtem Masse als Eigenarten des helvetischen Regierungs­ systems in Frage gestellt. Das ist für viele Schweizer ein schmerzlicher Pro- zess, denn niemand nimmt von der eigenen Geschichte gerne Abschied. Die Zeit des europäischen 
Sonderfalls Schweiz geht - so sieht es wenigstens 1989 aus - allmählich vorbei. Die Schweiz normalisiert und europäisiert sich. Oder helvetozentrisch ausgedrückt: Europa verschweizert sich. Das ist dann aber sicher das Ende des Sonderfalles Schweiz. 85
	        

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