Volltext: Politischer Wandel in konkordanzdemokratischen Systemen

Schweiz samkeit der Entscheidungsprozesse, die geringe Problemlösungsfahigkeit des allseitigen Kompromisses, vor allem aber der zu grosse Einfluss organi­ sierter Gruppeninteressen gegenüber den politisch verantwortlichen Orga­ nen von Regierung und Parlament diagnostiziert. Mit der Rezession Mitte der siebziger Jahre wurden allerdings auch die Verteilungskämpfe härter. Umverteilungen im Staatsbudget verwandelten sich ohne Wachstum zu Null-Summen-Konflikten, in denen, anders als bisher, der eine Partner ver­ lor, was der andere gewann. Die bürgerlichen Parteien, einander näher ste­ hend, fanden zu einer Mehrheitspolitik, in welcher die Linke zunehmend weniger mitgestalten konnte. In wichtigen parlamentarischen Abstimmun­ gen der Jahre 1975-85 etwa fand dies seinen Niederschlag darin, dass Koali­ tionen unter Einschluss der SP seltener, Mehrheitskoalitionen der Bürgerli­ chen und Minderheitskoalitionen der Linken sowie von einzelnen Klein­ parteien und den Grünen häufig wurden. 1984 diskutierte die SP den Aus­ tritt aus der Regierung. Nicht nur der Links-Rechts-Gegensatz lebt neu auf. Auch die neue Polarisierung Ökonomie-Ökologie macht Konsens schwie­ riger. Kumulieren sich die Konfliktachsen, wie in der Frage der Kern­ energie, so ist das Konkordanzsystem blockiert. Darüberhinaus macht sich in der Öffentlichkeit eine vermehrte Kritik am Verbandssystem vernehmbar, die sich mit dem deckt, was die Pluralis­ muskritik seit Olson äussert: Die These, wonach Konflikt- und Organisa- tionsfähigkeit ungleich verteilt sind und zur Bevorzugung kurzfristiger Par- tialinteressen zu Lasten längerfristiger Allgemeininteressen fuhren, kann als Diagnose des Sonderfalls Schweiz seit den fünfziger Jahren nachgelesen werden.12 Kommen wir zum Element der direkten Demokratie. Seit 1977 werden Nachbefragungen eidgenössischer Urnengänge durchgeführt. Die Befunde der VOX-Analysen15 decken sich in vielem mit den Befunden ausländi­ scher Forschung. Insbesondere bestätigt sich, dass politische Teilnahme über Wahlen hinaus überaus hohe Anforderungen an den Einzelnen stellt. So wissen Stimmbürgerinnen relativ wenig von der Frage, über die sie abstimmen, und die Teilnahmechancen werden ungleich wahrgenommen: Junge, Frauen, Angehörige unterer Einkommens-, Bildungs- und Berufs­ schichten bleiben der Urne überdurchschnittlich fern. Aus normativ- 12 Pointiert bei: Hans Huber, Staat und Verbände, in: Rechtstheorie, Verfassungsrecht, Völ­ kerrecht, Ausgewählte Aufsätze 1950-70, Bern 1971, aber auch: Erich Gruner, Die Wirt- schaftsverbände in der Demokratie, Erlenbach/Zürich 1956. u VOX-Analysen 1977 ff. 77
	        

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