Volltext: Politischer Wandel in konkordanzdemokratischen Systemen

Wolf Linder scher Beteiligung in hochindustrialisierten Demokratien», von denen Gerhard Lehmbruch2 spricht. Die Hypothese, zugespitzt auf das schweizerische System, würde dem­ nach lauten: - erhöhte Partizipation, so sie Verhandlungsmuster politischer Eliten oder parlamentarische Entscheidungsmuster zu durchbrechen vermag, hat gleichzeitig mit Problemen mangelnder Interessenintegration und der Handlungsunfähigkeit des Politiksystems zu rechnen, oder aber: - erhöhte Partizipation, so sie in die institutionellen Routinen der Interes­ senintegration eingearbeitet werden soll, muss damit rechnen, als kon­ kreter Entscheidungsbeitrag neutralisiert zu werden. Das Spannende an der Hypothese ist zunächst, dass sie in ihrem ersten Teil von den politischen Kräften selbst zu Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt werden musste. Die Einführung von Initiative und Referendum beruhte nämlich auf dem Verständnis eines unproblematischen Verhältnisses von Partizipation und Integration: Die «Einhelligkeit von Regierung und Volk» stand als wichtige Begründung für die Einführung des Referendums durch die freisinnig-radikale Mehrheit, die Parlament und Regierung auf Bundes­ ebene beherrschte. Das war ein Missverständnis. Denn das Referendum, von progressiven Kräften eingeführt, wurde von der konservativen Min­ derheit in der ersten Zeit als eigentliches Obstruktionsinstrument benutzt. Dies verunmöglichte die Fortsetzung einer konzessionslosen Mehrheitspo­ litik. Die Freisinnigen mussten nun in wichtigen Fragen den Ausgleich mit den Konservativen suchen. Damit war das geboren, was wir heute den hel­ vetischen Kompromiss nennen: Referendumsfähige Kräfte müssen ange­ hört und in der Sachlösung berücksichtigt werden. Indessen: there' is no free lunch. Auch oppositionelle Gruppen werden das Ihre zum Kompro­ miss beitragen müssen, und es wird von ihnen dann auch erwartet, dass sie auf das Referendum verzichten. Was sich zunächst als Ausgleich mit den Konservativen anbahnt, wird sich später auch als institutionelles Arrange­ ment mit Bauern und Gewerbe in der Zwischenkriegszeit, dann in der Nachkriegszeit mit den Verbänden und schliesslich mit den Sozialdemo­ kraten finden. Dabei stossen wir immer auf das gleiche Muster: Oppositio­ 2 Gerhard Lehmbruch, Die ambivalenten Funktionen politischer Beteiligung in hochindu­ strialisierten Demokratien, in: Geschichte und politische Wissenschaft, Festschrift für Erich Gruner, Bern 1975, 237 ff. 70
	        

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