Volltext: Politischer Wandel in konkordanzdemokratischen Systemen

Das konkordanzdemokratische Modell vormodernen, traditionalen Gesellschaften Entscheidungsprozesse in Bera­ tungen vorbereitet wurden, die Einmütigkeit anstrebten. Heute noch wer­ den in der religiösen Gemeinschaft der Quäker, der «Gesellschaft der Freunde», Entscheidungen so lange diskutiert, bis Einmütigkeit erreicht ist - als Anzeichen dafür, dass die Versammlung vom «inneren Licht» geleitet ist, damit auch als Anzeichen für die innere Richtigkeit der Entscheidung. Ich erwähne dies, weil im Kontrast dazu das Regelsystem der Konkordanz­ demokratie deutlich 
nicht die primordiale Einmütigkeit anstrebt. Es ist zumindest ebenso künstlich wie die Mehrheitsregel, beruht also auf Kon­ vention, und es geht dabei nicht eigentlich um «Einmütigkeit», sondern um Interessenausgleich, um für alle Beteiligten zumutbare Kompromisslösun­ gen. Am deutlichsten kam das wohl in der Praxis des «Junktim» zum Aus­ druck, der politischen Tauschgeschäfte, die so charakteristisch für die öster­ reichische «schwarz-rote» Koalition der ersten Jahrzehnte nach dem Zwei­ ten Weltkrieg war. Dieses Regelsystem der Konkordanzdemokratie wurde nun auf einer zweiten Ebene interpretiert als Instrument zur Stabilisierung kulturell tief gespaltener Gesellschaften. Sowohl Lijphart als auch ich selbst entwickelten unsere Position vor allem in Auseinandersetzung mit der in den sechziger Jahren einflussreich gewordenen komparatistischen Politiktheorie von Gabriel Almond, die strukturfunktionalistische Systemanalyse und Plura­ lismustheorie 
miteinander verband. Ich will das jetzt nicht im einzelnen rekapitulieren und nur festhalten, dass Almond und seine Schule bei den politischen Systemen Kontinentaleuropas eine ausgeprägte ideologische Fragmentierung feststellen zu können glaubten und sie verantwortlich machen wollten für eine Politik, die Konflikte nicht über marktförmige Kompromissbildungen zu bewältigen vermag. Diese Systeme tendierten daher zu Immobilismus und Instabilität. Wir stellten diesen Ansatz nun nicht grundsätzlich in Frage, sondern führten das zusätzliche Theorem ein, dass das konkordanzdemokratische Regelsystem eben in solchen politisch­ ideologisch fragmentierten Gesellschaften die Konfliktbearbeitung durch ausgehandelte Kompromisse ermöglicht. Eine wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang die Entdeckung der «kleineren europäischen Demokratien». Almond hatte seine Theorie noch an den grossen europäischen Ländern entwickelt, die bis dahin im amerikanischen «comparative government» einzig der Aufmerksamkeit würdig erschienen. Dafür mochte es politische Rechtfertigungen geben, aber wissenschaftsimmanent liess sich diese Einseitigkeit schwer begrün­ 17
	        

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